Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Endlich brachte sie die erste Monatsrechnung, auf
einen Streifen grauen Papiers geschrieben. Er las sie
absichtlich nicht durch; mit dem innerlichen Wunsche, sie
möchte recht hoch sein, bezahlte er den Betrag, der jedoch
die Ausgabe keineswegs überschritt, auf die er zu rechnen
gewohnt war. Während er das Geld hinzählte, stand die
sonderbare Wirthin, wie ihm schien, eher in furchtsamer
als in trotziger Haltung lautlos da, wie wenn sie der
gewohnten Aufkündigung entgegensähe. Aber entschlossen,
durchaus ein Licht in das Dunkel dieses Geheimnisses zu
bringen, ließ er sie hinausgehen, ohne die geringste Lust
zum Ausziehen zu verrathen. Neugierig, wie es sich mit
ihren Rechnungskünsten verhalte, studierte er gleich nachher
den Zettel und fand ihn nicht um einen Pfennig übersetzt;
dagegen war jedesmal, wo er beim Frühstück nur ein
Brötchen gegessen, das zweite übrig gebliebene nicht auf¬
geschrieben. Nun wurde er gar nicht mehr klug aus der
ganzen Geschichte, zumal als er beim Weggehen gegen
Abend zum ersten Male von der Gegend der Küche her
ein schüchternes Knallen wie von einem brennenden Holz¬
scheitlein hörte und den Geruch von einer guten gebrannten
Mehlsuppe empfand, die mitzuessen ihn seltsam gelüstete.
Nun war er überzeugt, daß die Baronin erst jetzt sich
etwas Warmes zu kochen erlaubte. Am Ende, dachte er,
thut sie das alle Monat einmal, wenn die Rechnung bezahlt
wird, wie die Arbeiter am sogenannten Zahltag in's
Wirthshaus zu gehen pflegen!

Endlich brachte ſie die erſte Monatsrechnung, auf
einen Streifen grauen Papiers geſchrieben. Er las ſie
abſichtlich nicht durch; mit dem innerlichen Wunſche, ſie
möchte recht hoch ſein, bezahlte er den Betrag, der jedoch
die Ausgabe keineswegs überſchritt, auf die er zu rechnen
gewohnt war. Während er das Geld hinzählte, ſtand die
ſonderbare Wirthin, wie ihm ſchien, eher in furchtſamer
als in trotziger Haltung lautlos da, wie wenn ſie der
gewohnten Aufkündigung entgegenſähe. Aber entſchloſſen,
durchaus ein Licht in das Dunkel dieſes Geheimniſſes zu
bringen, ließ er ſie hinausgehen, ohne die geringſte Luſt
zum Ausziehen zu verrathen. Neugierig, wie es ſich mit
ihren Rechnungskünſten verhalte, ſtudierte er gleich nachher
den Zettel und fand ihn nicht um einen Pfennig überſetzt;
dagegen war jedesmal, wo er beim Frühſtück nur ein
Brötchen gegeſſen, das zweite übrig gebliebene nicht auf¬
geſchrieben. Nun wurde er gar nicht mehr klug aus der
ganzen Geſchichte, zumal als er beim Weggehen gegen
Abend zum erſten Male von der Gegend der Küche her
ein ſchüchternes Knallen wie von einem brennenden Holz¬
ſcheitlein hörte und den Geruch von einer guten gebrannten
Mehlſuppe empfand, die mitzueſſen ihn ſeltſam gelüſtete.
