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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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pfeifen, das er schon begann, während er Mantel und
Hut an sich nahm, um zum Mittagsmahl zu gehen.
Fröhlich begrüßte er die tägliche Tischgesellschaft und ver¬
führte die Herren sogleich zu einem außergewöhnlichen
Gütlichthun, indem er eine Flasche duftenden Rheinweins
bestellte. Einer nach dem Andern folgte dem Beispiel;
es entstand eine bedeutende Heiterkeit, ohne daß Jemand
wußte, was eigentlich die Ursache sei. Schließlich wurde
Brandolf als der Urheber in's Gebet genommen.

"Ei," sagte er, "meine Katze hat Junge, und als ich
heut' eines der Thierchen in die Hand nahm, gingen ihm
in demselben Augenblicke die Aeuglein auf und ich sah
mit ihm die Welt zum ersten Mal."

Die Herren schüttelten lachend die Köpfe ob dem Unsinn;
Brandolf hingegen wurde am gleichen Nachmittage noch
sehr scharfsinnig; denn als er thatlustig auf sein Büreau
ging, wo er die Acten eines in der Provinz hausenden
höheren Justizbeamten zu prüfen hatte, arbeitete er mit
so vergnüglich hellem Geiste, daß eine ausgezeichnete Kritik
zu Stande kam, in Folge welcher jener ungerechte Mann
aus der Ferne erheblich beunruhigt, gemaßregelt und endlich
sogar entsetzt wurde, alles wegen des jungen Kätzleins,
dessen Welterblickung Brandolf gefeiert haben wollte.

Am nächsten Tage wiederholte er seinen Besuch und
brachte der Baronin einige zartgefärbte junge Rosen, die
er im Gewächshause eines Gärtners zusammengesucht.
Sie hielt dieselben in der Hand, die auf der Decke ruhte.

pfeifen, das er ſchon begann, während er Mantel und
Hut an ſich nahm, um zum Mittagsmahl zu gehen.
Fröhlich begrüßte er die tägliche Tiſchgeſellſchaft und ver¬
führte die Herren ſogleich zu einem außergewöhnlichen
Gütlichthun, indem er eine Flaſche duftenden Rheinweins
beſtellte. Einer nach dem Andern folgte dem Beiſpiel;
es entſtand eine bedeutende Heiterkeit, ohne daß Jemand
wußte, was eigentlich die Urſache ſei. Schließlich wurde
Brandolf als der Urheber in's Gebet genommen.

„Ei,“ ſagte er, „meine Katze hat Junge, und als ich
heut' eines der Thierchen in die Hand nahm, gingen ihm
in demſelben Augenblicke die Aeuglein auf und ich ſah
mit ihm die Welt zum erſten Mal.“

Die Herren ſchüttelten lachend die Köpfe ob dem Unſinn;
Brandolf hingegen wurde am gleichen Nachmittage noch
ſehr ſcharfſinnig; denn als er thatluſtig auf ſein Büreau
ging, wo er die Acten eines in der Provinz hauſenden
höheren Juſtizbeamten zu prüfen hatte, arbeitete er mit
ſo vergnüglich hellem Geiſte, daß eine ausgezeichnete Kritik
zu Stande kam, in Folge welcher jener ungerechte Mann
aus der Ferne erheblich beunruhigt, gemaßregelt und endlich
ſogar entſetzt wurde, alles wegen des jungen Kätzleins,
deſſen Welterblickung Brandolf gefeiert haben wollte.

Am nächſten Tage wiederholte er ſeinen Beſuch und
brachte der Baronin einige zartgefärbte junge Roſen, die
er im Gewächshauſe eines Gärtners zuſammengeſucht.
Sie hielt dieſelben in der Hand, die auf der Decke ruhte.

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[187/0197] pfeifen, das er ſchon begann, während er Mantel und Hut an ſich nahm, um zum Mittagsmahl zu gehen. Fröhlich begrüßte er die tägliche Tiſchgeſellſchaft und ver¬ führte die Herren ſogleich zu einem außergewöhnlichen Gütlichthun, indem er eine Flaſche duftenden Rheinweins beſtellte. Einer nach dem Andern folgte dem Beiſpiel; es entſtand eine bedeutende Heiterkeit, ohne daß Jemand wußte, was eigentlich die Urſache ſei. Schließlich wurde Brandolf als der Urheber in's Gebet genommen. „Ei,“ ſagte er, „meine Katze hat Junge, und als ich heut' eines der Thierchen in die Hand nahm, gingen ihm in demſelben Augenblicke die Aeuglein auf und ich ſah mit ihm die Welt zum erſten Mal.“ Die Herren ſchüttelten lachend die Köpfe ob dem Unſinn; Brandolf hingegen wurde am gleichen Nachmittage noch ſehr ſcharfſinnig; denn als er thatluſtig auf ſein Büreau ging, wo er die Acten eines in der Provinz hauſenden höheren Juſtizbeamten zu prüfen hatte, arbeitete er mit ſo vergnüglich hellem Geiſte, daß eine ausgezeichnete Kritik zu Stande kam, in Folge welcher jener ungerechte Mann aus der Ferne erheblich beunruhigt, gemaßregelt und endlich ſogar entſetzt wurde, alles wegen des jungen Kätzleins, deſſen Welterblickung Brandolf gefeiert haben wollte. Am nächſten Tage wiederholte er ſeinen Beſuch und brachte der Baronin einige zartgefärbte junge Roſen, die er im Gewächshauſe eines Gärtners zuſammengeſucht. Sie hielt dieſelben in der Hand, die auf der Decke ruhte.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/197>, abgerufen am 29.04.2024.