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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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wiederum Theil und versorgte jetzt den immer gleichen
Südländer selbst mit Kaffee und Kuchen. Als es dann
zur Heimfahrt ging, mußte ich natürlich den Herrn wieder
in unsern Wagen bitten, zumal unter den übrigen Gruppen
verschiedene Spannungen entstanden waren. Insbesondere
die Renommistinnen schmollten alle drei etwas mehr oder
weniger, aus welcher Ursache, blieb mir unbekannt; ich
hörte nur das halblaute Wort eines Fahrtgenossen, es
pflege so das gewöhnliche Ende aller Landpartieen zu
sein, die jene anstellten. Indessen glaubte ich mehr als
einmal während des Tages das Phänomen bemerkt zu
haben, daß eine gewisse innere Unruhe und Unzufrieden¬
heit durch alle Lustigkeit ging, wie ein heimlicher Luft¬
hauch im welkenden Laube zittert und raschelt, oder wie
es im Liede von einer Gesellschaft von Männern und
Frauen heißt, die in einer Lustgondel auf stillem Wasser
fahren:

Die Herzen schlagen unruhvoll,
Kein Auge blickt wohin es soll!

und die einzige Regine schien die ruhigste Person von
allen zu sein.

Doch machte ihr die sinkende Sonne, die wir vom
Wagen aus so schön niedergehen sahen, und die mälig
eintretende Dämmerung, welche die Kinder und die Volks¬
frauen gern gesprächig und munter macht, viel Vergnügen;
sie plauderte ordentlich und in einer Stunde mehr, als
sie seit dem Vormittage gesprochen hatte, und erst als

wiederum Theil und verſorgte jetzt den immer gleichen
Südländer ſelbſt mit Kaffee und Kuchen. Als es dann
zur Heimfahrt ging, mußte ich natürlich den Herrn wieder
in unſern Wagen bitten, zumal unter den übrigen Gruppen
verſchiedene Spannungen entſtanden waren. Insbeſondere
die Renommiſtinnen ſchmollten alle drei etwas mehr oder
weniger, aus welcher Urſache, blieb mir unbekannt; ich
hörte nur das halblaute Wort eines Fahrtgenoſſen, es
pflege ſo das gewöhnliche Ende aller Landpartieen zu
ſein, die jene anſtellten. Indeſſen glaubte ich mehr als
einmal während des Tages das Phänomen bemerkt zu
haben, daß eine gewiſſe innere Unruhe und Unzufrieden¬
heit durch alle Luſtigkeit ging, wie ein heimlicher Luft¬
hauch im welkenden Laube zittert und raſchelt, oder wie
es im Liede von einer Geſellſchaft von Männern und
Frauen heißt, die in einer Luſtgondel auf ſtillem Waſſer
fahren:

Die Herzen ſchlagen unruhvoll,
Kein Auge blickt wohin es ſoll!

und die einzige Regine ſchien die ruhigſte Perſon von
allen zu ſein.

Doch machte ihr die ſinkende Sonne, die wir vom
Wagen aus ſo ſchön niedergehen ſahen, und die mälig
eintretende Dämmerung, welche die Kinder und die Volks¬
frauen gern geſprächig und munter macht, viel Vergnügen;
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[119/0129] wiederum Theil und verſorgte jetzt den immer gleichen Südländer ſelbſt mit Kaffee und Kuchen. Als es dann zur Heimfahrt ging, mußte ich natürlich den Herrn wieder in unſern Wagen bitten, zumal unter den übrigen Gruppen verſchiedene Spannungen entſtanden waren. Insbeſondere die Renommiſtinnen ſchmollten alle drei etwas mehr oder weniger, aus welcher Urſache, blieb mir unbekannt; ich hörte nur das halblaute Wort eines Fahrtgenoſſen, es pflege ſo das gewöhnliche Ende aller Landpartieen zu ſein, die jene anſtellten. Indeſſen glaubte ich mehr als einmal während des Tages das Phänomen bemerkt zu haben, daß eine gewiſſe innere Unruhe und Unzufrieden¬ heit durch alle Luſtigkeit ging, wie ein heimlicher Luft¬ hauch im welkenden Laube zittert und raſchelt, oder wie es im Liede von einer Geſellſchaft von Männern und Frauen heißt, die in einer Luſtgondel auf ſtillem Waſſer fahren: Die Herzen ſchlagen unruhvoll, Kein Auge blickt wohin es ſoll! und die einzige Regine ſchien die ruhigſte Perſon von allen zu ſein. Doch machte ihr die ſinkende Sonne, die wir vom Wagen aus ſo ſchön niedergehen ſahen, und die mälig eintretende Dämmerung, welche die Kinder und die Volks¬ frauen gern geſprächig und munter macht, viel Vergnügen; ſie plauderte ordentlich und in einer Stunde mehr, als ſie ſeit dem Vormittage geſprochen hatte, und erſt als

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/129>, abgerufen am 29.04.2024.