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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Rothkäppchens ein Justizrath, der vierzehn Schreiber
beschäftigte, und der Mann des Bienchens der oberste
Regent über die vierzig Töchterschulen der Provinz, der
zudem eine polyglotte Riesenchrestomathie herausgab, alles
bedeutende Gewährleistungen für die Ehrbarkeit, während
ich selber ein unerfahrener und unbedeutender Mensch war.

Ich sah die gute Regine nun nicht mehr, als etwa
in einer Theaterloge inmitten ihrer Beschützerinnen, welche
vor Vergnügen glänzten, wenn sie durch die schöne Er¬
scheinung die Augen des ganzen Hauses auf sich lenken
konnten. Auch empfingen sie genügsamen Herrenbesuch.
Regine schien mir das eine Mal traurig und gedrückt zu
sein; das andere Mal schien sie aber aufzuthauen und
eine wachsende Sicherheit und Munterkeit des Benehmens
zu zeigen. Vielleicht, dachte ich, ist das gerade, was
Erwin wünscht, und die drei Gänse haben am Ende nichts
Böses zu bedeuten.

Ein einziges Mal vor Erwin's Rückkunft sprach ich
seine Frau noch näher in vertraulicher Weise und sah sie
sogar während eines ganzen Tages. Der Monat Juni
war gekommen und das prächtigste Sommerwetter im
Lande. Da bat sie mich eines Tages in einem zierlichen
Briefchen, bei ihr vorzusprechen, und als ich kam, theilte
sie mit, es sei von ihren Freundinnen und deren Freun¬
den eine große Landpartie verabredet, die zu Wagen
gemacht werden sollte. Nun wolle ihr die Sache doch
nicht recht gefallen, und sie wünsche wenigstens einen

Rothkäppchens ein Juſtizrath, der vierzehn Schreiber
beſchäftigte, und der Mann des Bienchens der oberſte
Regent über die vierzig Töchterſchulen der Provinz, der
zudem eine polyglotte Rieſenchreſtomathie herausgab, alles
bedeutende Gewährleiſtungen für die Ehrbarkeit, während
ich ſelber ein unerfahrener und unbedeutender Menſch war.

Ich ſah die gute Regine nun nicht mehr, als etwa
in einer Theaterloge inmitten ihrer Beſchützerinnen, welche
vor Vergnügen glänzten, wenn ſie durch die ſchöne Er¬
ſcheinung die Augen des ganzen Hauſes auf ſich lenken
konnten. Auch empfingen ſie genügſamen Herrenbeſuch.
Regine ſchien mir das eine Mal traurig und gedrückt zu
ſein; das andere Mal ſchien ſie aber aufzuthauen und
eine wachſende Sicherheit und Munterkeit des Benehmens
zu zeigen. Vielleicht, dachte ich, iſt das gerade, was
Erwin wünſcht, und die drei Gänſe haben am Ende nichts
Böſes zu bedeuten.

Ein einziges Mal vor Erwin's Rückkunft ſprach ich
ſeine Frau noch näher in vertraulicher Weiſe und ſah ſie
ſogar während eines ganzen Tages. Der Monat Juni
war gekommen und das prächtigſte Sommerwetter im
Lande. Da bat ſie mich eines Tages in einem zierlichen
Briefchen, bei ihr vorzuſprechen, und als ich kam, theilte
ſie mit, es ſei von ihren Freundinnen und deren Freun¬
den eine große Landpartie verabredet, die zu Wagen
gemacht werden ſollte. Nun wolle ihr die Sache doch
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[110/0120] Rothkäppchens ein Juſtizrath, der vierzehn Schreiber beſchäftigte, und der Mann des Bienchens der oberſte Regent über die vierzig Töchterſchulen der Provinz, der zudem eine polyglotte Rieſenchreſtomathie herausgab, alles bedeutende Gewährleiſtungen für die Ehrbarkeit, während ich ſelber ein unerfahrener und unbedeutender Menſch war. Ich ſah die gute Regine nun nicht mehr, als etwa in einer Theaterloge inmitten ihrer Beſchützerinnen, welche vor Vergnügen glänzten, wenn ſie durch die ſchöne Er¬ ſcheinung die Augen des ganzen Hauſes auf ſich lenken konnten. Auch empfingen ſie genügſamen Herrenbeſuch. Regine ſchien mir das eine Mal traurig und gedrückt zu ſein; das andere Mal ſchien ſie aber aufzuthauen und eine wachſende Sicherheit und Munterkeit des Benehmens zu zeigen. Vielleicht, dachte ich, iſt das gerade, was Erwin wünſcht, und die drei Gänſe haben am Ende nichts Böſes zu bedeuten. Ein einziges Mal vor Erwin's Rückkunft ſprach ich ſeine Frau noch näher in vertraulicher Weiſe und ſah ſie ſogar während eines ganzen Tages. Der Monat Juni war gekommen und das prächtigſte Sommerwetter im Lande. Da bat ſie mich eines Tages in einem zierlichen Briefchen, bei ihr vorzuſprechen, und als ich kam, theilte ſie mit, es ſei von ihren Freundinnen und deren Freun¬ den eine große Landpartie verabredet, die zu Wagen gemacht werden ſollte. Nun wolle ihr die Sache doch nicht recht gefallen, und ſie wünſche wenigſtens einen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/120>, abgerufen am 29.04.2024.