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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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es vollends dunkel wurde und die Sterne nach einander
aufgingen, wurde sie stiller und schwieg zuletzt ganz.

Der Graf flüsterte mir auf französisch zu, er glaube,
daß Madame schlafe. Sie sagte aber ganz vergnügt:
"Ich schlafe nicht!" Und als wir endlich an ihrem Hause
vorfuhren, nachdem die Gesellschaft ziemlich ohne Abschied
auseinander gerasselt war, und sie von ihrer kleinen
Dienerschaft, die mit Lichtern im Thorwege stand, em¬
pfangen wurde, schüttelte sie uns beiden ganz herzhaft
die Hände zum Abschied, so gutes Vertrauen schien sie
jetzt wieder zur Weltordnung gefaßt zu haben.

Der Brasilianer und ich waren nicht minder zufrieden
als vernünftige und ordentliche Leute, die einen guten
Eindruck davontrugen, und wir wurden einig, zusammen
noch eine wohlberufene Weinstube zu besuchen und uns
bei einer ruhigen Cigarre etwas Gutes zu gönnen. Wir
stießen auf das Wohl der schönen Frau mit einigen loben¬
den Worten an, der Graf wie ein ruhiger und anständiger
Kenner, und ich machte ihm es großartig nach, worauf
wir nicht mehr davon sprachen, sondern uns der Betrach¬
tung des nächtlich angeheiterten Weltlaufes überließen.
Doch sprach der des Trinkens nur mäßig gewöhnte Süd¬
länder dem Weine nicht eifrig zu; ich mußte das Beste
thun, und so trennten wir uns nach ausgerauchter Cigarre
schon vor zehn Uhr. Der schwarzäugige Graf suchte seine
Wohnung auf; ich aber verfügte mich, zur Schande meiner
Jugendjahre sei es gestanden, schleunig noch in eine neun

es vollends dunkel wurde und die Sterne nach einander
aufgingen, wurde ſie ſtiller und ſchwieg zuletzt ganz.

Der Graf flüſterte mir auf franzöſiſch zu, er glaube,
daß Madame ſchlafe. Sie ſagte aber ganz vergnügt:
„Ich ſchlafe nicht!“ Und als wir endlich an ihrem Hauſe
vorfuhren, nachdem die Geſellſchaft ziemlich ohne Abſchied
auseinander geraſſelt war, und ſie von ihrer kleinen
Dienerſchaft, die mit Lichtern im Thorwege ſtand, em¬
pfangen wurde, ſchüttelte ſie uns beiden ganz herzhaft
die Hände zum Abſchied, ſo gutes Vertrauen ſchien ſie
jetzt wieder zur Weltordnung gefaßt zu haben.

Der Braſilianer und ich waren nicht minder zufrieden
als vernünftige und ordentliche Leute, die einen guten
Eindruck davontrugen, und wir wurden einig, zuſammen
noch eine wohlberufene Weinſtube zu beſuchen und uns
bei einer ruhigen Cigarre etwas Gutes zu gönnen. Wir
ſtießen auf das Wohl der ſchönen Frau mit einigen loben¬
den Worten an, der Graf wie ein ruhiger und anſtändiger
Kenner, und ich machte ihm es großartig nach, worauf
wir nicht mehr davon ſprachen, ſondern uns der Betrach¬
tung des nächtlich angeheiterten Weltlaufes überließen.
Doch ſprach der des Trinkens nur mäßig gewöhnte Süd¬
länder dem Weine nicht eifrig zu; ich mußte das Beſte
thun, und ſo trennten wir uns nach ausgerauchter Cigarre
ſchon vor zehn Uhr. Der ſchwarzäugige Graf ſuchte ſeine
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[120/0130] es vollends dunkel wurde und die Sterne nach einander aufgingen, wurde ſie ſtiller und ſchwieg zuletzt ganz. Der Graf flüſterte mir auf franzöſiſch zu, er glaube, daß Madame ſchlafe. Sie ſagte aber ganz vergnügt: „Ich ſchlafe nicht!“ Und als wir endlich an ihrem Hauſe vorfuhren, nachdem die Geſellſchaft ziemlich ohne Abſchied auseinander geraſſelt war, und ſie von ihrer kleinen Dienerſchaft, die mit Lichtern im Thorwege ſtand, em¬ pfangen wurde, ſchüttelte ſie uns beiden ganz herzhaft die Hände zum Abſchied, ſo gutes Vertrauen ſchien ſie jetzt wieder zur Weltordnung gefaßt zu haben. Der Braſilianer und ich waren nicht minder zufrieden als vernünftige und ordentliche Leute, die einen guten Eindruck davontrugen, und wir wurden einig, zuſammen noch eine wohlberufene Weinſtube zu beſuchen und uns bei einer ruhigen Cigarre etwas Gutes zu gönnen. Wir ſtießen auf das Wohl der ſchönen Frau mit einigen loben¬ den Worten an, der Graf wie ein ruhiger und anſtändiger Kenner, und ich machte ihm es großartig nach, worauf wir nicht mehr davon ſprachen, ſondern uns der Betrach¬ tung des nächtlich angeheiterten Weltlaufes überließen. Doch ſprach der des Trinkens nur mäßig gewöhnte Süd¬ länder dem Weine nicht eifrig zu; ich mußte das Beſte thun, und ſo trennten wir uns nach ausgerauchter Cigarre ſchon vor zehn Uhr. Der ſchwarzäugige Graf ſuchte ſeine Wohnung auf; ich aber verfügte mich, zur Schande meiner Jugendjahre ſei es geſtanden, ſchleunig noch in eine neun

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/130>, abgerufen am 29.04.2024.