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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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ihren Siebensachen anlangte, von der Hausmeisterin
begleitet. Zuerst wurde nun das bessere Zimmer ein¬
gerichtet und das gute Bett darin aufgeschlagen und
sodann die Uebersiedlung der Baronin bewerkstelligt. Als
die beiden Frauen sich nicht recht anzuschicken wußten,
nahm Brandolf das kranke Aschenbrödel, in seine Decke
gewickelt, kurzweg auf den Arm und trug es so sorglich,
wie wenn es das zerbrechliche Glück von Edenhall gewesen
wäre, hinüber und ließ hierauf die Weiber das Ihrige
thun. Beide versorgte er mit dem nöthigen Geld, um alles
Erforderliche vorzusehen und zu beschaffen, und empfahl
ihnen, die treulichste Pflege zu üben. Für sich selber
bestellte er noch eine besondere Aufwärterin, welche des
Morgens herkam und den Tag über da blieb, so daß es
in der sonst so stillen Küche auf einmal lebendig wurde.

Etwas länger als zwei Wochen blieb die Kranke bewußt¬
los, und der Arzt versicherte mehrmals, daß in dem zarten
Körper eine gute Natur stecken müsse, wenn er sich erholen
solle. Es geschah dennoch; die Fieberstürme hörten auf
und eines Tages schaute sie still und ruhig um sich. Sie
sah das schöne Zimmer mit ihrem eigenen Geräthe, die
freundliche Wärterin und den behäbigen Doctor, der mit
tröstlichen Mienen und Worten an ihr Lager trat; aber
sie frug nicht nach den Umständen, sondern überließ sich
der schweigenden Ruhe, wie wenn sie fürchtete, derselben
entrissen zu werden. Erst am zweiten oder dritten Tage
fing sie an zu fragen, was mit ihr geschehen sei und wer

ihren Siebenſachen anlangte, von der Hausmeiſterin
begleitet. Zuerſt wurde nun das beſſere Zimmer ein¬
gerichtet und das gute Bett darin aufgeſchlagen und
ſodann die Ueberſiedlung der Baronin bewerkſtelligt. Als
die beiden Frauen ſich nicht recht anzuſchicken wußten,
nahm Brandolf das kranke Aſchenbrödel, in ſeine Decke
gewickelt, kurzweg auf den Arm und trug es ſo ſorglich,
wie wenn es das zerbrechliche Glück von Edenhall geweſen
wäre, hinüber und ließ hierauf die Weiber das Ihrige
thun. Beide verſorgte er mit dem nöthigen Geld, um alles
Erforderliche vorzuſehen und zu beſchaffen, und empfahl
ihnen, die treulichſte Pflege zu üben. Für ſich ſelber
beſtellte er noch eine beſondere Aufwärterin, welche des
Morgens herkam und den Tag über da blieb, ſo daß es
in der ſonſt ſo ſtillen Küche auf einmal lebendig wurde.

Etwas länger als zwei Wochen blieb die Kranke bewußt¬
los, und der Arzt verſicherte mehrmals, daß in dem zarten
Körper eine gute Natur ſtecken müſſe, wenn er ſich erholen
ſolle. Es geſchah dennoch; die Fieberſtürme hörten auf
und eines Tages ſchaute ſie ſtill und ruhig um ſich. Sie
ſah das ſchöne Zimmer mit ihrem eigenen Geräthe, die
freundliche Wärterin und den behäbigen Doctor, der mit
tröſtlichen Mienen und Worten an ihr Lager trat; aber
ſie frug nicht nach den Umſtänden, ſondern überließ ſich
der ſchweigenden Ruhe, wie wenn ſie fürchtete, derſelben
entriſſen zu werden. Erſt am zweiten oder dritten Tage
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[183/0193] ihren Siebenſachen anlangte, von der Hausmeiſterin begleitet. Zuerſt wurde nun das beſſere Zimmer ein¬ gerichtet und das gute Bett darin aufgeſchlagen und ſodann die Ueberſiedlung der Baronin bewerkſtelligt. Als die beiden Frauen ſich nicht recht anzuſchicken wußten, nahm Brandolf das kranke Aſchenbrödel, in ſeine Decke gewickelt, kurzweg auf den Arm und trug es ſo ſorglich, wie wenn es das zerbrechliche Glück von Edenhall geweſen wäre, hinüber und ließ hierauf die Weiber das Ihrige thun. Beide verſorgte er mit dem nöthigen Geld, um alles Erforderliche vorzuſehen und zu beſchaffen, und empfahl ihnen, die treulichſte Pflege zu üben. Für ſich ſelber beſtellte er noch eine beſondere Aufwärterin, welche des Morgens herkam und den Tag über da blieb, ſo daß es in der ſonſt ſo ſtillen Küche auf einmal lebendig wurde. Etwas länger als zwei Wochen blieb die Kranke bewußt¬ los, und der Arzt verſicherte mehrmals, daß in dem zarten Körper eine gute Natur ſtecken müſſe, wenn er ſich erholen ſolle. Es geſchah dennoch; die Fieberſtürme hörten auf und eines Tages ſchaute ſie ſtill und ruhig um ſich. Sie ſah das ſchöne Zimmer mit ihrem eigenen Geräthe, die freundliche Wärterin und den behäbigen Doctor, der mit tröſtlichen Mienen und Worten an ihr Lager trat; aber ſie frug nicht nach den Umſtänden, ſondern überließ ſich der ſchweigenden Ruhe, wie wenn ſie fürchtete, derſelben entriſſen zu werden. Erſt am zweiten oder dritten Tage fing ſie an zu fragen, was mit ihr geſchehen ſei und wer

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/193>, abgerufen am 29.04.2024.