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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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für sie gesorgt habe. Als sie vernahm, daß es der Herr
Miethsmann sei, schwieg sie wieder und lag lang in stillem
Nachsinnen; aber der Trotz schien gebrochen, die Nachricht
sie eher ein wenig zu beleben als zu beunruhigen.

Als Brandolf von der bessern Wendung hörte, wurde
er sehr zufrieden und empfand etwas wie das Vergnügen
eines Kindes, wenn ein lieber Gast im Hause sitzt und
nun allerlei angenehme und merkwürdige Dinge in Aussicht
stehen. "Wie wenig braucht es doch," dachte er im Stillen,
"um sich selber einen Hauptspaß zu bereiten, und was
für schöne Gelegenheiten liegen immer am Wegrande bereit,
wenn man sie nur zu sehen wüßte!"

Inzwischen hatte sich die Kunde von der erkrankten
und von ihm verpflegten adeligen Wirthsfrau weiter ver¬
breitet, und er bekam in den Kreisen, die er besuchte,
davon zu hören, was ihn keineswegs belästigte. Er machte
sich nur darüber lustig, daß er in das Haus gezogen sei,
einen ungerechten Drachen zu bändigen, und statt dessen
nun den Kranken- und Armenpfleger spielen müsse. Durch
das Gerede entwickelten sich dagegen ein paar dürftige
Angaben über das Vorleben des Pfleglings. Als die
Tochter eines im Nachbarstaate seßhaft gewesenen und
verstorbenen Freiherrn von Lohausen sei sie mit einem
Rittmeister von Schwendtner verheirathet worden, habe sich
aber nach einer dreijährigen unglücklichen Ehe von ihm
scheiden lassen, und der etc. Schwendtner sei dann in übeln
Umständen verschollen. Brandolf empfand sogleich eine

für ſie geſorgt habe. Als ſie vernahm, daß es der Herr
Miethsmann ſei, ſchwieg ſie wieder und lag lang in ſtillem
Nachſinnen; aber der Trotz ſchien gebrochen, die Nachricht
ſie eher ein wenig zu beleben als zu beunruhigen.

Als Brandolf von der beſſern Wendung hörte, wurde
er ſehr zufrieden und empfand etwas wie das Vergnügen
eines Kindes, wenn ein lieber Gaſt im Hauſe ſitzt und
nun allerlei angenehme und merkwürdige Dinge in Ausſicht
ſtehen. „Wie wenig braucht es doch,“ dachte er im Stillen,
„um ſich ſelber einen Hauptſpaß zu bereiten, und was
für ſchöne Gelegenheiten liegen immer am Wegrande bereit,
wenn man ſie nur zu ſehen wüßte!“

Inzwiſchen hatte ſich die Kunde von der erkrankten
und von ihm verpflegten adeligen Wirthsfrau weiter ver¬
breitet, und er bekam in den Kreiſen, die er beſuchte,
davon zu hören, was ihn keineswegs beläſtigte. Er machte
ſich nur darüber luſtig, daß er in das Haus gezogen ſei,
einen ungerechten Drachen zu bändigen, und ſtatt deſſen
nun den Kranken- und Armenpfleger ſpielen müſſe. Durch
das Gerede entwickelten ſich dagegen ein paar dürftige
Angaben über das Vorleben des Pfleglings. Als die
Tochter eines im Nachbarſtaate ſeßhaft geweſenen und
verſtorbenen Freiherrn von Lohauſen ſei ſie mit einem
Rittmeiſter von Schwendtner verheirathet worden, habe ſich
aber nach einer dreijährigen unglücklichen Ehe von ihm
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[184/0194] für ſie geſorgt habe. Als ſie vernahm, daß es der Herr Miethsmann ſei, ſchwieg ſie wieder und lag lang in ſtillem Nachſinnen; aber der Trotz ſchien gebrochen, die Nachricht ſie eher ein wenig zu beleben als zu beunruhigen. Als Brandolf von der beſſern Wendung hörte, wurde er ſehr zufrieden und empfand etwas wie das Vergnügen eines Kindes, wenn ein lieber Gaſt im Hauſe ſitzt und nun allerlei angenehme und merkwürdige Dinge in Ausſicht ſtehen. „Wie wenig braucht es doch,“ dachte er im Stillen, „um ſich ſelber einen Hauptſpaß zu bereiten, und was für ſchöne Gelegenheiten liegen immer am Wegrande bereit, wenn man ſie nur zu ſehen wüßte!“ Inzwiſchen hatte ſich die Kunde von der erkrankten und von ihm verpflegten adeligen Wirthsfrau weiter ver¬ breitet, und er bekam in den Kreiſen, die er beſuchte, davon zu hören, was ihn keineswegs beläſtigte. Er machte ſich nur darüber luſtig, daß er in das Haus gezogen ſei, einen ungerechten Drachen zu bändigen, und ſtatt deſſen nun den Kranken- und Armenpfleger ſpielen müſſe. Durch das Gerede entwickelten ſich dagegen ein paar dürftige Angaben über das Vorleben des Pfleglings. Als die Tochter eines im Nachbarſtaate ſeßhaft geweſenen und verſtorbenen Freiherrn von Lohauſen ſei ſie mit einem Rittmeiſter von Schwendtner verheirathet worden, habe ſich aber nach einer dreijährigen unglücklichen Ehe von ihm ſcheiden laſſen, und der ꝛc. Schwendtner ſei dann in übeln Umſtänden verſchollen. Brandolf empfand ſogleich eine

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/194>, abgerufen am 28.04.2024.