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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Viertes Kapitel.
übernommen werden. Solcher Maschinen gibt es be-
kanntlich schon mehrere. Dem Mathematiker Babbage,
der eine derartige Maschine construirt hat, waren die
hier dargelegten Gedanken schon sehr klar.

Nicht immer muss ein Zählresultat durch wirkliche
Zählung, es kann auch indirect gefunden werden. Man
kann z. B. leicht ermitteln, dass eine Curve deren
Quadratur für die Abscisse x den Werth xm hat, einen
Zuwachs mxm -- 1dx der Quadratur für den Abscissen-
zuwachs dx ergibt. Dann weiss man auch, dass
[Formel 1] , d. h. man erkennt, dass zu dem
Zuwachs mxm--1dx die Grösse xm gehört, sowie man
eine Frucht an ihrer Schale erkennt. Solche durch
Umkehrung zufällig gefundene Resultate werden in
der Mathematik vielfach verwendet.

Es könnte auffallen, dass längst geleistete wissen-
schaftliche Arbeit wiederholt verwendet werden kann,
was bei mechanischer Arbeit natürlich nicht angeht.
Wenn jemand, der täglich einen Gang zu machen hat,
einmal durch Zufall einen kürzern Weg findet, und nun
stets denselben einschlägt, indem er sich der Abkürzung
erinnert, erspart er sich allerdings die Differenz der
Arbeit. Allein die Erinnerung ist keine eigentliche
Arbeit, sondern eine Auslösung von zweckmässigerer
Arbeit. Gerade so verhält es sich mit der Verwendung
wissenschaftlicher Gedanken.

Wer Mathematik treibt, ohne sich in der angedeu-
teten Richtung Aufklärung zu verschaffen, muss oft den
unbehaglichen Eindruck erhalten, als ob Papier und Blei-
stift ihn selbst an Intelligenz überträfen. Mathematik
in dieser Weise als Unterrichtsgegenstand betrieben ist
kaum bildender, als die Beschäftigung mit Kabbala oder
dem magischen Quadrat. Nothwendig entsteht dadurch
eine mystische Neigung, welche gelegentlich ihre Früchte
trägt.

6. Die Physik liefert nun ganz ähnliche Beispiele
einer Oekonomie der Gedanken, wie diejenigen, welche

Viertes Kapitel.
übernommen werden. Solcher Maschinen gibt es be-
kanntlich schon mehrere. Dem Mathematiker Babbage,
der eine derartige Maschine construirt hat, waren die
hier dargelegten Gedanken schon sehr klar.

Nicht immer muss ein Zählresultat durch wirkliche
Zählung, es kann auch indirect gefunden werden. Man
kann z. B. leicht ermitteln, dass eine Curve deren
Quadratur für die Abscisse x den Werth xm hat, einen
Zuwachs mxm — 1dx der Quadratur für den Abscissen-
zuwachs dx ergibt. Dann weiss man auch, dass
[Formel 1] , d. h. man erkennt, dass zu dem
Zuwachs mxm—1dx die Grösse xm gehört, sowie man
eine Frucht an ihrer Schale erkennt. Solche durch
Umkehrung zufällig gefundene Resultate werden in
der Mathematik vielfach verwendet.

Es könnte auffallen, dass längst geleistete wissen-
schaftliche Arbeit wiederholt verwendet werden kann,
was bei mechanischer Arbeit natürlich nicht angeht.
Wenn jemand, der täglich einen Gang zu machen hat,
einmal durch Zufall einen kürzern Weg findet, und nun
stets denselben einschlägt, indem er sich der Abkürzung
erinnert, erspart er sich allerdings die Differenz der
Arbeit. Allein die Erinnerung ist keine eigentliche
Arbeit, sondern eine Auslösung von zweckmässigerer
Arbeit. Gerade so verhält es sich mit der Verwendung
wissenschaftlicher Gedanken.

Wer Mathematik treibt, ohne sich in der angedeu-
teten Richtung Aufklärung zu verschaffen, muss oft den
unbehaglichen Eindruck erhalten, als ob Papier und Blei-
stift ihn selbst an Intelligenz überträfen. Mathematik
in dieser Weise als Unterrichtsgegenstand betrieben ist
kaum bildender, als die Beschäftigung mit Kabbala oder
dem magischen Quadrat. Nothwendig entsteht dadurch
eine mystische Neigung, welche gelegentlich ihre Früchte
trägt.

6. Die Physik liefert nun ganz ähnliche Beispiele
einer Oekonomie der Gedanken, wie diejenigen, welche

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[460/0472] Viertes Kapitel. übernommen werden. Solcher Maschinen gibt es be- kanntlich schon mehrere. Dem Mathematiker Babbage, der eine derartige Maschine construirt hat, waren die hier dargelegten Gedanken schon sehr klar. Nicht immer muss ein Zählresultat durch wirkliche Zählung, es kann auch indirect gefunden werden. Man kann z. B. leicht ermitteln, dass eine Curve deren Quadratur für die Abscisse x den Werth xm hat, einen Zuwachs mxm — 1dx der Quadratur für den Abscissen- zuwachs dx ergibt. Dann weiss man auch, dass [FORMEL], d. h. man erkennt, dass zu dem Zuwachs mxm—1dx die Grösse xm gehört, sowie man eine Frucht an ihrer Schale erkennt. Solche durch Umkehrung zufällig gefundene Resultate werden in der Mathematik vielfach verwendet. Es könnte auffallen, dass längst geleistete wissen- schaftliche Arbeit wiederholt verwendet werden kann, was bei mechanischer Arbeit natürlich nicht angeht. Wenn jemand, der täglich einen Gang zu machen hat, einmal durch Zufall einen kürzern Weg findet, und nun stets denselben einschlägt, indem er sich der Abkürzung erinnert, erspart er sich allerdings die Differenz der Arbeit. Allein die Erinnerung ist keine eigentliche Arbeit, sondern eine Auslösung von zweckmässigerer Arbeit. Gerade so verhält es sich mit der Verwendung wissenschaftlicher Gedanken. Wer Mathematik treibt, ohne sich in der angedeu- teten Richtung Aufklärung zu verschaffen, muss oft den unbehaglichen Eindruck erhalten, als ob Papier und Blei- stift ihn selbst an Intelligenz überträfen. Mathematik in dieser Weise als Unterrichtsgegenstand betrieben ist kaum bildender, als die Beschäftigung mit Kabbala oder dem magischen Quadrat. Nothwendig entsteht dadurch eine mystische Neigung, welche gelegentlich ihre Früchte trägt. 6. Die Physik liefert nun ganz ähnliche Beispiele einer Oekonomie der Gedanken, wie diejenigen, welche

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/472>, abgerufen am 27.04.2024.