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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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zu prüfen, während er nach ihrem Befinden frug und
seine Zufriedenheit über ihre Wiedergenesung ausdrückte.

"Ihr Freund, der gute Herr Doctor," sagte sie leis,
"meint, ich werde gesund werden."

"Er ist davon überzeugt und ich auch, denn er versteht
es!" erwiderte Brandolf und sie fuhr fort:

"Sie haben es nicht gut getroffen mit Ihrer Wohnung!
Statt besorgt und bedient zu werden, wie es sich gehört,
mußten Sie die Wirthin versorgen und bedienen lassen,
die Sie nichts angeht!"

"Ich hätte es ja nicht besser treffen können", antwortete
er mit offenherzigem Vergnügen; "thun Sie uns nur den
Gefallen und lassen sich ferner recht geduldig pflegen und
nichts anfechten! Nicht wahr, Sie versprechen es?"

Er hielt ihr unbefangen und zutraulich die Hand hin
und sie legte ihre fast wesenlose blasse Hand hinein, die
nur durch die Schwäche ein kleines Gewicht erhielt. Zu¬
gleich bildete sich auf dem ernsten Munde ein ungewohntes
unendlich rührendes Lächeln, wie bei einem Kinde, das
diese Kunst zum ersten Male lernt; dasselbe machte aber
Miene, in ein weinerliches Zucken übergehen zu wollen.
Brandolf verschlang das flüchtige kleine Schauspiel mit
durstigen Augen; da er sich jedoch erinnerte, daß er die
Kranke nicht lang hinhalten und aufregen durfte, so drückte
er sanft ihre Hand und empfahl sich.

Er eilte aber auch um seiner selbst, willen davon, weil
es ihn an die freie Luft drängte, ein Freudenliedchen zu

zu prüfen, während er nach ihrem Befinden frug und
ſeine Zufriedenheit über ihre Wiedergeneſung ausdrückte.

„Ihr Freund, der gute Herr Doctor,“ ſagte ſie leis,
„meint, ich werde geſund werden.“

„Er iſt davon überzeugt und ich auch, denn er verſteht
es!“ erwiderte Brandolf und ſie fuhr fort:

„Sie haben es nicht gut getroffen mit Ihrer Wohnung!
Statt beſorgt und bedient zu werden, wie es ſich gehört,
mußten Sie die Wirthin verſorgen und bedienen laſſen,
die Sie nichts angeht!“

„Ich hätte es ja nicht beſſer treffen können“, antwortete
er mit offenherzigem Vergnügen; „thun Sie uns nur den
Gefallen und laſſen ſich ferner recht geduldig pflegen und
nichts anfechten! Nicht wahr, Sie verſprechen es?“

Er hielt ihr unbefangen und zutraulich die Hand hin
und ſie legte ihre faſt weſenloſe blaſſe Hand hinein, die
nur durch die Schwäche ein kleines Gewicht erhielt. Zu¬
gleich bildete ſich auf dem ernſten Munde ein ungewohntes
unendlich rührendes Lächeln, wie bei einem Kinde, das
dieſe Kunſt zum erſten Male lernt; daſſelbe machte aber
Miene, in ein weinerliches Zucken übergehen zu wollen.
Brandolf verſchlang das flüchtige kleine Schauſpiel mit
durſtigen Augen; da er ſich jedoch erinnerte, daß er die
Kranke nicht lang hinhalten und aufregen durfte, ſo drückte
er ſanft ihre Hand und empfahl ſich.

Er eilte aber auch um ſeiner ſelbſt, willen davon, weil
es ihn an die freie Luft drängte, ein Freudenliedchen zu

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[186/0196] zu prüfen, während er nach ihrem Befinden frug und ſeine Zufriedenheit über ihre Wiedergeneſung ausdrückte. „Ihr Freund, der gute Herr Doctor,“ ſagte ſie leis, „meint, ich werde geſund werden.“ „Er iſt davon überzeugt und ich auch, denn er verſteht es!“ erwiderte Brandolf und ſie fuhr fort: „Sie haben es nicht gut getroffen mit Ihrer Wohnung! Statt beſorgt und bedient zu werden, wie es ſich gehört, mußten Sie die Wirthin verſorgen und bedienen laſſen, die Sie nichts angeht!“ „Ich hätte es ja nicht beſſer treffen können“, antwortete er mit offenherzigem Vergnügen; „thun Sie uns nur den Gefallen und laſſen ſich ferner recht geduldig pflegen und nichts anfechten! Nicht wahr, Sie verſprechen es?“ Er hielt ihr unbefangen und zutraulich die Hand hin und ſie legte ihre faſt weſenloſe blaſſe Hand hinein, die nur durch die Schwäche ein kleines Gewicht erhielt. Zu¬ gleich bildete ſich auf dem ernſten Munde ein ungewohntes unendlich rührendes Lächeln, wie bei einem Kinde, das dieſe Kunſt zum erſten Male lernt; daſſelbe machte aber Miene, in ein weinerliches Zucken übergehen zu wollen. Brandolf verſchlang das flüchtige kleine Schauſpiel mit durſtigen Augen; da er ſich jedoch erinnerte, daß er die Kranke nicht lang hinhalten und aufregen durfte, ſo drückte er ſanft ihre Hand und empfahl ſich. Er eilte aber auch um ſeiner ſelbſt, willen davon, weil es ihn an die freie Luft drängte, ein Freudenliedchen zu

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/196>, abgerufen am 29.04.2024.