Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

ist rastlos beschäftigt mit den subtrahirten Zählern
die Nenner zu addiren, daß die Summe der Schul¬
den zuletzt über den Äquator hinaus in die blaue
Unendlichkeit wächst, und wir sie nicht mehr zählen
können. Zwei Dinge scheinen unbegreifliche Wider¬
sprüche, zuerst, daß die Finanzkammern immer mehr
Schulden machen, je mehr sie einnehmen, sodann daß
Handel und Industrie immer mehr gehemmt werden,
je nothwendiger es wäre, den Wohlstand zu beför¬
dern, damit er seine Procente an die Staaten lie¬
fern könnte. Auf der einen Seite schüttet man das
Wasser in den Sand und auf der andern verstopft
man die Quellen. Die Ursache liegt in der Noth
oder in der Lust des Augenblicks. Man schlachtet
die Kuh aus Hunger, oder um den fremden Gast
stattlich zu bewirthen, und denkt nicht, daß morgen
die Milch fehlen werde.

Davon abgesehn, mag es Genuß gewähren, die
Finanzspeculationen von Seiten der darin brilliren¬
den Intelligenz als Kunstwerke zu betrachten.
Ohne Zweifel ist die Summe von Verstand und Spe¬
culation, die in diesem Fache niedergelegt ist, das
schätzbarste Capital unter allen denen, die es auf¬
reibt, wenn auch diese ganze Rechenkunst wesentlich
auf einen großen Rechnungsfehler hinauslaufen sollte.
Diese Kunst, den leichtesten Stützpunkt die schwerste
Last tragen zu lassen, hat ihren Werth, so gut wie
die Baukunst, sollte man auch praktisch ihre Gränzen
überschreiten.

iſt raſtlos beſchaͤftigt mit den ſubtrahirten Zaͤhlern
die Nenner zu addiren, daß die Summe der Schul¬
den zuletzt uͤber den Äquator hinaus in die blaue
Unendlichkeit waͤchst, und wir ſie nicht mehr zaͤhlen
koͤnnen. Zwei Dinge ſcheinen unbegreifliche Wider¬
ſpruͤche, zuerſt, daß die Finanzkammern immer mehr
Schulden machen, je mehr ſie einnehmen, ſodann daß
Handel und Induſtrie immer mehr gehemmt werden,
je nothwendiger es waͤre, den Wohlſtand zu befoͤr¬
dern, damit er ſeine Procente an die Staaten lie¬
fern koͤnnte. Auf der einen Seite ſchuͤttet man das
Waſſer in den Sand und auf der andern verſtopft
man die Quellen. Die Urſache liegt in der Noth
oder in der Luſt des Augenblicks. Man ſchlachtet
die Kuh aus Hunger, oder um den fremden Gaſt
ſtattlich zu bewirthen, und denkt nicht, daß morgen
die Milch fehlen werde.

