mit mir, seinem Schiksal eine Träne des Mit- leids zu weihen.
Jm May 1781. Jch geniesse, Bester! die Freuden der Jahreszeit im vollen Masse. Da ist kein Thal, kein Hügel, den ich nicht schon durchstrichen. Jch freue mich so des Sumsens und Lebens der Geschöpfe unter einander, und weine Dankeszären, daß ich für dieses alles Sinn und Gefühl habe. Da hab ich mir dann auch ein Lieblingspläzchen erkoren, so schaurig und ein- sam, wo selten der Fuß eines Wanderers sich ver- irrt -- hohe Eichen und Büchen umschatten es, und versagen der mittägigen Sonne den Zutritt; ein kleiner Hügel im wallenden Grase, den Tau- sendschön, und Vergißmeinnicht umkränzen, ist mein Lager, und Petrarch und Ossian ruhen neben mir -- Ach! könntest Du mich da einmal in meinem süssen Taumel belauschen, wie ich Deinen und Cidlis Namen in die harte Rinde der Büche schneide, und mich wie ein Kind freue, wenn sie gut geraten! könntest Du aber auch die heissen Thränen sehen, die dem Auge entströmen, wenn mich das Gefühl über- mannet, daß ich einsam bin, daß ich noch nicht fand, was meine Seele so eifrig sucht! Alles in der Natur ist Liebe, wo mein Auge hinschaut, fühlt es den Einfluß dieser allbelebenden Kraft;
mit mir, ſeinem Schikſal eine Traͤne des Mit- leids zu weihen.
Jm May 1781. Jch genieſſe, Beſter! die Freuden der Jahreszeit im vollen Maſſe. Da iſt kein Thal, kein Huͤgel, den ich nicht ſchon durchſtrichen. Jch freue mich ſo des Sumſens und Lebens der Geſchoͤpfe unter einander, und weine Dankeszaͤren, daß ich fuͤr dieſes alles Sinn und Gefuͤhl habe. Da hab ich mir dann auch ein Lieblingsplaͤzchen erkoren, ſo ſchaurig und ein- ſam, wo ſelten der Fuß eines Wanderers ſich ver- irrt — hohe Eichen und Buͤchen umſchatten es, und verſagen der mittaͤgigen Sonne den Zutritt; ein kleiner Huͤgel im wallenden Graſe, den Tau- ſendſchoͤn, und Vergißmeinnicht umkraͤnzen, iſt mein Lager, und Petrarch und Oſſian ruhen neben mir — Ach! koͤnnteſt Du mich da einmal in meinem ſuͤſſen Taumel belauſchen, wie ich Deinen und Cidlis Namen in die harte Rinde der Buͤche ſchneide, und mich wie ein Kind freue, wenn ſie gut geraten! koͤnnteſt Du aber auch die heiſſen Thraͤnen ſehen, die dem Auge entſtroͤmen, wenn mich das Gefuͤhl uͤber- mannet, daß ich einſam bin, daß ich noch nicht fand, was meine Seele ſo eifrig ſucht! Alles in der Natur iſt Liebe, wo mein Auge hinſchaut, fuͤhlt es den Einfluß dieſer allbelebenden Kraft;
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mit mir, ſeinem Schikſal eine Traͤne des Mit-
leids zu weihen.
Jm May 1781.
Jch genieſſe, Beſter! die Freuden der Jahreszeit
im vollen Maſſe. Da iſt kein Thal, kein Huͤgel, den
ich nicht ſchon durchſtrichen. Jch freue mich ſo des
Sumſens und Lebens der Geſchoͤpfe unter einander,
und weine Dankeszaͤren, daß ich fuͤr dieſes alles
Sinn und Gefuͤhl habe. Da hab ich mir dann auch
ein Lieblingsplaͤzchen erkoren, ſo ſchaurig und ein-
ſam, wo ſelten der Fuß eines Wanderers ſich ver-
irrt — hohe Eichen und Buͤchen umſchatten es,
und verſagen der mittaͤgigen Sonne den Zutritt;
ein kleiner Huͤgel im wallenden Graſe, den Tau-
ſendſchoͤn, und Vergißmeinnicht umkraͤnzen, iſt mein
Lager, und Petrarch und Oſſian ruhen neben mir —
Ach! koͤnnteſt Du mich da einmal in meinem ſuͤſſen
Taumel belauſchen, wie ich Deinen und Cidlis
Namen in die harte Rinde der Buͤche ſchneide,
und mich wie ein Kind freue, wenn ſie gut geraten!
koͤnnteſt Du aber auch die heiſſen Thraͤnen ſehen, die
dem Auge entſtroͤmen, wenn mich das Gefuͤhl uͤber-
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fand, was meine Seele ſo eifrig ſucht! Alles in
der Natur iſt Liebe, wo mein Auge hinſchaut,
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/244>, abgerufen am 03.05.2024.
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