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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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weist sie voll Zorn und Verlegenheit fort, da wird das Maß der
überreizten Seele voll. Ekstatisch fällt sie auf die Knie, ringt die
Hände, und fleht in dem imposanten, sinnlos-erhabenen Schwall ihrer
Missionsmystiker den Himmel um seinen Beistand an. Das Wunder
geschieht. Verklärt springt sie auf. Sieg leuchtet ihr seherisches Auge,
sie öffnet den Mund, die Sprache der Stael und der Martineau
sprudelt wie eine Cascade über die gottbegnadeten Lippen. Der Salon
erstarrt. In einer Minute hat Fama ihre Lauffeuer angezündet, das
Volk sperrt die Straße, selig wer zuerst die neuen Sprachlaute der
neuen Prophetin vernimmt; Kranke lassen sich ihre Hände auflegen,
der Saum ihrer Kleider wird geküßt. -- In einem Thale Pennsyl¬
vaniens, wohin sie der Einladung eines Gläubigen folgte, ist sie jetzt
Prophetin. Sie bewohnt einen Palast und fährt mit Vieren und
zählt ihre Gemeinde nach Tausenden. Aus diesem Glanze heraus --
denn wunderbar ist das Frauenherz -- hat sie mir wieder ihre Hand
angeboten; zum Danke für so viel Treue gelobt' ich ihr auf ewig
jenes Mädchenpensionat zu verschweigen, in welchem sie französisch und
englisch gelernt. Haben Sie aber Lust, einen Kopf voll Tiefsinn und
Vernunft zu riskiren, so gehen Sie in das Killanythal und zweifeln
Sie an dem Pfingstwunder der Miß Mina. Der Yankee schlägt sich
für sie, wie nur ein Mensch für das Göttliche kämpft. Die witzige
Ladenmamsell ist ein Theil des amerikanischen Logos geworden.

Ich antwortete: Wo die Menschheit in so verzerrten Zügen auf¬
tritt, wie hier, da bleibt nichts anders übrig, als sie zu begreifen.
Denn nur holde Räthsel läßt man sich gefallen, ärgerliche muß man
wenigstens auflösen, um sie erträglich zu machen. Ich kann die Mög¬
lichkeit dieses plumpen Wunderglaubens einsehen. Das Volk hat nun
einmal keine Vergangenheit. Warum sollte es vergangene Wunder
haben? Es will gegenwärtige! Es ist zu praktisch, zu ungeduldig, um
nicht selbst zu leisten, was andere Menschen, was andere Zeiten auch
geleistet haben. Seine einzige Geistesnahrung, die Bibel, stellt ihm
ein auserwähltes Volk mit seinen Propheten auf. Man denke sich
dabei die Gährung iu einer amerikanischen Brust! Bekanntlich ist
Bruder Jonathan sich selbst das auserwählteste aller Völker. Der liebe
Gott sollte mit Juden umgegangen sein und mit Amerikanern nicht

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weist ſie voll Zorn und Verlegenheit fort, da wird das Maß der
überreizten Seele voll. Ekſtatiſch fällt ſie auf die Knie, ringt die
Hände, und fleht in dem impoſanten, ſinnlos-erhabenen Schwall ihrer
Miſſionsmyſtiker den Himmel um ſeinen Beiſtand an. Das Wunder
geſchieht. Verklärt ſpringt ſie auf. Sieg leuchtet ihr ſeheriſches Auge,
ſie öffnet den Mund, die Sprache der Staël und der Martineau
ſprudelt wie eine Cascade über die gottbegnadeten Lippen. Der Salon
erſtarrt. In einer Minute hat Fama ihre Lauffeuer angezündet, das
Volk ſperrt die Straße, ſelig wer zuerſt die neuen Sprachlaute der
neuen Prophetin vernimmt; Kranke laſſen ſich ihre Hände auflegen,
der Saum ihrer Kleider wird geküßt. — In einem Thale Pennſyl¬
vaniens, wohin ſie der Einladung eines Gläubigen folgte, iſt ſie jetzt
Prophetin. Sie bewohnt einen Palaſt und fährt mit Vieren und
zählt ihre Gemeinde nach Tauſenden. Aus dieſem Glanze heraus —
denn wunderbar iſt das Frauenherz — hat ſie mir wieder ihre Hand
angeboten; zum Danke für ſo viel Treue gelobt' ich ihr auf ewig
jenes Mädchenpenſionat zu verſchweigen, in welchem ſie franzöſiſch und
engliſch gelernt. Haben Sie aber Luſt, einen Kopf voll Tiefſinn und
Vernunft zu riskiren, ſo gehen Sie in das Killanythal und zweifeln
Sie an dem Pfingſtwunder der Miß Mina. Der Yankee ſchlägt ſich
für ſie, wie nur ein Menſch für das Göttliche kämpft. Die witzige
Ladenmamſell iſt ein Theil des amerikaniſchen Logos geworden.

