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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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günstigen Stellungen drohenden spanischen Uebermacht
stand, ließ er seine Leute gegen gallische Kriegssitte auf
den Knieen den göttlichen Beistand anrufen. Der cal¬
vinistische Caplan des Herzogs betete mit den Protestan¬
ten, während ein katholischer Priester über seinen
Glaubensgenossen das segnende Zeichen des Kreuzes
machte.

Noch nie hatte Rohan einen so genialen Feldherrn¬
blick bewiesen, wie jetzt auf diesem von tiefen Thal¬
schluchten zerrissenen und von Gletscherbergen eingeengten,
schwer zu übersehenden Kriegsfelde. Seinem raschen
unfehlbaren Eingreifen kam seine bewundernswerthe
Ausdauer gleich und eine ascetische Natur von seltener
Bedürfnißlosigkeit zu Hilfe. Er war im Stande vierzig
Stunden lang angespannt thätig zu sein, ohne der Er¬
frischung des Schlafes zu bedürfen.

So eilte er in der Mitte zwischen zwei gegen ihn
vordringenden Heeren, deren jedes dem seinen fast
doppelt überlegen war, thalauf-, thalabwärts und warf
sich jetzt dem einen, dann, die Stirne wendend, dem
andern entgegen, immer siegreich, bis er sie beide,
Spanier und Oesterreicher, vom Bündnerboden verdrängt
hatte und das ganze langgestreckte Thal der Adda, das
seit Jahrzehnten herrenlose und streitige Veltlin in der
Gewalt seiner Waffen war.

günſtigen Stellungen drohenden ſpaniſchen Uebermacht
ſtand, ließ er ſeine Leute gegen galliſche Kriegsſitte auf
den Knieen den göttlichen Beiſtand anrufen. Der cal¬
viniſtiſche Caplan des Herzogs betete mit den Proteſtan¬
ten, während ein katholiſcher Prieſter über ſeinen
Glaubensgenoſſen das ſegnende Zeichen des Kreuzes
machte.

Noch nie hatte Rohan einen ſo genialen Feldherrn¬
blick bewieſen, wie jetzt auf dieſem von tiefen Thal¬
ſchluchten zerriſſenen und von Gletſcherbergen eingeengten,
ſchwer zu überſehenden Kriegsfelde. Seinem raſchen
unfehlbaren Eingreifen kam ſeine bewundernswerthe
Ausdauer gleich und eine ascetiſche Natur von ſeltener
Bedürfnißloſigkeit zu Hilfe. Er war im Stande vierzig
Stunden lang angeſpannt thätig zu ſein, ohne der Er¬
friſchung des Schlafes zu bedürfen.

So eilte er in der Mitte zwiſchen zwei gegen ihn
vordringenden Heeren, deren jedes dem ſeinen faſt
doppelt überlegen war, thalauf-, thalabwärts und warf
ſich jetzt dem einen, dann, die Stirne wendend, dem
andern entgegen, immer ſiegreich, bis er ſie beide,
Spanier und Oeſterreicher, vom Bündnerboden verdrängt
hatte und das ganze langgeſtreckte Thal der Adda, das
ſeit Jahrzehnten herrenloſe und ſtreitige Veltlin in der
Gewalt ſeiner Waffen war.

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[234/0244] günſtigen Stellungen drohenden ſpaniſchen Uebermacht ſtand, ließ er ſeine Leute gegen galliſche Kriegsſitte auf den Knieen den göttlichen Beiſtand anrufen. Der cal¬ viniſtiſche Caplan des Herzogs betete mit den Proteſtan¬ ten, während ein katholiſcher Prieſter über ſeinen Glaubensgenoſſen das ſegnende Zeichen des Kreuzes machte. Noch nie hatte Rohan einen ſo genialen Feldherrn¬ blick bewieſen, wie jetzt auf dieſem von tiefen Thal¬ ſchluchten zerriſſenen und von Gletſcherbergen eingeengten, ſchwer zu überſehenden Kriegsfelde. Seinem raſchen unfehlbaren Eingreifen kam ſeine bewundernswerthe Ausdauer gleich und eine ascetiſche Natur von ſeltener Bedürfnißloſigkeit zu Hilfe. Er war im Stande vierzig Stunden lang angeſpannt thätig zu ſein, ohne der Er¬ friſchung des Schlafes zu bedürfen. So eilte er in der Mitte zwiſchen zwei gegen ihn vordringenden Heeren, deren jedes dem ſeinen faſt doppelt überlegen war, thalauf-, thalabwärts und warf ſich jetzt dem einen, dann, die Stirne wendend, dem andern entgegen, immer ſiegreich, bis er ſie beide, Spanier und Oeſterreicher, vom Bündnerboden verdrängt hatte und das ganze langgeſtreckte Thal der Adda, das ſeit Jahrzehnten herrenloſe und ſtreitige Veltlin in der Gewalt ſeiner Waffen war.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/244>, abgerufen am 26.04.2024.