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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

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ihre Jugend. Sie gleicht dem jungen Bürger in der
hoch und dumpfgebauten Reichsstadt, er schleicht aus
dem strahlendsten Sonnenschein, der vor den Thoren
üppig seine Arme um die Erde schlägt, aus der lebendi¬
gen Menschenmenge, die sich laut des Daseins freut,
auf das düstre Stübchen seines Mädchens, und oben
in der dunklen Einsamkeit sind Beide froh, daß nicht
Sonnenschein noch Menschenwoge zu ihnen dringt. Dies
äußerlich aristokratische Absonderungswesen ist aller jun¬
gen Liebe eigen. Ich freute mich noch aus vielen an¬
dern Gründen über Camillas Vorschlag. Ist doch
meine öffentliche Liebe Sünde gegen Clara. Fragst
Du mich, warum ich mein Clärchen nicht suche, da ich
doch erfahren, sie sei noch frei, und harre wahrscheinlich
ihres alten Geliebten, so kann ich Dir nicht viel Tröst¬
liches für die meisten Leute erwidern. Der Liebesharm
ist eine süße Krankheit, die mit dem schönsten Schmerz
beglückt und mit reiferer Gesundheit endet. Der teut¬
sche Liebesharm ist ein chronisches Uebel, was Jüng¬
ling und Mann entnervt. Man muß gegen ihn käm¬
pfen. Ich will nicht treu sein, weil ich die Treue
zumeist für eine Sünde gegen unsern fort- und fort¬
rückenden Planeten und das, was drauf und dran ist,

ihre Jugend. Sie gleicht dem jungen Bürger in der
hoch und dumpfgebauten Reichsſtadt, er ſchleicht aus
dem ſtrahlendſten Sonnenſchein, der vor den Thoren
üppig ſeine Arme um die Erde ſchlägt, aus der lebendi¬
gen Menſchenmenge, die ſich laut des Daſeins freut,
auf das düſtre Stübchen ſeines Mädchens, und oben
in der dunklen Einſamkeit ſind Beide froh, daß nicht
Sonnenſchein noch Menſchenwoge zu ihnen dringt. Dies
äußerlich ariſtokratiſche Abſonderungsweſen iſt aller jun¬
gen Liebe eigen. Ich freute mich noch aus vielen an¬
dern Gründen über Camillas Vorſchlag. Iſt doch
meine öffentliche Liebe Sünde gegen Clara. Fragſt
Du mich, warum ich mein Clärchen nicht ſuche, da ich
doch erfahren, ſie ſei noch frei, und harre wahrſcheinlich
ihres alten Geliebten, ſo kann ich Dir nicht viel Tröſt¬
liches für die meiſten Leute erwidern. Der Liebesharm
iſt eine ſüße Krankheit, die mit dem ſchönſten Schmerz
beglückt und mit reiferer Geſundheit endet. Der teut¬
ſche Liebesharm iſt ein chroniſches Uebel, was Jüng¬
ling und Mann entnervt. Man muß gegen ihn käm¬
pfen. Ich will nicht treu ſein, weil ich die Treue
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[155/0167] ihre Jugend. Sie gleicht dem jungen Bürger in der hoch und dumpfgebauten Reichsſtadt, er ſchleicht aus dem ſtrahlendſten Sonnenſchein, der vor den Thoren üppig ſeine Arme um die Erde ſchlägt, aus der lebendi¬ gen Menſchenmenge, die ſich laut des Daſeins freut, auf das düſtre Stübchen ſeines Mädchens, und oben in der dunklen Einſamkeit ſind Beide froh, daß nicht Sonnenſchein noch Menſchenwoge zu ihnen dringt. Dies äußerlich ariſtokratiſche Abſonderungsweſen iſt aller jun¬ gen Liebe eigen. Ich freute mich noch aus vielen an¬ dern Gründen über Camillas Vorſchlag. Iſt doch meine öffentliche Liebe Sünde gegen Clara. Fragſt Du mich, warum ich mein Clärchen nicht ſuche, da ich doch erfahren, ſie ſei noch frei, und harre wahrſcheinlich ihres alten Geliebten, ſo kann ich Dir nicht viel Tröſt¬ liches für die meiſten Leute erwidern. Der Liebesharm iſt eine ſüße Krankheit, die mit dem ſchönſten Schmerz beglückt und mit reiferer Geſundheit endet. Der teut¬ ſche Liebesharm iſt ein chroniſches Uebel, was Jüng¬ ling und Mann entnervt. Man muß gegen ihn käm¬ pfen. Ich will nicht treu ſein, weil ich die Treue zumeiſt für eine Sünde gegen unſern fort- und fort¬ rückenden Planeten und das, was drauf und dran iſt,

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/167>, abgerufen am 30.04.2024.