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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Etwas Ähnliches muß von der Rechtswissen¬
schaft
gerühmt werden, an welcher auf gleiche Weise
die Speculation und der eiserne Fleiß sich beinah
erschöpft haben. Doch dürfte das Recht an sich bei
den Rechtsspeculationen nicht viel besser gefahren
seyn, als der Wohlstand bei den Finanzspeculationen.

Die Jurisprudenz hat sehr viel mit der Theo¬
logie gemein, ihren philologisch-historischen Apparat,
ihre Bibel und symbolischen Bücher, ihre Dogmatik
und Exegese, ihre Schule und ihre Kaste. Was am
römischen Recht hängt, die Romanisten sind den Ka¬
tholiken zu vergleichen, Protestanten dagegen sind die
Anhänger des deutschen Rechts, und zwar gleichen
die Freunde der öffentlichen Rechtspflege den Refor¬
mirten, die Anhänger der verschiednen Landrechte,
die noch vieles vom Römischen beibehalten, den Lu¬
theranern.

Das Unterscheidende der beiden Hauptparteien
ist sowohl in einer Rechtsform als in einem Rechts¬
princip zu suchen. Das Princip der Romanisten ist:
das Recht in der Logik zu begründen. Sie behan¬
deln es mithin als Wissenschaft, als Studium, und
bilden deßfalls eine gelehrte Kaste, eine Art von
Priesterschaft des Rechts, woraus denn eine
besondre Form der Rechtspflege entspringt. Nicht
das gemeine Volk kann richten, nicht das Gewissen,
das in jedem inwohnt und dem ein wechselseitiges
Vertrauen der Gemeinde den Richterspruch überläßt,
sondern nur die Wissenden, die Gelehrten können und

Etwas Ähnliches muß von der Rechtswiſſen¬
ſchaft
geruͤhmt werden, an welcher auf gleiche Weiſe
die Speculation und der eiſerne Fleiß ſich beinah
erſchoͤpft haben. Doch duͤrfte das Recht an ſich bei
den Rechtsſpeculationen nicht viel beſſer gefahren
ſeyn, als der Wohlſtand bei den Finanzſpeculationen.

Die Jurisprudenz hat ſehr viel mit der Theo¬
logie gemein, ihren philologiſch-hiſtoriſchen Apparat,
ihre Bibel und ſymboliſchen Buͤcher, ihre Dogmatik
und Exegeſe, ihre Schule und ihre Kaſte. Was am
roͤmiſchen Recht haͤngt, die Romaniſten ſind den Ka¬
tholiken zu vergleichen, Proteſtanten dagegen ſind die
Anhaͤnger des deutſchen Rechts, und zwar gleichen
die Freunde der oͤffentlichen Rechtspflege den Refor¬
mirten, die Anhaͤnger der verſchiednen Landrechte,
die noch vieles vom Roͤmiſchen beibehalten, den Lu¬
theranern.

Das Unterſcheidende der beiden Hauptparteien
iſt ſowohl in einer Rechtsform als in einem Rechts¬
princip zu ſuchen. Das Princip der Romaniſten iſt:
das Recht in der Logik zu begruͤnden. Sie behan¬
deln es mithin als Wiſſenſchaft, als Studium, und
bilden deßfalls eine gelehrte Kaſte, eine Art von
Prieſterſchaft des Rechts, woraus denn eine
beſondre Form der Rechtspflege entſpringt. Nicht
das gemeine Volk kann richten, nicht das Gewiſſen,
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[248/0258] Etwas Ähnliches muß von der Rechtswiſſen¬ ſchaft geruͤhmt werden, an welcher auf gleiche Weiſe die Speculation und der eiſerne Fleiß ſich beinah erſchoͤpft haben. Doch duͤrfte das Recht an ſich bei den Rechtsſpeculationen nicht viel beſſer gefahren ſeyn, als der Wohlſtand bei den Finanzſpeculationen. Die Jurisprudenz hat ſehr viel mit der Theo¬ logie gemein, ihren philologiſch-hiſtoriſchen Apparat, ihre Bibel und ſymboliſchen Buͤcher, ihre Dogmatik und Exegeſe, ihre Schule und ihre Kaſte. Was am roͤmiſchen Recht haͤngt, die Romaniſten ſind den Ka¬ tholiken zu vergleichen, Proteſtanten dagegen ſind die Anhaͤnger des deutſchen Rechts, und zwar gleichen die Freunde der oͤffentlichen Rechtspflege den Refor¬ mirten, die Anhaͤnger der verſchiednen Landrechte, die noch vieles vom Roͤmiſchen beibehalten, den Lu¬ theranern. Das Unterſcheidende der beiden Hauptparteien iſt ſowohl in einer Rechtsform als in einem Rechts¬ princip zu ſuchen. Das Princip der Romaniſten iſt: das Recht in der Logik zu begruͤnden. Sie behan¬ deln es mithin als Wiſſenſchaft, als Studium, und bilden deßfalls eine gelehrte Kaſte, eine Art von Prieſterſchaft des Rechts, woraus denn eine beſondre Form der Rechtspflege entſpringt. Nicht das gemeine Volk kann richten, nicht das Gewiſſen, das in jedem inwohnt und dem ein wechſelſeitiges Vertrauen der Gemeinde den Richterſpruch uͤberlaͤßt, ſondern nur die Wiſſenden, die Gelehrten koͤnnen und

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/258>, abgerufen am 30.04.2024.