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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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bekommen. Es war ein bereits gänzlich heruntergekommener
Artikel. Man lieferte ihm das Material dazu ins Haus.
Da er Thomas Beyer durchaus nicht los werden
konnte und das Herumpfuschen desselben nicht mehr
mit anzusehen vermochte, so ließ er die Arbeit von
ihm und dem Lehrling verrichten. Er selbst fand nirgends
Ruhe, lief aus einem Zimmer ins andere, rechnete dann
wieder Stunden lang, wie viel er wohl an der neuen Arbeit
verdienen würde und setzte dann plötzlich wieder den Hut auf,
um mit seinem Musterpacket von dannen zu gehen.

Des Nachmittags bestieg er wieder die "Wart", um den
Bau der Stadtbahn zu verfolgen. An dieser Stelle legte
man an dem Rohwerk gerade die letzte Hand an. Der alte
Maurer, mit dem er sich so gern unterhielt, war immer noch
auf seinem Posten. Dann hieß es hintereinander: "Na,
Meister Klatt, wieder so fleißig?" ... "Na, Meister Timpe,
schmeckt der Tabak?" Schönes Wetter heute?" ...
"Bis wie lange! da hinten zieht's dick herauf. Es wird bald
nasse Droppen geben."

Und nach dieser Einleitungsrede, die sich fast immer in
denselben Bahnen bewegte, kam das Gespräch dann auf die
Vorgänge des Tages und nahm zeitweilig einen weltweisen
Charakter an.

"Hören Sie mal, Meister Klatt", begann der Drechsler
einmal, "ich möchte wohl wissen, wie viel Steine Sie
in Ihrem Leben schon gemauert haben." "Hurrjeh",
machte der Mann im weißen Kittel, ließ sofort die Kelle
fallen, reckte sich und brachte mit vieler Umständlichkeit
die ausgegangene Pfeife in Brand, was sehr oft
geschah, denn er rauchte einen Knaster, der wie ein Stroh¬

bekommen. Es war ein bereits gänzlich heruntergekommener
Artikel. Man lieferte ihm das Material dazu ins Haus.
Da er Thomas Beyer durchaus nicht los werden
konnte und das Herumpfuſchen deſſelben nicht mehr
mit anzuſehen vermochte, ſo ließ er die Arbeit von
ihm und dem Lehrling verrichten. Er ſelbſt fand nirgends
Ruhe, lief aus einem Zimmer ins andere, rechnete dann
wieder Stunden lang, wie viel er wohl an der neuen Arbeit
verdienen würde und ſetzte dann plötzlich wieder den Hut auf,
um mit ſeinem Muſterpacket von dannen zu gehen.

Des Nachmittags beſtieg er wieder die „Wart“, um den
Bau der Stadtbahn zu verfolgen. An dieſer Stelle legte
man an dem Rohwerk gerade die letzte Hand an. Der alte
Maurer, mit dem er ſich ſo gern unterhielt, war immer noch
auf ſeinem Poſten. Dann hieß es hintereinander: „Na,
Meiſter Klatt, wieder ſo fleißig?“ ... „Na, Meiſter Timpe,
ſchmeckt der Tabak?“ Schönes Wetter heute?“ ...
„Bis wie lange! da hinten zieht's dick herauf. Es wird bald
naſſe Droppen geben.“

Und nach dieſer Einleitungsrede, die ſich faſt immer in
denſelben Bahnen bewegte, kam das Geſpräch dann auf die
Vorgänge des Tages und nahm zeitweilig einen weltweiſen
Charakter an.

„Hören Sie mal, Meiſter Klatt“, begann der Drechsler
einmal, „ich möchte wohl wiſſen, wie viel Steine Sie
in Ihrem Leben ſchon gemauert haben.“ „Hurrjeh“,
machte der Mann im weißen Kittel, ließ ſofort die Kelle
fallen, reckte ſich und brachte mit vieler Umſtändlichkeit
die ausgegangene Pfeife in Brand, was ſehr oft
geſchah, denn er rauchte einen Knaſter, der wie ein Stroh¬

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[238/0250] bekommen. Es war ein bereits gänzlich heruntergekommener Artikel. Man lieferte ihm das Material dazu ins Haus. Da er Thomas Beyer durchaus nicht los werden konnte und das Herumpfuſchen deſſelben nicht mehr mit anzuſehen vermochte, ſo ließ er die Arbeit von ihm und dem Lehrling verrichten. Er ſelbſt fand nirgends Ruhe, lief aus einem Zimmer ins andere, rechnete dann wieder Stunden lang, wie viel er wohl an der neuen Arbeit verdienen würde und ſetzte dann plötzlich wieder den Hut auf, um mit ſeinem Muſterpacket von dannen zu gehen. Des Nachmittags beſtieg er wieder die „Wart“, um den Bau der Stadtbahn zu verfolgen. An dieſer Stelle legte man an dem Rohwerk gerade die letzte Hand an. Der alte Maurer, mit dem er ſich ſo gern unterhielt, war immer noch auf ſeinem Poſten. Dann hieß es hintereinander: „Na, Meiſter Klatt, wieder ſo fleißig?“ ... „Na, Meiſter Timpe, ſchmeckt der Tabak?“ Schönes Wetter heute?“ ... „Bis wie lange! da hinten zieht's dick herauf. Es wird bald naſſe Droppen geben.“ Und nach dieſer Einleitungsrede, die ſich faſt immer in denſelben Bahnen bewegte, kam das Geſpräch dann auf die Vorgänge des Tages und nahm zeitweilig einen weltweiſen Charakter an. „Hören Sie mal, Meiſter Klatt“, begann der Drechsler einmal, „ich möchte wohl wiſſen, wie viel Steine Sie in Ihrem Leben ſchon gemauert haben.“ „Hurrjeh“, machte der Mann im weißen Kittel, ließ ſofort die Kelle fallen, reckte ſich und brachte mit vieler Umſtändlichkeit die ausgegangene Pfeife in Brand, was ſehr oft geſchah, denn er rauchte einen Knaſter, der wie ein Stroh¬

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/250>, abgerufen am 29.04.2024.