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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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aus dem Atrium ins Chor selbst, in die freie und
gleiche Christengemeinde verweist. Wir dürfen diese
Partei im Gegensatz gegen die Romanisten die Ger¬
manisten nennen.

Sofern die Germanisten das Gewissen zum Rechts¬
princip erheben, und die Öffentlichkeit zur Rechts¬
form, neigen sie sich zur Demokratie. Sie betrach¬
ten die Beurtheilung eines Rechtsfalls als etwas
natürliches und allen Menschen gemeinsames. Nicht
eine Aristokratie von Gelehrten, sondern das gemeine
Volk richtet. Mithin autorisirt sich das Volk auch
selbst dazu und die Rechtsgewalt fällt mit der Sou¬
veränität des Volkes zusammen. Die Öffentlichkeit
der Gerichte ist sodann nur eine natürliche Folge des
Princips.

Sofern die Romanisten die absolute Logik zum
Rechtsprincip erheben, und deßfalls ein Studium der
Rechtswissenschaft begründen, dem nur Geweihte sich
widmen können, neigen sie sich zur Aristokratie. So¬
fern sie aber in ihrem System alles an einen abso¬
luten Satz knüpfen müssen, kann demselben auch nur
eine absolute Kraft, die ihn geltend macht, entspre¬
chen, also die Autokratie. Die Demokratie kann sich
nicht nach dem Ausspruch eines Einzigen richten, und
jeder absolute Satz gilt nur als eine Stimme. Die
Monarchie kann sich nicht nach dem Ausspruch vieler
richten, und jeder Ausspruch des Gewissens kommt
allen Stimmen zu. Mithin mußte das römische Recht
nothwendig zur Autokratie, das deutsche Recht noth¬

aus dem Atrium ins Chor ſelbſt, in die freie und
gleiche Chriſtengemeinde verweist. Wir duͤrfen dieſe
Partei im Gegenſatz gegen die Romaniſten die Ger¬
maniſten nennen.

Sofern die Germaniſten das Gewiſſen zum Rechts¬
princip erheben, und die Öffentlichkeit zur Rechts¬
form, neigen ſie ſich zur Demokratie. Sie betrach¬
ten die Beurtheilung eines Rechtsfalls als etwas
natuͤrliches und allen Menſchen gemeinſames. Nicht
eine Ariſtokratie von Gelehrten, ſondern das gemeine
Volk richtet. Mithin autoriſirt ſich das Volk auch
ſelbſt dazu und die Rechtsgewalt faͤllt mit der Sou¬
veraͤnitaͤt des Volkes zuſammen. Die Öffentlichkeit
der Gerichte iſt ſodann nur eine natuͤrliche Folge des
Princips.

Sofern die Romaniſten die abſolute Logik zum
Rechtsprincip erheben, und deßfalls ein Studium der
Rechtswiſſenſchaft begruͤnden, dem nur Geweihte ſich
widmen koͤnnen, neigen ſie ſich zur Ariſtokratie. So¬
fern ſie aber in ihrem Syſtem alles an einen abſo¬
luten Satz knuͤpfen muͤſſen, kann demſelben auch nur
eine abſolute Kraft, die ihn geltend macht, entſpre¬
chen, alſo die Autokratie. Die Demokratie kann ſich
nicht nach dem Ausſpruch eines Einzigen richten, und
jeder abſolute Satz gilt nur als eine Stimme. Die
Monarchie kann ſich nicht nach dem Ausſpruch vieler
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[250/0260] aus dem Atrium ins Chor ſelbſt, in die freie und gleiche Chriſtengemeinde verweist. Wir duͤrfen dieſe Partei im Gegenſatz gegen die Romaniſten die Ger¬ maniſten nennen. Sofern die Germaniſten das Gewiſſen zum Rechts¬ princip erheben, und die Öffentlichkeit zur Rechts¬ form, neigen ſie ſich zur Demokratie. Sie betrach¬ ten die Beurtheilung eines Rechtsfalls als etwas natuͤrliches und allen Menſchen gemeinſames. Nicht eine Ariſtokratie von Gelehrten, ſondern das gemeine Volk richtet. Mithin autoriſirt ſich das Volk auch ſelbſt dazu und die Rechtsgewalt faͤllt mit der Sou¬ veraͤnitaͤt des Volkes zuſammen. Die Öffentlichkeit der Gerichte iſt ſodann nur eine natuͤrliche Folge des Princips. Sofern die Romaniſten die abſolute Logik zum Rechtsprincip erheben, und deßfalls ein Studium der Rechtswiſſenſchaft begruͤnden, dem nur Geweihte ſich widmen koͤnnen, neigen ſie ſich zur Ariſtokratie. So¬ fern ſie aber in ihrem Syſtem alles an einen abſo¬ luten Satz knuͤpfen muͤſſen, kann demſelben auch nur eine abſolute Kraft, die ihn geltend macht, entſpre¬ chen, alſo die Autokratie. Die Demokratie kann ſich nicht nach dem Ausſpruch eines Einzigen richten, und jeder abſolute Satz gilt nur als eine Stimme. Die Monarchie kann ſich nicht nach dem Ausſpruch vieler richten, und jeder Ausſpruch des Gewiſſens kommt allen Stimmen zu. Mithin mußte das roͤmiſche Recht nothwendig zur Autokratie, das deutſche Recht noth¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/260>, abgerufen am 30.04.2024.