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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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tur zerfällt in Bücher der Belehrung und der Unter¬
haltung. Ursprünglich war diese ganze Literatur im
Katechismus concentrirt, diesem folgte der orbis pictus;
allmählig entstanden auch weltliche Lehrbücher und
endlich die ergötzlichen Kinderschriften. Jetzt ist Deutsch¬
land mit einer unermeßlichen Kinderliteratur über¬
schwemmt, und Wien und Nürnberg sind die großen
Fabrikstätten derselben. Im Augenblick der ersten pä¬
dagogischen Wuth suchte man den Kindern alles Wis¬
senswürdige einzupfropfen, und man schrieb aus Liebe
für dieselben, was das Zeug halten wollte. In der
neuern Zeit sucht man wieder, wenigstens die Schul¬
bücher zu vereinfachen und aus der Masse das Beste
zu sondern. Leider aber ist der literarische Unter¬
richt den Pädagogen von den Buchhändlern aus den
Händen gewunden, und die letztern überschwemmen
Deutschland mit ihren lüderlichen, von außen glei¬
ßenden, von innen hohlen Fabrikaten. Sie können
dies, weil unter den Pädagogen keine Einigkeit ist,
und weil die Modesucht so weit geht, daß man so¬
gar den Kindern nur neue Sachen geben will. Um
die Weihnachtszeit wimmelt es in den Läden der
Buchhändler von Eltern und Kinderfreunden, die alle
die brillanten Sächelchen aufkaufen, welche die neue
Messe geliefert. Die Alten greifen, wie die Kinder
selbst, am liebsten nach den neuen Flittern. Aber
die Pädagogen selbst wirken mit den Buchhändlern
zusammen, und schreiben immer neue Sachen, nicht
um das Alte zu verbessern, sonderm um Geld und

tur zerfaͤllt in Buͤcher der Belehrung und der Unter¬
haltung. Urſpruͤnglich war dieſe ganze Literatur im
Katechismus concentrirt, dieſem folgte der orbis pictus;
allmaͤhlig entſtanden auch weltliche Lehrbuͤcher und
endlich die ergoͤtzlichen Kinderſchriften. Jetzt iſt Deutſch¬
land mit einer unermeßlichen Kinderliteratur uͤber¬
ſchwemmt‚ und Wien und Nuͤrnberg ſind die großen
Fabrikſtaͤtten derſelben. Im Augenblick der erſten paͤ¬
dagogiſchen Wuth ſuchte man den Kindern alles Wiſ¬
ſenswuͤrdige einzupfropfen, und man ſchrieb aus Liebe
fuͤr dieſelben, was das Zeug halten wollte. In der
neuern Zeit ſucht man wieder, wenigſtens die Schul¬
buͤcher zu vereinfachen und aus der Maſſe das Beſte
zu ſondern. Leider aber iſt der literariſche Unter¬
richt den Paͤdagogen von den Buchhaͤndlern aus den
Haͤnden gewunden, und die letztern uͤberſchwemmen
Deutſchland mit ihren luͤderlichen, von außen glei¬
ßenden, von innen hohlen Fabrikaten. Sie koͤnnen
dies, weil unter den Paͤdagogen keine Einigkeit iſt,
und weil die Modeſucht ſo weit geht, daß man ſo¬
gar den Kindern nur neue Sachen geben will. Um
die Weihnachtszeit wimmelt es in den Laͤden der
Buchhaͤndler von Eltern und Kinderfreunden, die alle
die brillanten Saͤchelchen aufkaufen, welche die neue
Meſſe geliefert. Die Alten greifen, wie die Kinder
ſelbſt‚ am liebſten nach den neuen Flittern. Aber
die Paͤdagogen ſelbſt wirken mit den Buchhaͤndlern
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[271/0281] tur zerfaͤllt in Buͤcher der Belehrung und der Unter¬ haltung. Urſpruͤnglich war dieſe ganze Literatur im Katechismus concentrirt, dieſem folgte der orbis pictus; allmaͤhlig entſtanden auch weltliche Lehrbuͤcher und endlich die ergoͤtzlichen Kinderſchriften. Jetzt iſt Deutſch¬ land mit einer unermeßlichen Kinderliteratur uͤber¬ ſchwemmt‚ und Wien und Nuͤrnberg ſind die großen Fabrikſtaͤtten derſelben. Im Augenblick der erſten paͤ¬ dagogiſchen Wuth ſuchte man den Kindern alles Wiſ¬ ſenswuͤrdige einzupfropfen, und man ſchrieb aus Liebe fuͤr dieſelben, was das Zeug halten wollte. In der neuern Zeit ſucht man wieder, wenigſtens die Schul¬ buͤcher zu vereinfachen und aus der Maſſe das Beſte zu ſondern. Leider aber iſt der literariſche Unter¬ richt den Paͤdagogen von den Buchhaͤndlern aus den Haͤnden gewunden, und die letztern uͤberſchwemmen Deutſchland mit ihren luͤderlichen, von außen glei¬ ßenden, von innen hohlen Fabrikaten. Sie koͤnnen dies, weil unter den Paͤdagogen keine Einigkeit iſt, und weil die Modeſucht ſo weit geht, daß man ſo¬ gar den Kindern nur neue Sachen geben will. Um die Weihnachtszeit wimmelt es in den Laͤden der Buchhaͤndler von Eltern und Kinderfreunden, die alle die brillanten Saͤchelchen aufkaufen, welche die neue Meſſe geliefert. Die Alten greifen, wie die Kinder ſelbſt‚ am liebſten nach den neuen Flittern. Aber die Paͤdagogen ſelbſt wirken mit den Buchhaͤndlern zuſammen, und ſchreiben immer neue Sachen, nicht um das Alte zu verbeſſern, ſonderm um Geld und

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/281>, abgerufen am 30.04.2024.