Nun war er überzeugt, daß die Baronin erſt jetzt ſich
etwas Warmes zu kochen erlaubte. Am Ende, dachte er,
thut ſie das alle Monat einmal, wenn die Rechnung bezahlt
wird, wie die Arbeiter am ſogenannten Zahltag in's
Wirthshaus zu gehen pflegen!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0185" n="175"/>
          <p>Endlich brachte &#x017F;ie die er&#x017F;te Monatsrechnung, auf<lb/>
einen Streifen grauen Papiers ge&#x017F;chrieben. Er las &#x017F;ie<lb/>
ab&#x017F;ichtlich nicht durch; mit dem innerlichen Wun&#x017F;che, &#x017F;ie<lb/>
möchte recht hoch &#x017F;ein, bezahlte er den Betrag, der jedoch<lb/>
die Ausgabe keineswegs über&#x017F;chritt, auf die er zu rechnen<lb/>
gewohnt war. Während er das Geld hinzählte, &#x017F;tand die<lb/>
&#x017F;onderbare Wirthin, wie ihm &#x017F;chien, eher in furcht&#x017F;amer<lb/>
als in trotziger Haltung lautlos da, wie wenn &#x017F;ie der<lb/>
gewohnten Aufkündigung entgegen&#x017F;ähe. Aber ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
durchaus ein Licht in das Dunkel die&#x017F;es Geheimni&#x017F;&#x017F;es zu<lb/>
bringen, ließ er &#x017F;ie hinausgehen, ohne die gering&#x017F;te Lu&#x017F;t<lb/>
zum Ausziehen zu verrathen. Neugierig, wie es &#x017F;ich mit<lb/>
ihren Rechnungskün&#x017F;ten verhalte, &#x017F;tudierte er gleich nachher<lb/>
den Zettel und fand ihn nicht um einen Pfennig über&#x017F;etzt;<lb/>
dagegen war jedesmal, wo er beim Früh&#x017F;tück nur ein<lb/>
Brötchen gege&#x017F;&#x017F;en, das zweite übrig gebliebene nicht auf¬<lb/>
ge&#x017F;chrieben. Nun wurde er gar nicht mehr klug aus der<lb/>
ganzen Ge&#x017F;chichte, zumal als er beim Weggehen gegen<lb/>
Abend zum er&#x017F;ten Male von der Gegend der Küche her<lb/>
ein &#x017F;chüchternes Knallen wie von einem brennenden Holz¬<lb/>
&#x017F;cheitlein hörte und den Geruch von einer guten gebrannten<lb/>
Mehl&#x017F;uppe empfand, die mitzue&#x017F;&#x017F;en ihn &#x017F;elt&#x017F;am gelü&#x017F;tete.<lb/>
Nun war er überzeugt, daß die Baronin er&#x017F;t jetzt &#x017F;ich<lb/>
etwas Warmes zu kochen erlaubte. Am Ende, dachte er,<lb/>
thut &#x017F;ie das alle Monat einmal, wenn die Rechnung bezahlt<lb/>
wird, wie die Arbeiter am &#x017F;ogenannten Zahltag in's<lb/>
Wirthshaus zu gehen pflegen!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0185] Endlich brachte ſie die erſte Monatsrechnung, auf einen Streifen grauen Papiers geſchrieben. Er las ſie abſichtlich nicht durch; mit dem innerlichen Wunſche, ſie möchte recht hoch ſein, bezahlte er den Betrag, der jedoch die Ausgabe keineswegs überſchritt, auf die er zu rechnen gewohnt war. Während er das Geld hinzählte, ſtand die ſonderbare Wirthin, wie ihm ſchien, eher in furchtſamer als in trotziger Haltung lautlos da, wie wenn ſie der gewohnten Aufkündigung entgegenſähe. Aber entſchloſſen, durchaus ein Licht in das Dunkel dieſes Geheimniſſes zu bringen, ließ er ſie hinausgehen, ohne die geringſte Luſt zum Ausziehen zu verrathen. Neugierig, wie es ſich mit ihren Rechnungskünſten verhalte, ſtudierte er gleich nachher den Zettel und fand ihn nicht um einen Pfennig überſetzt; dagegen war jedesmal, wo er beim Frühſtück nur ein Brötchen gegeſſen, das zweite übrig gebliebene nicht auf¬ geſchrieben. Nun wurde er gar nicht mehr klug aus der ganzen Geſchichte, zumal als er beim Weggehen gegen Abend zum erſten Male von der Gegend der Küche her ein ſchüchternes Knallen wie von einem brennenden Holz¬ ſcheitlein hörte und den Geruch von einer guten gebrannten Mehlſuppe empfand, die mitzueſſen ihn ſeltſam gelüſtete. Nun war er überzeugt, daß die Baronin erſt jetzt ſich etwas Warmes zu kochen erlaubte. Am Ende, dachte er, thut ſie das alle Monat einmal, wenn die Rechnung bezahlt wird, wie die Arbeiter am ſogenannten Zahltag in's Wirthshaus zu gehen pflegen!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/185
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/185>, abgerufen am 28.04.2024.