Ich antwortete: Wo die Menſchheit in ſo verzerrten Zügen auf¬
tritt, wie hier, da bleibt nichts anders übrig, als ſie zu begreifen.
Denn nur holde Räthſel läßt man ſich gefallen, ärgerliche muß man
wenigſtens auflöſen, um ſie erträglich zu machen. Ich kann die Mög¬
lichkeit dieſes plumpen Wunderglaubens einſehen. Das Volk hat nun
einmal keine Vergangenheit. Warum ſollte es vergangene Wunder
haben? Es will gegenwärtige! Es iſt zu praktiſch, zu ungeduldig, um
nicht ſelbſt zu leiſten, was andere Menſchen, was andere Zeiten auch
geleiſtet haben. Seine einzige Geiſtesnahrung, die Bibel, ſtellt ihm
ein auserwähltes Volk mit ſeinen Propheten auf. Man denke ſich
dabei die Gährung iu einer amerikaniſchen Bruſt! Bekanntlich iſt
Bruder Jonathan ſich ſelbſt das auserwählteſte aller Völker. Der liebe
Gott ſollte mit Juden umgegangen ſein und mit Amerikanern nicht

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[391/0409] weist ſie voll Zorn und Verlegenheit fort, da wird das Maß der überreizten Seele voll. Ekſtatiſch fällt ſie auf die Knie, ringt die Hände, und fleht in dem impoſanten, ſinnlos-erhabenen Schwall ihrer Miſſionsmyſtiker den Himmel um ſeinen Beiſtand an. Das Wunder geſchieht. Verklärt ſpringt ſie auf. Sieg leuchtet ihr ſeheriſches Auge, ſie öffnet den Mund, die Sprache der Staël und der Martineau ſprudelt wie eine Cascade über die gottbegnadeten Lippen. Der Salon erſtarrt. In einer Minute hat Fama ihre Lauffeuer angezündet, das Volk ſperrt die Straße, ſelig wer zuerſt die neuen Sprachlaute der neuen Prophetin vernimmt; Kranke laſſen ſich ihre Hände auflegen, der Saum ihrer Kleider wird geküßt. — In einem Thale Pennſyl¬ vaniens, wohin ſie der Einladung eines Gläubigen folgte, iſt ſie jetzt Prophetin. Sie bewohnt einen Palaſt und fährt mit Vieren und zählt ihre Gemeinde nach Tauſenden. Aus dieſem Glanze heraus — denn wunderbar iſt das Frauenherz — hat ſie mir wieder ihre Hand angeboten; zum Danke für ſo viel Treue gelobt' ich ihr auf ewig jenes Mädchenpenſionat zu verſchweigen, in welchem ſie franzöſiſch und engliſch gelernt. Haben Sie aber Luſt, einen Kopf voll Tiefſinn und Vernunft zu riskiren, ſo gehen Sie in das Killanythal und zweifeln Sie an dem Pfingſtwunder der Miß Mina. Der Yankee ſchlägt ſich für ſie, wie nur ein Menſch für das Göttliche kämpft. Die witzige Ladenmamſell iſt ein Theil des amerikaniſchen Logos geworden. Ich antwortete: Wo die Menſchheit in ſo verzerrten Zügen auf¬ tritt, wie hier, da bleibt nichts anders übrig, als ſie zu begreifen. Denn nur holde Räthſel läßt man ſich gefallen, ärgerliche muß man wenigſtens auflöſen, um ſie erträglich zu machen. Ich kann die Mög¬ lichkeit dieſes plumpen Wunderglaubens einſehen. Das Volk hat nun einmal keine Vergangenheit. Warum ſollte es vergangene Wunder haben? Es will gegenwärtige! Es iſt zu praktiſch, zu ungeduldig, um nicht ſelbſt zu leiſten, was andere Menſchen, was andere Zeiten auch geleiſtet haben. Seine einzige Geiſtesnahrung, die Bibel, ſtellt ihm ein auserwähltes Volk mit ſeinen Propheten auf. Man denke ſich dabei die Gährung iu einer amerikaniſchen Bruſt! Bekanntlich iſt Bruder Jonathan ſich ſelbſt das auserwählteſte aller Völker. Der liebe Gott ſollte mit Juden umgegangen ſein und mit Amerikanern nicht 26*

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/409>, abgerufen am 13.05.2024.