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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

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halte. Treue ist ein Schutzmittel für schwache, nicht
ausreichende Kräfte; die Kräfte sollen aber am Ende
stark werden. So lange man diese Krücken der Liebe
nicht fortwirft, lernt man nicht selbstständig lieben.
Auch die Liebe verläßt sich in jener sogenannten Tu¬
gend auf das Herkommen und ruht aus auf einem her¬
gebrachten Privilegium, statt auf eigner, unversiegbarer
Kraft zu bestehen. Es ist ein Traditionsgut, wie jedes
andre auch, die Länge der Zeit ist das Verdienst, nicht
die Größe oder Schönheit der Sache. Alle die tausend
gebrochnen Herzen, alle die langweiligen verdrossenen
Ehen sind die Kinder der Treue. Jedes schwindsüchtige
Mädchen, jeder jämmerliche Jüngling verläßt sich auf
ihren Schutz, wenn es ihr oder ihm gelungen, in einer
schwachen Stunde eine Eroberung zu machen. Die
Treue ist das große Gängelband der menschlichen Faul¬
heit und Schwäche, sie ist auch die Poesie der Kraft¬
losigkeit und ein "getreuer Eckard" unsrer Tage, wie
Du ihn einst vorhattest, ist eine Sünde wider den Geist
der Zeit und der Geist der Zeit ist der Zeit heiliger
Geist. Wenn der König von Gottes Gnaden sich auf
Herkommen und angestammte Treue beruft, und darin
statt in der Vortrefflichkeit seiner Regierung die Noth¬

halte. Treue iſt ein Schutzmittel für ſchwache, nicht
ausreichende Kräfte; die Kräfte ſollen aber am Ende
ſtark werden. So lange man dieſe Krücken der Liebe
nicht fortwirft, lernt man nicht ſelbſtſtändig lieben.
Auch die Liebe verläßt ſich in jener ſogenannten Tu¬
gend auf das Herkommen und ruht aus auf einem her¬
gebrachten Privilegium, ſtatt auf eigner, unverſiegbarer
Kraft zu beſtehen. Es iſt ein Traditionsgut, wie jedes
andre auch, die Länge der Zeit iſt das Verdienſt, nicht
die Größe oder Schönheit der Sache. Alle die tauſend
gebrochnen Herzen, alle die langweiligen verdroſſenen
Ehen ſind die Kinder der Treue. Jedes ſchwindſüchtige
Mädchen, jeder jämmerliche Jüngling verläßt ſich auf
ihren Schutz, wenn es ihr oder ihm gelungen, in einer
ſchwachen Stunde eine Eroberung zu machen. Die
Treue iſt das große Gängelband der menſchlichen Faul¬
heit und Schwäche, ſie iſt auch die Poeſie der Kraft¬
loſigkeit und ein „getreuer Eckard“ unſrer Tage, wie
Du ihn einſt vorhatteſt, iſt eine Sünde wider den Geiſt
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[156/0168] halte. Treue iſt ein Schutzmittel für ſchwache, nicht ausreichende Kräfte; die Kräfte ſollen aber am Ende ſtark werden. So lange man dieſe Krücken der Liebe nicht fortwirft, lernt man nicht ſelbſtſtändig lieben. Auch die Liebe verläßt ſich in jener ſogenannten Tu¬ gend auf das Herkommen und ruht aus auf einem her¬ gebrachten Privilegium, ſtatt auf eigner, unverſiegbarer Kraft zu beſtehen. Es iſt ein Traditionsgut, wie jedes andre auch, die Länge der Zeit iſt das Verdienſt, nicht die Größe oder Schönheit der Sache. Alle die tauſend gebrochnen Herzen, alle die langweiligen verdroſſenen Ehen ſind die Kinder der Treue. Jedes ſchwindſüchtige Mädchen, jeder jämmerliche Jüngling verläßt ſich auf ihren Schutz, wenn es ihr oder ihm gelungen, in einer ſchwachen Stunde eine Eroberung zu machen. Die Treue iſt das große Gängelband der menſchlichen Faul¬ heit und Schwäche, ſie iſt auch die Poeſie der Kraft¬ loſigkeit und ein „getreuer Eckard“ unſrer Tage, wie Du ihn einſt vorhatteſt, iſt eine Sünde wider den Geiſt der Zeit und der Geiſt der Zeit iſt der Zeit heiliger Geiſt. Wenn der König von Gottes Gnaden ſich auf Herkommen und angeſtammte Treue beruft, und darin ſtatt in der Vortrefflichkeit ſeiner Regierung die Noth¬

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/168>, abgerufen am 30.04.2024.