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Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894.

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viele Millionen Waaren zum Opfer gebracht werden. Dies ist un-
vermeidlich in der kapitalistischen Produktion und bildet eine ihrer
Schönheiten. In frühern Produktionsweisen kommt dies nicht vor,
weil bei der engen Basis, auf der sie sich bewegen, weder der
Kredit noch das Kreditgeld zur Entwicklung kommt. Solange der
gesellschaftliche Charakter der Arbeit als das Gelddasein
der Waare, und daher als ein Ding ausser der wirklichen Pro-
duktion erscheint, sind Geldkrisen, unabhängig oder als Verschärfung
wirklicher Krisen, unvermeidlich. Es ist andrerseits klar, dass, so-
lange der Kredit einer Bank nicht erschüttert ist, sie durch Ver-
mehrung des Kreditgelds in solchen Fällen die Panik lindert, durch
dessen Einziehung sie aber vermehrt. Alle Geschichte der modernen
Industrie zeigt, dass Metall in der That nur erheischt wäre zur
Saldirung des internationalen Handels, sobald dessen Gleichgewicht
momentan verschoben ist, wenn die inländische Produktion orga-
nisirt wäre. Dass das Inland schon jetzt kein Metallgeld bedarf,
beweist die Suspension der Baarzahlungen der sog. Nationalbanken,
zu der, als zum einzigen Hülfsmittel, in allen extremen Fällen
gegriffen wird.

Bei zwei Individuen wäre es lächerlich zu sagen, dass im Ver-
kehr unter einander beide die Zahlungsbilanz gegen sich haben.
Wenn sie wechselseitig Schuldner und Gläubiger von einander
sind, ist es klar dass, wenn ihre Forderungen sich nicht ausgleichen,
für den Rest der eine der Schuldner des andern sein muss. Bei
Nationen ist dies keineswegs der Fall. Und dass es nicht der Fall
ist, ist von allen Oekonomen in dem Satz anerkannt, dass die
Zahlungsbilanz für oder gegen eine Nation sein kann, obwohl ihre
Handelsbilanz sich schliesslich ausgleichen muss. Die Zahlungs-
bilanz unterscheidet sich dadurch von der Handelsbilanz, dass sie
eine in einer bestimmten Zeit fällige Handelsbilanz ist. Was nun
die Krisen thun, ist, dass sie die Differenz zwischen der Zahlungs-
bilanz und der Handelsbilanz in eine kurze Zeit zusammendrängen;
und die bestimmten Zustände, die sich bei der Nation entwickeln,
bei der die Krise ist, bei der daher jetzt der Zahlungstermin ein-
tritt, -- diese Zustände bringen schon eine solche Kontraktion der
Ausgleichungszeit mit sich. Erstens das Wegsenden von Edel-
metallen; dann das Losschlagen konsignirter Waaren; das Expor-
tiren von Waaren, um sie loszuschlagen, oder um im Inland Geld-
vorschüsse darauf aufzutreiben; das Steigen des Zinsfusses, das
Aufkündigen der Kredite, das Fallen der Werthpapiere, das Los-
schlagen fremder Werthpapiere, die Attraktion von fremdem Kapital

viele Millionen Waaren zum Opfer gebracht werden. Dies ist un-
vermeidlich in der kapitalistischen Produktion und bildet eine ihrer
Schönheiten. In frühern Produktionsweisen kommt dies nicht vor,
weil bei der engen Basis, auf der sie sich bewegen, weder der
Kredit noch das Kreditgeld zur Entwicklung kommt. Solange der
gesellschaftliche Charakter der Arbeit als das Gelddasein
der Waare, und daher als ein Ding ausser der wirklichen Pro-
duktion erscheint, sind Geldkrisen, unabhängig oder als Verschärfung
wirklicher Krisen, unvermeidlich. Es ist andrerseits klar, dass, so-
lange der Kredit einer Bank nicht erschüttert ist, sie durch Ver-
mehrung des Kreditgelds in solchen Fällen die Panik lindert, durch
dessen Einziehung sie aber vermehrt. Alle Geschichte der modernen
Industrie zeigt, dass Metall in der That nur erheischt wäre zur
Saldirung des internationalen Handels, sobald dessen Gleichgewicht
momentan verschoben ist, wenn die inländische Produktion orga-
nisirt wäre. Dass das Inland schon jetzt kein Metallgeld bedarf,
beweist die Suspension der Baarzahlungen der sog. Nationalbanken,
zu der, als zum einzigen Hülfsmittel, in allen extremen Fällen
gegriffen wird.

