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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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wäre oder irgend ein anderes Kleinod. Er hatte sein
Leben lang etwas Närrisches an sich und soll es jetzt
noch haben, insofern man das närrisch nennen kann, was
Einem nicht jeder nachthut.

Plötzlich erschütterte sich die Schläferin wie von einem
unwilligen oder ängstlichen Traume und erwachte. Ver¬
wirrt sah sie um sich, und als sie den Mann mit dem
theilnehmenden Ausdruck im Gesichte wahrnahm, raffte
sie sich auf und bat mit milderen Worten, als sie bisher
hatte hören lassen, um Entschuldigung. Sie that sogar
ein Uebriges und fügte zur Erklärung bei, Nelken seien
ihre Lieblingsblumen und sie habe dem Gelüste nicht
widerstehen können, ein wenig bei dem schönen Stock
auszuruhen, wobei sie leider eingeschlafen. Einst habe sie
über hundert solcher Stöcke gepflegt, einer schöner als der
andere und von allen Farben.

Darf ich Ihnen diesen anbieten, Frau Baronin? sagte
Brandolf, der sich sogleich erhoben hatte, ich habe ihn
unten gekauft, als ich sah, daß Sie die Pflanze in die
Hand genommen und mit Gefallen betrachteten.

Das milde Wetter war aber schon vorüber. Mit
Roth übergossen schüttelte sie den Kopf. Bei mir ist zu
wenig Licht dafür, sagte sie, hier steht er besser! Als ob
es sie gereute, schon so viel gesprochen zu haben, grüßte
sie knapp, ging hinaus und ließ sich die folgenden Tage
kaum blicken.

wäre oder irgend ein anderes Kleinod. Er hatte ſein
Leben lang etwas Närriſches an ſich und ſoll es jetzt
noch haben, inſofern man das närriſch nennen kann, was
Einem nicht jeder nachthut.

Plötzlich erſchütterte ſich die Schläferin wie von einem
unwilligen oder ängſtlichen Traume und erwachte. Ver¬
wirrt ſah ſie um ſich, und als ſie den Mann mit dem
theilnehmenden Ausdruck im Geſichte wahrnahm, raffte
ſie ſich auf und bat mit milderen Worten, als ſie bisher
hatte hören laſſen, um Entſchuldigung. Sie that ſogar
ein Uebriges und fügte zur Erklärung bei, Nelken ſeien
ihre Lieblingsblumen und ſie habe dem Gelüſte nicht
widerſtehen können, ein wenig bei dem ſchönen Stock
auszuruhen, wobei ſie leider eingeſchlafen. Einſt habe ſie
über hundert ſolcher Stöcke gepflegt, einer ſchöner als der
andere und von allen Farben.

Darf ich Ihnen dieſen anbieten, Frau Baronin? ſagte
Brandolf, der ſich ſogleich erhoben hatte, ich habe ihn
unten gekauft, als ich ſah, daß Sie die Pflanze in die
Hand genommen und mit Gefallen betrachteten.

Das milde Wetter war aber ſchon vorüber. Mit
Roth übergoſſen ſchüttelte ſie den Kopf. Bei mir iſt zu
wenig Licht dafür, ſagte ſie, hier ſteht er beſſer! Als ob
es ſie gereute, ſchon ſo viel geſprochen zu haben, grüßte
ſie knapp, ging hinaus und ließ ſich die folgenden Tage
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[174/0184] wäre oder irgend ein anderes Kleinod. Er hatte ſein Leben lang etwas Närriſches an ſich und ſoll es jetzt noch haben, inſofern man das närriſch nennen kann, was Einem nicht jeder nachthut. Plötzlich erſchütterte ſich die Schläferin wie von einem unwilligen oder ängſtlichen Traume und erwachte. Ver¬ wirrt ſah ſie um ſich, und als ſie den Mann mit dem theilnehmenden Ausdruck im Geſichte wahrnahm, raffte ſie ſich auf und bat mit milderen Worten, als ſie bisher hatte hören laſſen, um Entſchuldigung. Sie that ſogar ein Uebriges und fügte zur Erklärung bei, Nelken ſeien ihre Lieblingsblumen und ſie habe dem Gelüſte nicht widerſtehen können, ein wenig bei dem ſchönen Stock auszuruhen, wobei ſie leider eingeſchlafen. Einſt habe ſie über hundert ſolcher Stöcke gepflegt, einer ſchöner als der andere und von allen Farben. Darf ich Ihnen dieſen anbieten, Frau Baronin? ſagte Brandolf, der ſich ſogleich erhoben hatte, ich habe ihn unten gekauft, als ich ſah, daß Sie die Pflanze in die Hand genommen und mit Gefallen betrachteten. Das milde Wetter war aber ſchon vorüber. Mit Roth übergoſſen ſchüttelte ſie den Kopf. Bei mir iſt zu wenig Licht dafür, ſagte ſie, hier ſteht er beſſer! Als ob es ſie gereute, ſchon ſo viel geſprochen zu haben, grüßte ſie knapp, ging hinaus und ließ ſich die folgenden Tage kaum blicken.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/184>, abgerufen am 28.04.2024.