Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

gefahrenen Geleise wieder einkarreten. Abgesehen, daß Ihre Ansprüche
auf jene gesetzliche Retourfahrt lange nicht so liquid sein dürften, als
Sie sich vorzustellen scheinen. Wer aber ein wirkliches Recht daran
hat, der mache es geltend -- zum Scheine wenigstens -- denn der
Erfolg wird dieser sein: der Schiffsmakler wird versuchen, Ihnen ein
paar Dollars Abstandsgeld zu bieten, die nehmen Sie an, nachdem
sie so viel als möglich gesteigert haben, und nun haben Sie Reise¬
geld! Gehen Sie damit nach Pennsilvanien oder Ohio und ich will
"damned dutch" sein, wenn Sie dort die Arbeit nicht finden, die Ih¬
nen hier versagt. Das ist der Gebrauch, den Sie von jener Mit¬
theilung machen können. Ich wollte, Sie hätten dieselbe, anstatt teu¬
tonischen Rückwärts-Chorus anzustimmen, gleich selbst in diesem Sinne
aufgefaßt; es wäre ein hübsches Zeichen gewesen, daß Sie vom ame¬
rikanischen Geiste bereits ein paar Tropfen Taufwasser empfangen. --

Und nun, meine Herren, lassen Sie mich noch einmal Abschied
nehmen. Nächste Woche finde ich vielleicht Manchen von Ihnen nicht
mehr hier, aber nicht weil er nach Deutschland zurückkehrte, sondern
weil er nach Taglohn aus ist -- wenn ich mir's, schmeicheln darf.
Wer es immer sei, der sich zu diesem Anfang entschließen wird -- er
sei beglückwünscht! Und wer es nicht thut, der störe mindestens den
Andern nicht. Der Amerikaner achtet jede Arbeit, denn keine ist
ihm ein Dienst. Diener und Dienstherr speisen an demselben Tische
und jeder spuckt genau in dieselbe Distanz vor sich aus -- ein äußerer
Gradmesser ihres inneren Selbstgefühls. Nur der Deutsche ist's, der
seinen Landsmann mißachtet, oder der sich selbst erniedrigt und ver¬
knechtet fühlt, und kaum zum Tageslicht aufzublicken wagt, wenn ihn
Jemand mit der Schaufel in der Hand betritt, der ihn mit der Feder
hinterm Ohr gekannt hat. Fluch diesem Unsinn! Fluch dieser Hand¬
werksehre, welche Menschenschande ist! Ich speiste einst, meine Herren,
bei einem Banquier in Deutschland. Es war mitten im Januar und
wir hatten frische Erdbeeren und Pfirsiche zum Dessert. Aber draußen
auf der Galerie weinte das kleine Töchterchen des Hauses, und fragte
mich im Vorbeigehen, ob ich ihr kein Brodrindchen zustecken könnte.
Nach drei Tagen war der Banquier todt und seine Leute begruben
ihn schnell, damit die Giftflecke an der Leiche nicht zum Vorschein
kämen. Das war deutsche Handwerksehre! -- Mein Mr. Mockingbird

9 *

gefahrenen Geleiſe wieder einkarreten. Abgeſehen, daß Ihre Anſprüche
auf jene geſetzliche Retourfahrt lange nicht ſo liquid ſein dürften, als
Sie ſich vorzuſtellen ſcheinen. Wer aber ein wirkliches Recht daran
hat, der mache es geltend — zum Scheine wenigſtens — denn der
Erfolg wird dieſer ſein: der Schiffsmakler wird verſuchen, Ihnen ein
paar Dollars Abſtandsgeld zu bieten, die nehmen Sie an, nachdem
ſie ſo viel als möglich geſteigert haben, und nun haben Sie Reiſe¬
geld! Gehen Sie damit nach Pennſilvanien oder Ohio und ich will
„damned dutch“ ſein, wenn Sie dort die Arbeit nicht finden, die Ih¬
nen hier verſagt. Das iſt der Gebrauch, den Sie von jener Mit¬
theilung machen können. Ich wollte, Sie hätten dieſelbe, anſtatt teu¬
toniſchen Rückwärts-Chorus anzuſtimmen, gleich ſelbſt in dieſem Sinne
aufgefaßt; es wäre ein hübſches Zeichen geweſen, daß Sie vom ame¬
rikaniſchen Geiſte bereits ein paar Tropfen Taufwaſſer empfangen. —

