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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Damen erschienen, als wir den Sammelplatz erreichten,
in heiterer Sommertracht, weiß oder farbig, und auch die
Herren hatten sich mit Hülfe der Mode so schäferlich als
möglich gemacht. Nur die Malerin war wie eine Krähe;
sie steckte in einem trostlos dunklen, nüchternen und
schlampigen Kleide, mit der beleidigenden Absicht, ja
keinen Anspruch auf weibliche Anmuth und Frühlingsfreude
machen zu wollen. Statt des Filzes trug sie freilich ein
Strohhütchen auf dem Kopfe, aber ein schwarz gefärbtes,
das von den feinen weißen Florentinerhüten der anderen
Frauenzimmer schustermäßig abstach. Von einer freien
Locke oder Haarwelle war nichts zu sehen; gleich einem
Kranze von Schnittlauch trug sie das gestutzte Haar um
Ohren und Genick. Was werden das für traurige Zeiten
sein, wenn es so kommt, daß mit den lichten Kleidern
und den fliegenden Locken der jungen Mädchen und Frauen
die Frühlingslust aus der Welt flieht!

Ich wurde von der Gesellschaft nicht unartig aufge¬
nommen; da aber durch den von mir mitgebrachten Wagen
überschüssiger Raum gewonnen war, setzte man uns, wie
bemerkt, die Malerin herein mit der Anzeige, daß das
meine Schutzbefohlene sei. Als man abfuhr und die
Kutschen im Freien rollten, zog der Künstler ungesäumt
ein Stück Brot und ein paar Aepfel aus der Tasche und
biß hinein; denn er hatte noch nicht gefrühstückt, wie er
sagte, und er genoß immer nur rohes Obst und Brot
des Morgens, weil es das Billigste war. Das that er

Damen erſchienen, als wir den Sammelplatz erreichten,
in heiterer Sommertracht, weiß oder farbig, und auch die
Herren hatten ſich mit Hülfe der Mode ſo ſchäferlich als
möglich gemacht. Nur die Malerin war wie eine Krähe;
ſie ſteckte in einem troſtlos dunklen, nüchternen und
ſchlampigen Kleide, mit der beleidigenden Abſicht, ja
keinen Anſpruch auf weibliche Anmuth und Frühlingsfreude
machen zu wollen. Statt des Filzes trug ſie freilich ein
Strohhütchen auf dem Kopfe, aber ein ſchwarz gefärbtes,
das von den feinen weißen Florentinerhüten der anderen
Frauenzimmer ſchuſtermäßig abſtach. Von einer freien
Locke oder Haarwelle war nichts zu ſehen; gleich einem
Kranze von Schnittlauch trug ſie das geſtutzte Haar um
Ohren und Genick. Was werden das für traurige Zeiten
ſein, wenn es ſo kommt, daß mit den lichten Kleidern
und den fliegenden Locken der jungen Mädchen und Frauen
die Frühlingsluſt aus der Welt flieht!

Ich wurde von der Geſellſchaft nicht unartig aufge¬
nommen; da aber durch den von mir mitgebrachten Wagen
überſchüſſiger Raum gewonnen war, ſetzte man uns, wie
bemerkt, die Malerin herein mit der Anzeige, daß das
meine Schutzbefohlene ſei. Als man abfuhr und die
Kutſchen im Freien rollten, zog der Künſtler ungeſäumt
ein Stück Brot und ein paar Aepfel aus der Taſche und
biß hinein; denn er hatte noch nicht gefrühſtückt, wie er
ſagte, und er genoß immer nur rohes Obſt und Brot
des Morgens, weil es das Billigſte war. Das that er

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[112/0122] Damen erſchienen, als wir den Sammelplatz erreichten, in heiterer Sommertracht, weiß oder farbig, und auch die Herren hatten ſich mit Hülfe der Mode ſo ſchäferlich als möglich gemacht. Nur die Malerin war wie eine Krähe; ſie ſteckte in einem troſtlos dunklen, nüchternen und ſchlampigen Kleide, mit der beleidigenden Abſicht, ja keinen Anſpruch auf weibliche Anmuth und Frühlingsfreude machen zu wollen. Statt des Filzes trug ſie freilich ein Strohhütchen auf dem Kopfe, aber ein ſchwarz gefärbtes, das von den feinen weißen Florentinerhüten der anderen Frauenzimmer ſchuſtermäßig abſtach. Von einer freien Locke oder Haarwelle war nichts zu ſehen; gleich einem Kranze von Schnittlauch trug ſie das geſtutzte Haar um Ohren und Genick. Was werden das für traurige Zeiten ſein, wenn es ſo kommt, daß mit den lichten Kleidern und den fliegenden Locken der jungen Mädchen und Frauen die Frühlingsluſt aus der Welt flieht! Ich wurde von der Geſellſchaft nicht unartig aufge¬ nommen; da aber durch den von mir mitgebrachten Wagen überſchüſſiger Raum gewonnen war, ſetzte man uns, wie bemerkt, die Malerin herein mit der Anzeige, daß das meine Schutzbefohlene ſei. Als man abfuhr und die Kutſchen im Freien rollten, zog der Künſtler ungeſäumt ein Stück Brot und ein paar Aepfel aus der Taſche und biß hinein; denn er hatte noch nicht gefrühſtückt, wie er ſagte, und er genoß immer nur rohes Obſt und Brot des Morgens, weil es das Billigſte war. Das that er

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/122>, abgerufen am 29.04.2024.