Davon abgeſehn, mag es Genuß gewaͤhren, die
Finanzſpeculationen von Seiten der darin brilliren¬
den Intelligenz als Kunſtwerke zu betrachten.
Ohne Zweifel iſt die Summe von Verſtand und Spe¬
culation, die in dieſem Fache niedergelegt iſt, das
ſchaͤtzbarſte Capital unter allen denen, die es auf¬
reibt, wenn auch dieſe ganze Rechenkunſt weſentlich
auf einen großen Rechnungsfehler hinauslaufen ſollte.
Dieſe Kunſt, den leichteſten Stuͤtzpunkt die ſchwerſte
Laſt tragen zu laſſen, hat ihren Werth, ſo gut wie
die Baukunſt, ſollte man auch praktiſch ihre Graͤnzen
uͤberſchreiten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0257" n="247"/>
i&#x017F;t ra&#x017F;tlos be&#x017F;cha&#x0364;ftigt mit den &#x017F;ubtrahirten Za&#x0364;hlern<lb/>
die Nenner zu addiren, daß die Summe der Schul¬<lb/>
den zuletzt u&#x0364;ber den Äquator hinaus in die blaue<lb/>
Unendlichkeit wa&#x0364;chst, und wir &#x017F;ie nicht mehr za&#x0364;hlen<lb/>
ko&#x0364;nnen. Zwei Dinge &#x017F;cheinen unbegreifliche Wider¬<lb/>
&#x017F;pru&#x0364;che, zuer&#x017F;t, daß die Finanzkammern immer mehr<lb/>
Schulden machen, je mehr &#x017F;ie einnehmen, &#x017F;odann daß<lb/>
Handel und Indu&#x017F;trie immer mehr gehemmt werden,<lb/>
je nothwendiger es wa&#x0364;re, den Wohl&#x017F;tand zu befo&#x0364;<lb/>
dern, damit er &#x017F;eine Procente an die Staaten lie¬<lb/>
fern ko&#x0364;nnte. Auf der einen Seite &#x017F;chu&#x0364;ttet man das<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er in den Sand und auf der andern ver&#x017F;topft<lb/>
man die Quellen. Die Ur&#x017F;ache liegt in der Noth<lb/>
oder in der Lu&#x017F;t des Augenblicks. Man &#x017F;chlachtet<lb/>
die Kuh aus Hunger, oder um den fremden Ga&#x017F;t<lb/>
&#x017F;tattlich zu bewirthen, und denkt nicht, daß morgen<lb/>
die Milch fehlen werde.</p><lb/>
        <p>Davon abge&#x017F;ehn, mag es Genuß gewa&#x0364;hren, die<lb/>
Finanz&#x017F;peculationen von Seiten der darin brilliren¬<lb/>
den <hi rendition="#g">Intelligenz</hi> als Kun&#x017F;twerke zu betrachten.<lb/>
Ohne Zweifel i&#x017F;t die Summe von Ver&#x017F;tand und Spe¬<lb/>
culation, die in die&#x017F;em Fache niedergelegt i&#x017F;t, das<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;tzbar&#x017F;te Capital unter allen denen, die es auf¬<lb/>
reibt, wenn auch die&#x017F;e ganze Rechenkun&#x017F;t we&#x017F;entlich<lb/>
auf einen großen Rechnungsfehler hinauslaufen &#x017F;ollte.<lb/>
Die&#x017F;e Kun&#x017F;t, den leichte&#x017F;ten Stu&#x0364;tzpunkt die &#x017F;chwer&#x017F;te<lb/>
La&#x017F;t tragen zu la&#x017F;&#x017F;en, hat ihren Werth, &#x017F;o gut wie<lb/>
die Baukun&#x017F;t, &#x017F;ollte man auch prakti&#x017F;ch ihre Gra&#x0364;nzen<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;chreiten.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0257] iſt raſtlos beſchaͤftigt mit den ſubtrahirten Zaͤhlern die Nenner zu addiren, daß die Summe der Schul¬ den zuletzt uͤber den Äquator hinaus in die blaue Unendlichkeit waͤchst, und wir ſie nicht mehr zaͤhlen koͤnnen. Zwei Dinge ſcheinen unbegreifliche Wider¬ ſpruͤche, zuerſt, daß die Finanzkammern immer mehr Schulden machen, je mehr ſie einnehmen, ſodann daß Handel und Induſtrie immer mehr gehemmt werden, je nothwendiger es waͤre, den Wohlſtand zu befoͤr¬ dern, damit er ſeine Procente an die Staaten lie¬ fern koͤnnte. Auf der einen Seite ſchuͤttet man das Waſſer in den Sand und auf der andern verſtopft man die Quellen. Die Urſache liegt in der Noth oder in der Luſt des Augenblicks. Man ſchlachtet die Kuh aus Hunger, oder um den fremden Gaſt ſtattlich zu bewirthen, und denkt nicht, daß morgen die Milch fehlen werde. Davon abgeſehn, mag es Genuß gewaͤhren, die Finanzſpeculationen von Seiten der darin brilliren¬ den Intelligenz als Kunſtwerke zu betrachten. Ohne Zweifel iſt die Summe von Verſtand und Spe¬ culation, die in dieſem Fache niedergelegt iſt, das ſchaͤtzbarſte Capital unter allen denen, die es auf¬ reibt, wenn auch dieſe ganze Rechenkunſt weſentlich auf einen großen Rechnungsfehler hinauslaufen ſollte. Dieſe Kunſt, den leichteſten Stuͤtzpunkt die ſchwerſte Laſt tragen zu laſſen, hat ihren Werth, ſo gut wie die Baukunſt, ſollte man auch praktiſch ihre Graͤnzen uͤberſchreiten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/257
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/257>, abgerufen am 30.04.2024.