Und nun, meine Herren, laſſen Sie mich noch einmal Abſchied
nehmen. Nächſte Woche finde ich vielleicht Manchen von Ihnen nicht
mehr hier, aber nicht weil er nach Deutſchland zurückkehrte, ſondern
weil er nach Taglohn aus iſt — wenn ich mir's, ſchmeicheln darf.
Wer es immer ſei, der ſich zu dieſem Anfang entſchließen wird — er
ſei beglückwünſcht! Und wer es nicht thut, der ſtöre mindeſtens den
Andern nicht. Der Amerikaner achtet jede Arbeit, denn keine iſt
ihm ein Dienſt. Diener und Dienſtherr ſpeiſen an demſelben Tiſche
und jeder ſpuckt genau in dieſelbe Diſtanz vor ſich aus — ein äußerer
Gradmeſſer ihres inneren Selbſtgefühls. Nur der Deutſche iſt's, der
ſeinen Landsmann mißachtet, oder der ſich ſelbſt erniedrigt und ver¬
knechtet fühlt, und kaum zum Tageslicht aufzublicken wagt, wenn ihn
Jemand mit der Schaufel in der Hand betritt, der ihn mit der Feder
hinterm Ohr gekannt hat. Fluch dieſem Unſinn! Fluch dieſer Hand¬
werksehre, welche Menſchenſchande iſt! Ich ſpeiſte einſt, meine Herren,
bei einem Banquier in Deutſchland. Es war mitten im Januar und
wir hatten friſche Erdbeeren und Pfirſiche zum Deſſert. Aber draußen
auf der Galerie weinte das kleine Töchterchen des Hauſes, und fragte
mich im Vorbeigehen, ob ich ihr kein Brodrindchen zuſtecken könnte.
Nach drei Tagen war der Banquier todt und ſeine Leute begruben
ihn ſchnell, damit die Giftflecke an der Leiche nicht zum Vorſchein
kämen. Das war deutſche Handwerksehre! — Mein Mr. Mockingbird

