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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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der warme redlichen Mühens, es war der kalte Schweiß
der Gewissensangst. Er hämmerte Schiefer zurecht
und nagelte sie fest, so angstvoll hastig, als nagelte
er den Weltenbau fest, der sonst einstürzen müßte in
der nächsten Viertelstunde. Aber seine Seele war nicht
bei dem Hämmern, sie war wo unaufhörlich Stricke
rißen und verunglückende Schieferdecker polternd hin¬
abstürzten in den gewissen Tod. Zuweilen hielt er
plötzlich inne; es war ihm, als müßt' er hinunterrufen:
"Nach Brambach! Er soll nicht die Leiter besteigen!
er soll sich nicht auf sein Fahrzeug setzen." Aber dann
blieben die vielen Hunderte, die wie Ameisen da unten
durch einander liefen, in Schreck versteinert stehn, und soviel
Paar Augen, überfüllt mit Grauen und Abscheu, starr¬
ten herauf, und der Häscher kam und stieß ihn vor sich
her die Treppe hinunter; und vielleicht war es doch zu
spät! Dann einmal faltete er die Hände über den
Deckhammer und gelobte: stürbe Apollonius nicht,
er will ein braver Mann werden. Er denkt nicht, daß ihn
das reuen wird, sobald er Apollonius gerettet weiß. --
Da kommt Jemand die Treppe herauf -- ist's der
Häscher schon? Nein. Es weiß Niemand, was er ge¬
than. Er verzerrt sein Gesicht in Trotz und fragt:
"Wer will mir was anhaben?" Jetzt hört er Stimmen,
und die Klänge der einen davon treffen wie Hammer¬
schläge auf sein gequältes Herz. Das ist die einzige
Stimme, die er hier zu hören nicht erwartet. Wird der

Ludwig, Zwischen Himmel und Erde. 14

der warme redlichen Mühens, es war der kalte Schweiß
der Gewiſſensangſt. Er hämmerte Schiefer zurecht
und nagelte ſie feſt, ſo angſtvoll haſtig, als nagelte
er den Weltenbau feſt, der ſonſt einſtürzen müßte in
der nächſten Viertelſtunde. Aber ſeine Seele war nicht
bei dem Hämmern, ſie war wo unaufhörlich Stricke
rißen und verunglückende Schieferdecker polternd hin¬
abſtürzten in den gewiſſen Tod. Zuweilen hielt er
plötzlich inne; es war ihm, als müßt' er hinunterrufen:
„Nach Brambach! Er ſoll nicht die Leiter beſteigen!
er ſoll ſich nicht auf ſein Fahrzeug ſetzen.“ Aber dann
blieben die vielen Hunderte, die wie Ameiſen da unten
durch einander liefen, in Schreck verſteinert ſtehn, und ſoviel
Paar Augen, überfüllt mit Grauen und Abſcheu, ſtarr¬
ten herauf, und der Häſcher kam und ſtieß ihn vor ſich
her die Treppe hinunter; und vielleicht war es doch zu
ſpät! Dann einmal faltete er die Hände über den
Deckhammer und gelobte: ſtürbe Apollonius nicht,
er will ein braver Mann werden. Er denkt nicht, daß ihn
das reuen wird, ſobald er Apollonius gerettet weiß. —
Da kommt Jemand die Treppe herauf — iſt's der
Häſcher ſchon? Nein. Es weiß Niemand, was er ge¬
than. Er verzerrt ſein Geſicht in Trotz und fragt:
„Wer will mir was anhaben?“ Jetzt hört er Stimmen,
und die Klänge der einen davon treffen wie Hammer¬
ſchläge auf ſein gequältes Herz. Das iſt die einzige
Stimme, die er hier zu hören nicht erwartet. Wird der

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[209/0218] der warme redlichen Mühens, es war der kalte Schweiß der Gewiſſensangſt. Er hämmerte Schiefer zurecht und nagelte ſie feſt, ſo angſtvoll haſtig, als nagelte er den Weltenbau feſt, der ſonſt einſtürzen müßte in der nächſten Viertelſtunde. Aber ſeine Seele war nicht bei dem Hämmern, ſie war wo unaufhörlich Stricke rißen und verunglückende Schieferdecker polternd hin¬ abſtürzten in den gewiſſen Tod. Zuweilen hielt er plötzlich inne; es war ihm, als müßt' er hinunterrufen: „Nach Brambach! Er ſoll nicht die Leiter beſteigen! er ſoll ſich nicht auf ſein Fahrzeug ſetzen.“ Aber dann blieben die vielen Hunderte, die wie Ameiſen da unten durch einander liefen, in Schreck verſteinert ſtehn, und ſoviel Paar Augen, überfüllt mit Grauen und Abſcheu, ſtarr¬ ten herauf, und der Häſcher kam und ſtieß ihn vor ſich her die Treppe hinunter; und vielleicht war es doch zu ſpät! Dann einmal faltete er die Hände über den Deckhammer und gelobte: ſtürbe Apollonius nicht, er will ein braver Mann werden. Er denkt nicht, daß ihn das reuen wird, ſobald er Apollonius gerettet weiß. — Da kommt Jemand die Treppe herauf — iſt's der Häſcher ſchon? Nein. Es weiß Niemand, was er ge¬ than. Er verzerrt ſein Geſicht in Trotz und fragt: „Wer will mir was anhaben?“ Jetzt hört er Stimmen, und die Klänge der einen davon treffen wie Hammer¬ ſchläge auf ſein gequältes Herz. Das iſt die einzige Stimme, die er hier zu hören nicht erwartet. Wird der Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde. 14

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/218>, abgerufen am 29.04.2024.