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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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dürfen urtheilen und entscheiden. Demzufolge können
diese Wissenden auch die Befugniß, zu richten, nicht
vom Volk entlehnen, sondern lediglich von der Auto¬
rität der Wissenschaft, die hinwiederum nur in
der vom Volk unabhängigen Majestät zugleich mit
jeder andern höchsten Staatsautorität personificirt
ist. Diese Partei bedarf also zunächst die sacra ma¬
jestas als Urquell des Rechts, die juridische Papst¬
gewalt, den heiligen Richterstuhl, sodann den juridi¬
schen Priesteradel, der das Recht dem Laienvolk ver¬
mittelt, und zwar theils Richter, entsprechend dem
Episcopalelerus, theils Advokaten, entsprechend den
Klostergeistlichen, vorzüglich im Sinn der Bettelor¬
den und Jesuiten. Ferner bedarf diese Partei des
corpus juris, als des allgemeinen Canons, und der
historischen und logischen Kommentare, als der Kir¬
chenväter und Scholastiker. Endlich wird sie in ih¬
rem Themistempel ein abgesondertes Chor, das Aller¬
heiligste, ansprechen, da die Priester über dem Volk
erhaben stehn, dem stummen Volk den Segen spenden
und die Opfer von ihm empfangen.

Wie die Reformation von den Mönchen ausge¬
gangen, so neigen sich zum juridischen Protestantis¬
mus vorzüglich die Advokaten. Die neue Partei
macht im Gegensatz gegen die Wissenschaft das Ge¬
wissen
zum Princip, im Gegensatz gegen die Ab¬
geschlossenheit der Kaste die republikanische Öffent¬
lichkeit
zur Form des Rechts, so wie der Prote¬
stantismus uns vom Priester ans eigne Herz, und

duͤrfen urtheilen und entſcheiden. Demzufolge koͤnnen
dieſe Wiſſenden auch die Befugniß, zu richten, nicht
vom Volk entlehnen, ſondern lediglich von der Auto¬
ritaͤt der Wiſſenſchaft, die hinwiederum nur in
der vom Volk unabhaͤngigen Majeſtaͤt zugleich mit
jeder andern hoͤchſten Staatsautoritaͤt perſonificirt
iſt. Dieſe Partei bedarf alſo zunaͤchſt die sacra ma¬
jestas als Urquell des Rechts, die juridiſche Papſt¬
gewalt, den heiligen Richterſtuhl, ſodann den juridi¬
ſchen Prieſteradel, der das Recht dem Laienvolk ver¬
mittelt, und zwar theils Richter, entſprechend dem
Episcopalelerus, theils Advokaten, entſprechend den
Kloſtergeiſtlichen, vorzuͤglich im Sinn der Bettelor¬
den und Jeſuiten. Ferner bedarf dieſe Partei des
corpus juris, als des allgemeinen Canons, und der
hiſtoriſchen und logiſchen Kommentare, als der Kir¬
chenvaͤter und Scholaſtiker. Endlich wird ſie in ih¬
rem Themistempel ein abgeſondertes Chor, das Aller¬
heiligſte, anſprechen, da die Prieſter uͤber dem Volk
erhaben ſtehn, dem ſtummen Volk den Segen ſpenden
und die Opfer von ihm empfangen.

Wie die Reformation von den Moͤnchen ausge¬
gangen, ſo neigen ſich zum juridiſchen Proteſtantis¬
mus vorzuͤglich die Advokaten. Die neue Partei
macht im Gegenſatz gegen die Wiſſenſchaft das Ge¬
wiſſen
zum Princip, im Gegenſatz gegen die Ab¬
geſchloſſenheit der Kaſte die republikaniſche Öffent¬
lichkeit
zur Form des Rechts, ſo wie der Prote¬
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[249/0259] duͤrfen urtheilen und entſcheiden. Demzufolge koͤnnen dieſe Wiſſenden auch die Befugniß, zu richten, nicht vom Volk entlehnen, ſondern lediglich von der Auto¬ ritaͤt der Wiſſenſchaft, die hinwiederum nur in der vom Volk unabhaͤngigen Majeſtaͤt zugleich mit jeder andern hoͤchſten Staatsautoritaͤt perſonificirt iſt. Dieſe Partei bedarf alſo zunaͤchſt die sacra ma¬ jestas als Urquell des Rechts, die juridiſche Papſt¬ gewalt, den heiligen Richterſtuhl, ſodann den juridi¬ ſchen Prieſteradel, der das Recht dem Laienvolk ver¬ mittelt, und zwar theils Richter, entſprechend dem Episcopalelerus, theils Advokaten, entſprechend den Kloſtergeiſtlichen, vorzuͤglich im Sinn der Bettelor¬ den und Jeſuiten. Ferner bedarf dieſe Partei des corpus juris, als des allgemeinen Canons, und der hiſtoriſchen und logiſchen Kommentare, als der Kir¬ chenvaͤter und Scholaſtiker. Endlich wird ſie in ih¬ rem Themistempel ein abgeſondertes Chor, das Aller¬ heiligſte, anſprechen, da die Prieſter uͤber dem Volk erhaben ſtehn, dem ſtummen Volk den Segen ſpenden und die Opfer von ihm empfangen. Wie die Reformation von den Moͤnchen ausge¬ gangen, ſo neigen ſich zum juridiſchen Proteſtantis¬ mus vorzuͤglich die Advokaten. Die neue Partei macht im Gegenſatz gegen die Wiſſenſchaft das Ge¬ wiſſen zum Princip, im Gegenſatz gegen die Ab¬ geſchloſſenheit der Kaſte die republikaniſche Öffent¬ lichkeit zur Form des Rechts, ſo wie der Prote¬ ſtantismus uns vom Prieſter ans eigne Herz, und

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/259>, abgerufen am 30.04.2024.