9 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0149" n="131"/>
gefahrenen Gelei&#x017F;e wieder einkarreten. Abge&#x017F;ehen, daß Ihre An&#x017F;prüche<lb/>
auf jene ge&#x017F;etzliche Retourfahrt lange nicht &#x017F;o liquid &#x017F;ein dürften, als<lb/>
Sie &#x017F;ich vorzu&#x017F;tellen &#x017F;cheinen. Wer aber ein wirkliches Recht daran<lb/>
hat, der mache es geltend &#x2014; zum Scheine wenig&#x017F;tens &#x2014; denn der<lb/>
Erfolg wird die&#x017F;er &#x017F;ein: der Schiffsmakler wird ver&#x017F;uchen, Ihnen ein<lb/>
paar Dollars Ab&#x017F;tandsgeld zu bieten, die nehmen Sie an, nachdem<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;o viel als möglich ge&#x017F;teigert haben, und nun haben Sie Rei&#x017F;<lb/>
geld! Gehen Sie damit nach Penn&#x017F;ilvanien oder Ohio und ich will<lb/>
&#x201E;damned dutch&#x201C; &#x017F;ein, wenn Sie dort die Arbeit nicht finden, die Ih¬<lb/>
nen hier ver&#x017F;agt. Das i&#x017F;t der Gebrauch, den Sie von jener Mit¬<lb/>
theilung machen können. Ich wollte, Sie hätten die&#x017F;elbe, an&#x017F;tatt teu¬<lb/>
toni&#x017F;chen Rückwärts-Chorus anzu&#x017F;timmen, gleich &#x017F;elb&#x017F;t in die&#x017F;em Sinne<lb/>
aufgefaßt; es wäre ein hüb&#x017F;ches Zeichen gewe&#x017F;en, daß Sie vom ame¬<lb/>
rikani&#x017F;chen Gei&#x017F;te bereits ein paar Tropfen Taufwa&#x017F;&#x017F;er empfangen. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Und nun, meine Herren, la&#x017F;&#x017F;en Sie mich noch einmal Ab&#x017F;chied<lb/>
nehmen. Näch&#x017F;te Woche finde ich vielleicht Manchen von Ihnen nicht<lb/>
mehr hier, aber nicht weil er nach Deut&#x017F;chland zurückkehrte, &#x017F;ondern<lb/>
weil er nach Taglohn aus i&#x017F;t &#x2014; wenn ich mir's, &#x017F;chmeicheln darf.<lb/>
Wer es immer &#x017F;ei, der &#x017F;ich zu die&#x017F;em Anfang ent&#x017F;chließen wird &#x2014; er<lb/>
&#x017F;ei beglückwün&#x017F;cht! Und wer es nicht thut, der &#x017F;töre minde&#x017F;tens den<lb/>
Andern nicht. Der Amerikaner achtet jede <hi rendition="#g">Arbeit</hi>, denn keine i&#x017F;t<lb/>
ihm ein <hi rendition="#g">Dien&#x017F;t</hi>. Diener und Dien&#x017F;therr &#x017F;pei&#x017F;en an dem&#x017F;elben Ti&#x017F;che<lb/>
und jeder &#x017F;puckt genau in die&#x017F;elbe Di&#x017F;tanz vor &#x017F;ich aus &#x2014; ein äußerer<lb/>
Gradme&#x017F;&#x017F;er ihres inneren Selb&#x017F;tgefühls. Nur der Deut&#x017F;che i&#x017F;t's, der<lb/>
&#x017F;einen Landsmann mißachtet, oder der &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t erniedrigt und ver¬<lb/>
knechtet fühlt, und kaum zum Tageslicht aufzublicken wagt, wenn ihn<lb/>
Jemand mit der Schaufel in der Hand betritt, der ihn mit der Feder<lb/>
hinterm Ohr gekannt hat. Fluch die&#x017F;em Un&#x017F;inn! Fluch die&#x017F;er Hand¬<lb/>
werksehre, welche Men&#x017F;chen&#x017F;chande i&#x017F;t! Ich &#x017F;pei&#x017F;te ein&#x017F;t, meine Herren,<lb/>
bei einem Banquier in Deut&#x017F;chland. Es war mitten im Januar und<lb/>
wir hatten fri&#x017F;che Erdbeeren und Pfir&#x017F;iche zum De&#x017F;&#x017F;ert. Aber draußen<lb/>
auf der Galerie weinte das kleine Töchterchen des Hau&#x017F;es, und fragte<lb/>
mich im Vorbeigehen, ob ich ihr kein Brodrindchen zu&#x017F;tecken könnte.<lb/>
Nach drei Tagen war der Banquier todt und &#x017F;eine Leute begruben<lb/>
ihn &#x017F;chnell, damit die Giftflecke an der Leiche nicht zum Vor&#x017F;chein<lb/>
kämen. Das war deut&#x017F;che Handwerksehre! &#x2014; Mein Mr. Mockingbird<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">9 *<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0149] gefahrenen Geleiſe wieder einkarreten. Abgeſehen, daß Ihre Anſprüche auf jene geſetzliche Retourfahrt lange nicht ſo liquid ſein dürften, als Sie ſich vorzuſtellen ſcheinen. Wer aber ein wirkliches Recht daran hat, der mache es geltend — zum Scheine wenigſtens — denn der Erfolg wird dieſer ſein: der Schiffsmakler wird verſuchen, Ihnen ein paar Dollars Abſtandsgeld zu bieten, die nehmen Sie an, nachdem ſie ſo viel als möglich geſteigert haben, und nun haben Sie Reiſe¬ geld! Gehen Sie damit nach Pennſilvanien oder Ohio und ich will „damned dutch“ ſein, wenn Sie dort die Arbeit nicht finden, die Ih¬ nen hier verſagt. Das iſt der Gebrauch, den Sie von jener Mit¬ theilung machen können. Ich wollte, Sie hätten dieſelbe, anſtatt teu¬ toniſchen Rückwärts-Chorus anzuſtimmen, gleich ſelbſt in dieſem Sinne aufgefaßt; es wäre ein hübſches Zeichen geweſen, daß Sie vom ame¬ rikaniſchen Geiſte bereits ein paar Tropfen Taufwaſſer empfangen. — Und nun, meine Herren, laſſen Sie mich noch einmal Abſchied nehmen. Nächſte Woche finde ich vielleicht Manchen von Ihnen nicht mehr hier, aber nicht weil er nach Deutſchland zurückkehrte, ſondern weil er nach Taglohn aus iſt — wenn ich mir's, ſchmeicheln darf. Wer es immer ſei, der ſich zu dieſem Anfang entſchließen wird — er ſei beglückwünſcht! Und wer es nicht thut, der ſtöre mindeſtens den Andern nicht. Der Amerikaner achtet jede Arbeit, denn keine iſt ihm ein Dienſt. Diener und Dienſtherr ſpeiſen an demſelben Tiſche und jeder ſpuckt genau in dieſelbe Diſtanz vor ſich aus — ein äußerer Gradmeſſer ihres inneren Selbſtgefühls. Nur der Deutſche iſt's, der ſeinen Landsmann mißachtet, oder der ſich ſelbſt erniedrigt und ver¬ knechtet fühlt, und kaum zum Tageslicht aufzublicken wagt, wenn ihn Jemand mit der Schaufel in der Hand betritt, der ihn mit der Feder hinterm Ohr gekannt hat. Fluch dieſem Unſinn! Fluch dieſer Hand¬ werksehre, welche Menſchenſchande iſt! Ich ſpeiſte einſt, meine Herren, bei einem Banquier in Deutſchland. Es war mitten im Januar und wir hatten friſche Erdbeeren und Pfirſiche zum Deſſert. Aber draußen auf der Galerie weinte das kleine Töchterchen des Hauſes, und fragte mich im Vorbeigehen, ob ich ihr kein Brodrindchen zuſtecken könnte. Nach drei Tagen war der Banquier todt und ſeine Leute begruben ihn ſchnell, damit die Giftflecke an der Leiche nicht zum Vorſchein kämen. Das war deutſche Handwerksehre! — Mein Mr. Mockingbird 9 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/149
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/149>, abgerufen am 26.04.2024.