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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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abwartend, der sich merken ließ, er wisse das, was sie
zehn andere ähnliche Gruppen bilden sahn. Dort ver¬
kündete es Einer im schnellen Vorübereilen. Und im¬
mer begann es mit einem: "Wißt Ihr schon?", das
oft von einem: "Aber was ist denn geschehn?" heraus¬
gefordert war. Herr Nettenmair brauchte nicht zu
fragen; er wußte, ohne daß es ihm Einer zu sagen
brauchte, was geschehen war. Aber er durfte sich nicht
merken lassen, daß er's wußte, daß man eigentlich ihn
hätte fragen müssen; nicht allein, wollte man wissen,
was geschehen war; auch das Wie und Wodurch und
das Warum. Der Blechschmiedegeselle meinte, Herr
Nettenmair wollte an ihm niedersinken, aber der alte
Herr hatte sich nur an den Fuß gestoßen, "es hatte
nichts zu sagen." Der Gesell fragte einen Vorüber¬
eilenden. "Ein Schieferdecker ist verunglückt in Bram¬
bach. ""Wie denn?"" fragte der Gesell. "Ein Seil
ist zerrissen. Weiter weiß man noch nichts." Herr
Nettenmair fühlte, wie der Gesell erschrack, und daß
er über dem Gedanken erschrack, der Sohn des Man¬
nes war verunglückt, den er führte. Er sagte: "Es
wird in Tambach gewesen sein. Die Leute haben falsch
gehört. Es hat nichts zu sagen." Der Gesell wußte
nicht, was er von der Gleichgültigkeit des Herrn Net¬
tenmair denken sollte. Der sagte zu sich, indem das
brennende Roth auf seine Wangen trat: "Ja, es muß
sein. Es muß nun sein." Er dachte daran, es gab

abwartend, der ſich merken ließ, er wiſſe das, was ſie
zehn andere ähnliche Gruppen bilden ſahn. Dort ver¬
kündete es Einer im ſchnellen Vorübereilen. Und im¬
mer begann es mit einem: „Wißt Ihr ſchon?“, das
oft von einem: „Aber was iſt denn geſchehn?“ heraus¬
gefordert war. Herr Nettenmair brauchte nicht zu
fragen; er wußte, ohne daß es ihm Einer zu ſagen
brauchte, was geſchehen war. Aber er durfte ſich nicht
merken laſſen, daß er's wußte, daß man eigentlich ihn
hätte fragen müſſen; nicht allein, wollte man wiſſen,
was geſchehen war; auch das Wie und Wodurch und
das Warum. Der Blechſchmiedegeſelle meinte, Herr
Nettenmair wollte an ihm niederſinken, aber der alte
Herr hatte ſich nur an den Fuß geſtoßen, „es hatte
nichts zu ſagen.“ Der Geſell fragte einen Vorüber¬
eilenden. „Ein Schieferdecker iſt verunglückt in Bram¬
bach. „„Wie denn?““ fragte der Geſell. „Ein Seil
iſt zerriſſen. Weiter weiß man noch nichts.“ Herr
Nettenmair fühlte, wie der Geſell erſchrack, und daß
er über dem Gedanken erſchrack, der Sohn des Man¬
nes war verunglückt, den er führte. Er ſagte: „Es
wird in Tambach geweſen ſein. Die Leute haben falſch
gehört. Es hat nichts zu ſagen.“ Der Geſell wußte
nicht, was er von der Gleichgültigkeit des Herrn Net¬
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[207/0216] abwartend, der ſich merken ließ, er wiſſe das, was ſie zehn andere ähnliche Gruppen bilden ſahn. Dort ver¬ kündete es Einer im ſchnellen Vorübereilen. Und im¬ mer begann es mit einem: „Wißt Ihr ſchon?“, das oft von einem: „Aber was iſt denn geſchehn?“ heraus¬ gefordert war. Herr Nettenmair brauchte nicht zu fragen; er wußte, ohne daß es ihm Einer zu ſagen brauchte, was geſchehen war. Aber er durfte ſich nicht merken laſſen, daß er's wußte, daß man eigentlich ihn hätte fragen müſſen; nicht allein, wollte man wiſſen, was geſchehen war; auch das Wie und Wodurch und das Warum. Der Blechſchmiedegeſelle meinte, Herr Nettenmair wollte an ihm niederſinken, aber der alte Herr hatte ſich nur an den Fuß geſtoßen, „es hatte nichts zu ſagen.“ Der Geſell fragte einen Vorüber¬ eilenden. „Ein Schieferdecker iſt verunglückt in Bram¬ bach. „„Wie denn?““ fragte der Geſell. „Ein Seil iſt zerriſſen. Weiter weiß man noch nichts.“ Herr Nettenmair fühlte, wie der Geſell erſchrack, und daß er über dem Gedanken erſchrack, der Sohn des Man¬ nes war verunglückt, den er führte. Er ſagte: „Es wird in Tambach geweſen ſein. Die Leute haben falſch gehört. Es hat nichts zu ſagen.“ Der Geſell wußte nicht, was er von der Gleichgültigkeit des Herrn Net¬ tenmair denken ſollte. Der ſagte zu ſich, indem das brennende Roth auf ſeine Wangen trat: „Ja, es muß ſein. Es muß nun ſein.“ Er dachte daran, es gab

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/216>, abgerufen am 29.04.2024.