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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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Etwas, womit man allen Gerichten, allen Untersu¬
chungen aus dem Wege gehen kann. Das Etwas,
das er meinte, mußte ein hartes Etwas sein; denn er
biß die Zähne zusammen, als er mit dem Kopf nickte
und zu sich sagte: "Es muß sein. Nun muß es
sein." Der Gesell ging, den alten Herrn führend,
wie im Traume neben ihm die Thurmtreppe von St.
Georg hinan. Die Leute hatten recht; Herr Netten¬
mair war doch ein eigener Mann!

Der alte Herr hatte gesagt, er müsse den Sohn
auf dem Kirchendach sprechen -- wegen der Reparatur.
Er hatte ohne Absicht in seiner diplomatischen Art ge¬
redet. Es mußte auf dem Kirchendache sein und es
galt eine Reparatur, aber nicht die des Kirchendachs.


Zwischen Himmel und Erde ist des Schieferdeckers
Reich. Zwischen Himmel und Erde, hoch oben auf
dem Kirchendach von Sankt Georg, schaffte Fritz Net¬
tenmair, als der alte Herr sich die Treppe zu ihm hin¬
aufführen ließ. Hier herauf war Fritz Nettenmair vor
den Augen der Menschen geflohen, die er alle auf sich
gerichtet meinte, vor seinen Gedanken in einen wüthen¬
den Fleiß. Er hatte die ganze Hölle in seiner Brust
mit herauf gebracht; und wie angestrengt er schaffte,
der Schweiß, der ihm auf der Stirne stand, war nicht

Etwas, womit man allen Gerichten, allen Unterſu¬
chungen aus dem Wege gehen kann. Das Etwas,
das er meinte, mußte ein hartes Etwas ſein; denn er
biß die Zähne zuſammen, als er mit dem Kopf nickte
und zu ſich ſagte: „Es muß ſein. Nun muß es
ſein.“ Der Geſell ging, den alten Herrn führend,
wie im Traume neben ihm die Thurmtreppe von St.
Georg hinan. Die Leute hatten recht; Herr Netten¬
mair war doch ein eigener Mann!

Der alte Herr hatte geſagt, er müſſe den Sohn
auf dem Kirchendach ſprechen — wegen der Reparatur.
Er hatte ohne Abſicht in ſeiner diplomatiſchen Art ge¬
redet. Es mußte auf dem Kirchendache ſein und es
galt eine Reparatur, aber nicht die des Kirchendachs.


Zwiſchen Himmel und Erde iſt des Schieferdeckers
Reich. Zwiſchen Himmel und Erde, hoch oben auf
dem Kirchendach von Sankt Georg, ſchaffte Fritz Net¬
tenmair, als der alte Herr ſich die Treppe zu ihm hin¬
aufführen ließ. Hier herauf war Fritz Nettenmair vor
den Augen der Menſchen geflohen, die er alle auf ſich
gerichtet meinte, vor ſeinen Gedanken in einen wüthen¬
den Fleiß. Er hatte die ganze Hölle in ſeiner Bruſt
mit herauf gebracht; und wie angeſtrengt er ſchaffte,
der Schweiß, der ihm auf der Stirne ſtand, war nicht

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[208/0217] Etwas, womit man allen Gerichten, allen Unterſu¬ chungen aus dem Wege gehen kann. Das Etwas, das er meinte, mußte ein hartes Etwas ſein; denn er biß die Zähne zuſammen, als er mit dem Kopf nickte und zu ſich ſagte: „Es muß ſein. Nun muß es ſein.“ Der Geſell ging, den alten Herrn führend, wie im Traume neben ihm die Thurmtreppe von St. Georg hinan. Die Leute hatten recht; Herr Netten¬ mair war doch ein eigener Mann! Der alte Herr hatte geſagt, er müſſe den Sohn auf dem Kirchendach ſprechen — wegen der Reparatur. Er hatte ohne Abſicht in ſeiner diplomatiſchen Art ge¬ redet. Es mußte auf dem Kirchendache ſein und es galt eine Reparatur, aber nicht die des Kirchendachs. Zwiſchen Himmel und Erde iſt des Schieferdeckers Reich. Zwiſchen Himmel und Erde, hoch oben auf dem Kirchendach von Sankt Georg, ſchaffte Fritz Net¬ tenmair, als der alte Herr ſich die Treppe zu ihm hin¬ aufführen ließ. Hier herauf war Fritz Nettenmair vor den Augen der Menſchen geflohen, die er alle auf ſich gerichtet meinte, vor ſeinen Gedanken in einen wüthen¬ den Fleiß. Er hatte die ganze Hölle in ſeiner Bruſt mit herauf gebracht; und wie angeſtrengt er ſchaffte, der Schweiß, der ihm auf der Stirne ſtand, war nicht

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/217>, abgerufen am 29.04.2024.