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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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mein äußerstes Zimmer ganz gut entbehren; dort bringt
man sie hin, setzt eine zuverlässige Wärterin hinein und
schließt das Zimmer nach meiner Seite her ab, so sind
beide Parteien ungestört. Hätten wir nur erst das Bett!"

"Ich habe hier neben in die Kammer hineingeguckt",
berichtete jetzt die Hausmeisterin, "und gesehen, daß die
Stücke eines vollständigen schönen Bettes dort bei ein¬
ander liegen. Der Himmel mag wissen, warum die
wunderliche Dame auf diesem Armesünderschragen schläft,
während sie ein so gutes Lager vorräthig hat!"

"Das will ich Euch sagen, Frau Hausmeisterin!"
sprach Brandolf, "sie thut es, weil sie das gute Bett
spart, um nöthigen Falls zwei Miether einlogiren zu
können. So viel habe ich gesehen, daß sie wahrscheinlich
ihr Leben lang gewöhnt war, mit dem Entbehren immer
an sich selbst anzufangen, vielleicht nicht aus Güte, son¬
dern weil sie es für nothwendig hielt. Denn die kleine,
schmale Weibsanstalt unter dieser Decke ist ein wahrer
Teufel von Unerbittlichkeit gegen sich und andere."

Der Arzt aber warf nur ein: "So will ich eine gute
Wärterin, die ich kenne, gleich selbst aufsuchen und her¬
senden." Worauf er sich in seiner Kutsche wieder ent¬
fernte, nachdem er noch angedeutet, er werde Verhaltungs¬
befehle und Anordnungen der Wärterin mitgeben. Auch
die Hausmeisterin mußte sich in eigenen Geschäften zurück¬
ziehen und Brandolf saß allein am Leidensbette der
Fieberkranken, bis die Wärterin mit ihrem Korbe und

mein äußerſtes Zimmer ganz gut entbehren; dort bringt
man ſie hin, ſetzt eine zuverläſſige Wärterin hinein und
ſchließt das Zimmer nach meiner Seite her ab, ſo ſind
beide Parteien ungeſtört. Hätten wir nur erſt das Bett!“

„Ich habe hier neben in die Kammer hineingeguckt“,
berichtete jetzt die Hausmeiſterin, „und geſehen, daß die
Stücke eines vollſtändigen ſchönen Bettes dort bei ein¬
ander liegen. Der Himmel mag wiſſen, warum die
wunderliche Dame auf dieſem Armeſünderſchragen ſchläft,
während ſie ein ſo gutes Lager vorräthig hat!“

„Das will ich Euch ſagen, Frau Hausmeiſterin!“
ſprach Brandolf, „ſie thut es, weil ſie das gute Bett
ſpart, um nöthigen Falls zwei Miether einlogiren zu
können. So viel habe ich geſehen, daß ſie wahrſcheinlich
ihr Leben lang gewöhnt war, mit dem Entbehren immer
an ſich ſelbſt anzufangen, vielleicht nicht aus Güte, ſon¬
dern weil ſie es für nothwendig hielt. Denn die kleine,
ſchmale Weibsanſtalt unter dieſer Decke iſt ein wahrer
Teufel von Unerbittlichkeit gegen ſich und andere.“

Der Arzt aber warf nur ein: „So will ich eine gute
Wärterin, die ich kenne, gleich ſelbſt aufſuchen und her¬
ſenden.“ Worauf er ſich in ſeiner Kutſche wieder ent¬
fernte, nachdem er noch angedeutet, er werde Verhaltungs¬
befehle und Anordnungen der Wärterin mitgeben. Auch
die Hausmeiſterin mußte ſich in eigenen Geſchäften zurück¬
ziehen und Brandolf ſaß allein am Leidensbette der
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[182/0192] mein äußerſtes Zimmer ganz gut entbehren; dort bringt man ſie hin, ſetzt eine zuverläſſige Wärterin hinein und ſchließt das Zimmer nach meiner Seite her ab, ſo ſind beide Parteien ungeſtört. Hätten wir nur erſt das Bett!“ „Ich habe hier neben in die Kammer hineingeguckt“, berichtete jetzt die Hausmeiſterin, „und geſehen, daß die Stücke eines vollſtändigen ſchönen Bettes dort bei ein¬ ander liegen. Der Himmel mag wiſſen, warum die wunderliche Dame auf dieſem Armeſünderſchragen ſchläft, während ſie ein ſo gutes Lager vorräthig hat!“ „Das will ich Euch ſagen, Frau Hausmeiſterin!“ ſprach Brandolf, „ſie thut es, weil ſie das gute Bett ſpart, um nöthigen Falls zwei Miether einlogiren zu können. So viel habe ich geſehen, daß ſie wahrſcheinlich ihr Leben lang gewöhnt war, mit dem Entbehren immer an ſich ſelbſt anzufangen, vielleicht nicht aus Güte, ſon¬ dern weil ſie es für nothwendig hielt. Denn die kleine, ſchmale Weibsanſtalt unter dieſer Decke iſt ein wahrer Teufel von Unerbittlichkeit gegen ſich und andere.“ Der Arzt aber warf nur ein: „So will ich eine gute Wärterin, die ich kenne, gleich ſelbſt aufſuchen und her¬ ſenden.“ Worauf er ſich in ſeiner Kutſche wieder ent¬ fernte, nachdem er noch angedeutet, er werde Verhaltungs¬ befehle und Anordnungen der Wärterin mitgeben. Auch die Hausmeiſterin mußte ſich in eigenen Geſchäften zurück¬ ziehen und Brandolf ſaß allein am Leidensbette der Fieberkranken, bis die Wärterin mit ihrem Korbe und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/192>, abgerufen am 29.04.2024.