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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

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Die Cultur.

Wenn nun im Anfange ihrer Entwickelung die Anzahl der
Triebe, Halme, Zweige und Blätter durch ein Uebermaaß von
Nahrungsstoff aus dem Boden diese Grenze überschritten hat,
wo sie also zur Vollendung ihrer Entwickelung, zur Blüthe und
Frucht, mehr Nahrungsstoff aus der Luft bedarf, als diese bie-
ten kann, so wird sie nicht zur Blüthe, zur Fruchtbildung ge-
langen. In vielen Fällen reicht diese Nahrung nur hin, um
die Blätter, Halme und Zweige völlig auszubilden.

Es tritt alsdann der nemliche Fall ein, wie bei den Zier-
pflanzen, wenn man beim Versetzen in größere Töpfe den
Wurzeln gestattet, sich zu vergrößern und zu vervielfältigen.
Alle Nahrung wird zur Vermehrung der Wurzeln und Blätter
verwendet; sie treiben, wie man sagt, ins Kraut und kommen
nicht zur Blüthe.

Bei dem Zwergobst nehmen wir gerade umgekehrt den
Bäumen einen Theil ihrer Zweige und damit ihrer Blätter;
wir hindern die Entwickelung neuer Zweige, es wird künstlich
ein Ueberschuß von Nahrung geschaffen, die dann zur Vermeh-
rung der Blüthe und Vergrößerung der Frucht von der Pflanze
verwendet wird. Das Beschneiden des Weinstocks hat einen
ganz ähnlichen Zweck.

Bei allen perennirenden Gewächsen, bei den Sträuchern,
Frucht- und Waldbäumen geht nach der völligen Ausbildung
der Frucht ein neuer eigenthümlicher Vegetationsproceß an; wäh-
rend bei den einjährigen Pflanzen, von dieser Periode an, die
Stengel sich verholzen, die Blätter ihre Farbe wechseln und
gelb werden, bleiben die Blätter der Bäume und Sträucher
bis zum Anfang des Winters in Thätigkeit. Die Bildung
der Holzringe schreitet fort, das Holz wird fester und härter,
und vom August an erzeugen ihre Blätter kein Holz mehr;
alle Kohlensäure, die sie aufnehmen und assimiliren, wird zur

Die Cultur.

Wenn nun im Anfange ihrer Entwickelung die Anzahl der
Triebe, Halme, Zweige und Blätter durch ein Uebermaaß von
Nahrungsſtoff aus dem Boden dieſe Grenze überſchritten hat,
wo ſie alſo zur Vollendung ihrer Entwickelung, zur Blüthe und
Frucht, mehr Nahrungsſtoff aus der Luft bedarf, als dieſe bie-
ten kann, ſo wird ſie nicht zur Blüthe, zur Fruchtbildung ge-
langen. In vielen Fällen reicht dieſe Nahrung nur hin, um
die Blätter, Halme und Zweige völlig auszubilden.

Es tritt alsdann der nemliche Fall ein, wie bei den Zier-
pflanzen, wenn man beim Verſetzen in größere Töpfe den
Wurzeln geſtattet, ſich zu vergrößern und zu vervielfältigen.
Alle Nahrung wird zur Vermehrung der Wurzeln und Blätter
verwendet; ſie treiben, wie man ſagt, ins Kraut und kommen
nicht zur Blüthe.

Bei dem Zwergobſt nehmen wir gerade umgekehrt den
Bäumen einen Theil ihrer Zweige und damit ihrer Blätter;
wir hindern die Entwickelung neuer Zweige, es wird künſtlich
ein Ueberſchuß von Nahrung geſchaffen, die dann zur Vermeh-
rung der Blüthe und Vergrößerung der Frucht von der Pflanze
verwendet wird. Das Beſchneiden des Weinſtocks hat einen
ganz ähnlichen Zweck.

Bei allen perennirenden Gewächſen, bei den Sträuchern,
Frucht- und Waldbäumen geht nach der völligen Ausbildung
der Frucht ein neuer eigenthümlicher Vegetationsproceß an; wäh-
rend bei den einjährigen Pflanzen, von dieſer Periode an, die
Stengel ſich verholzen, die Blätter ihre Farbe wechſeln und
gelb werden, bleiben die Blätter der Bäume und Sträucher
bis zum Anfang des Winters in Thätigkeit. Die Bildung
der Holzringe ſchreitet fort, das Holz wird feſter und härter,
und vom Auguſt an erzeugen ihre Blätter kein Holz mehr;
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[112/0130] Die Cultur. Wenn nun im Anfange ihrer Entwickelung die Anzahl der Triebe, Halme, Zweige und Blätter durch ein Uebermaaß von Nahrungsſtoff aus dem Boden dieſe Grenze überſchritten hat, wo ſie alſo zur Vollendung ihrer Entwickelung, zur Blüthe und Frucht, mehr Nahrungsſtoff aus der Luft bedarf, als dieſe bie- ten kann, ſo wird ſie nicht zur Blüthe, zur Fruchtbildung ge- langen. In vielen Fällen reicht dieſe Nahrung nur hin, um die Blätter, Halme und Zweige völlig auszubilden. Es tritt alsdann der nemliche Fall ein, wie bei den Zier- pflanzen, wenn man beim Verſetzen in größere Töpfe den Wurzeln geſtattet, ſich zu vergrößern und zu vervielfältigen. Alle Nahrung wird zur Vermehrung der Wurzeln und Blätter verwendet; ſie treiben, wie man ſagt, ins Kraut und kommen nicht zur Blüthe. Bei dem Zwergobſt nehmen wir gerade umgekehrt den Bäumen einen Theil ihrer Zweige und damit ihrer Blätter; wir hindern die Entwickelung neuer Zweige, es wird künſtlich ein Ueberſchuß von Nahrung geſchaffen, die dann zur Vermeh- rung der Blüthe und Vergrößerung der Frucht von der Pflanze verwendet wird. Das Beſchneiden des Weinſtocks hat einen ganz ähnlichen Zweck. Bei allen perennirenden Gewächſen, bei den Sträuchern, Frucht- und Waldbäumen geht nach der völligen Ausbildung der Frucht ein neuer eigenthümlicher Vegetationsproceß an; wäh- rend bei den einjährigen Pflanzen, von dieſer Periode an, die Stengel ſich verholzen, die Blätter ihre Farbe wechſeln und gelb werden, bleiben die Blätter der Bäume und Sträucher bis zum Anfang des Winters in Thätigkeit. Die Bildung der Holzringe ſchreitet fort, das Holz wird feſter und härter, und vom Auguſt an erzeugen ihre Blätter kein Holz mehr; alle Kohlenſäure, die ſie aufnehmen und aſſimiliren, wird zur

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Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/130>, abgerufen am 28.04.2024.