Bei zwei Individuen wäre es lächerlich zu sagen, dass im Ver-
kehr unter einander beide die Zahlungsbilanz gegen sich haben.
Wenn sie wechselseitig Schuldner und Gläubiger von einander
sind, ist es klar dass, wenn ihre Forderungen sich nicht ausgleichen,
für den Rest der eine der Schuldner des andern sein muss. Bei
Nationen ist dies keineswegs der Fall. Und dass es nicht der Fall
ist, ist von allen Oekonomen in dem Satz anerkannt, dass die
Zahlungsbilanz für oder gegen eine Nation sein kann, obwohl ihre
Handelsbilanz sich schliesslich ausgleichen muss. Die Zahlungs-
bilanz unterscheidet sich dadurch von der Handelsbilanz, dass sie
eine in einer bestimmten Zeit fällige Handelsbilanz ist. Was nun
die Krisen thun, ist, dass sie die Differenz zwischen der Zahlungs-
bilanz und der Handelsbilanz in eine kurze Zeit zusammendrängen;
und die bestimmten Zustände, die sich bei der Nation entwickeln,
bei der die Krise ist, bei der daher jetzt der Zahlungstermin ein-
tritt, — diese Zustände bringen schon eine solche Kontraktion der
Ausgleichungszeit mit sich. Erstens das Wegsenden von Edel-
metallen; dann das Losschlagen konsignirter Waaren; das Expor-
tiren von Waaren, um sie loszuschlagen, oder um im Inland Geld-
vorschüsse darauf aufzutreiben; das Steigen des Zinsfusses, das
Aufkündigen der Kredite, das Fallen der Werthpapiere, das Los-
schlagen fremder Werthpapiere, die Attraktion von fremdem Kapital

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[55/0064] viele Millionen Waaren zum Opfer gebracht werden. Dies ist un- vermeidlich in der kapitalistischen Produktion und bildet eine ihrer Schönheiten. In frühern Produktionsweisen kommt dies nicht vor, weil bei der engen Basis, auf der sie sich bewegen, weder der Kredit noch das Kreditgeld zur Entwicklung kommt. Solange der gesellschaftliche Charakter der Arbeit als das Gelddasein der Waare, und daher als ein Ding ausser der wirklichen Pro- duktion erscheint, sind Geldkrisen, unabhängig oder als Verschärfung wirklicher Krisen, unvermeidlich. Es ist andrerseits klar, dass, so- lange der Kredit einer Bank nicht erschüttert ist, sie durch Ver- mehrung des Kreditgelds in solchen Fällen die Panik lindert, durch dessen Einziehung sie aber vermehrt. Alle Geschichte der modernen Industrie zeigt, dass Metall in der That nur erheischt wäre zur Saldirung des internationalen Handels, sobald dessen Gleichgewicht momentan verschoben ist, wenn die inländische Produktion orga- nisirt wäre. Dass das Inland schon jetzt kein Metallgeld bedarf, beweist die Suspension der Baarzahlungen der sog. Nationalbanken, zu der, als zum einzigen Hülfsmittel, in allen extremen Fällen gegriffen wird. Bei zwei Individuen wäre es lächerlich zu sagen, dass im Ver- kehr unter einander beide die Zahlungsbilanz gegen sich haben. Wenn sie wechselseitig Schuldner und Gläubiger von einander sind, ist es klar dass, wenn ihre Forderungen sich nicht ausgleichen, für den Rest der eine der Schuldner des andern sein muss. Bei Nationen ist dies keineswegs der Fall. Und dass es nicht der Fall ist, ist von allen Oekonomen in dem Satz anerkannt, dass die Zahlungsbilanz für oder gegen eine Nation sein kann, obwohl ihre Handelsbilanz sich schliesslich ausgleichen muss. Die Zahlungs- bilanz unterscheidet sich dadurch von der Handelsbilanz, dass sie eine in einer bestimmten Zeit fällige Handelsbilanz ist. Was nun die Krisen thun, ist, dass sie die Differenz zwischen der Zahlungs- bilanz und der Handelsbilanz in eine kurze Zeit zusammendrängen; und die bestimmten Zustände, die sich bei der Nation entwickeln, bei der die Krise ist, bei der daher jetzt der Zahlungstermin ein- tritt, — diese Zustände bringen schon eine solche Kontraktion der Ausgleichungszeit mit sich. Erstens das Wegsenden von Edel- metallen; dann das Losschlagen konsignirter Waaren; das Expor- tiren von Waaren, um sie loszuschlagen, oder um im Inland Geld- vorschüsse darauf aufzutreiben; das Steigen des Zinsfusses, das Aufkündigen der Kredite, das Fallen der Werthpapiere, das Los- schlagen fremder Werthpapiere, die Attraktion von fremdem Kapital

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894/64>, abgerufen am 28.04.2024.