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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

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es mir wenigstens interessant und für eine Novelle brauch¬
bar erscheint, ich würde wahrlich nicht so gutes Muthes
sein. Ich lache doch alle Wochen wenigstens einmal.
Auch les' ich jetzt fleißig in der Bibel; ich will doch
mit Vernunft über den Unsinn raisonniren, nach 1800
Jahren noch immer ungestört von einem Buch sich gän¬
geln zu lassen, was unwissende Schüler einem großen
Meister nachlallten. Die "Menschenrechte" daneben ge¬
ben die Glossen dazu.

Die weibliche Nachbarschaft mit ihren Gewissens¬
fragen in Grünschloß amüsiret mich sehr. Die Weiber
sind noch heute wie die Helden in den alten Novellen,
die sich beim ersten Begegnen ihre Lebensgeschichten ab¬
fragen. Macht Ihr noch keine Sonette? Diese Dich¬
tungsart ist ja wie für Eure Lage erfunden. Man
muß beim Sonett nur immer die Form in größter
Vollkommenheit voraussetzen und so wie die Fär¬
bung beim Gemälde, der Stein bei der Bildsäule
Bestandtheile der Schönheit sein können, wenn auch
der Gedanke die Hauptsache bleibt, so ist's auch
beim Sonett. Das äußerlich Glänzende vertheidigt
Niemand weniger als ich, aber beim Sonett darfs
nicht blos dieses sein: den äußern Glanz muß eben die

es mir wenigſtens intereſſant und für eine Novelle brauch¬
bar erſcheint, ich würde wahrlich nicht ſo gutes Muthes
ſein. Ich lache doch alle Wochen wenigſtens einmal.
Auch leſ' ich jetzt fleißig in der Bibel; ich will doch
mit Vernunft über den Unſinn raiſonniren, nach 1800
Jahren noch immer ungeſtört von einem Buch ſich gän¬
geln zu laſſen, was unwiſſende Schüler einem großen
Meiſter nachlallten. Die „Menſchenrechte“ daneben ge¬
ben die Gloſſen dazu.

Die weibliche Nachbarſchaft mit ihren Gewiſſens¬
fragen in Grünſchloß amüſiret mich ſehr. Die Weiber
ſind noch heute wie die Helden in den alten Novellen,
die ſich beim erſten Begegnen ihre Lebensgeſchichten ab¬
fragen. Macht Ihr noch keine Sonette? Dieſe Dich¬
tungsart iſt ja wie für Eure Lage erfunden. Man
muß beim Sonett nur immer die Form in größter
Vollkommenheit vorausſetzen und ſo wie die Fär¬
bung beim Gemälde, der Stein bei der Bildſäule
Beſtandtheile der Schönheit ſein können, wenn auch
der Gedanke die Hauptſache bleibt, ſo iſt's auch
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[108/0118] es mir wenigſtens intereſſant und für eine Novelle brauch¬ bar erſcheint, ich würde wahrlich nicht ſo gutes Muthes ſein. Ich lache doch alle Wochen wenigſtens einmal. Auch leſ' ich jetzt fleißig in der Bibel; ich will doch mit Vernunft über den Unſinn raiſonniren, nach 1800 Jahren noch immer ungeſtört von einem Buch ſich gän¬ geln zu laſſen, was unwiſſende Schüler einem großen Meiſter nachlallten. Die „Menſchenrechte“ daneben ge¬ ben die Gloſſen dazu. Die weibliche Nachbarſchaft mit ihren Gewiſſens¬ fragen in Grünſchloß amüſiret mich ſehr. Die Weiber ſind noch heute wie die Helden in den alten Novellen, die ſich beim erſten Begegnen ihre Lebensgeſchichten ab¬ fragen. Macht Ihr noch keine Sonette? Dieſe Dich¬ tungsart iſt ja wie für Eure Lage erfunden. Man muß beim Sonett nur immer die Form in größter Vollkommenheit vorausſetzen und ſo wie die Fär¬ bung beim Gemälde, der Stein bei der Bildſäule Beſtandtheile der Schönheit ſein können, wenn auch der Gedanke die Hauptſache bleibt, ſo iſt's auch beim Sonett. Das äußerlich Glänzende vertheidigt Niemand weniger als ich, aber beim Sonett darfs nicht blos dieſes ſein: den äußern Glanz muß eben die

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/118>, abgerufen am 28.04.2024.