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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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er auf den blutigsten Irrwegen geklommen und dem er
sich seit Jahren mit gebändigtem Willen als ergebenes
Werkzeug einer edeln und, wie er glaubte, in ihrem
Machtkreise unbeschränkten Persönlichkeit auf dem sichern
Wege der Gerechtigkeit und Ehre genähert hatte, --
dies Ziel, das er noch heute mit der Hand berührte,
es war ihm entrückt -- nein, es war vor ihm ver¬
sunken! Denn Eines stand vor seiner Seele mit ent¬
setzlicher Klarheit: Bünden sollte nie frei werden, sollte
nach der Absicht des allgewaltigen und gewissenlosen
Geistes, der Frankreichs schwachen König beherrschte und
dessen innere und äußere Politik nach Gefallen lenkte,
aufbehalten werden bis zum allgemeinen Frieden. Dann
von Richelieu in die zu vertheilende Masse verfügbarer
Länder geworfen, unter die übrigen Tauschobjekte ge¬
mengt, war seiner armen Heimat unvermeidliches Schicksal,
beim Länderschacher des Friedensschlusses auf den Markt
gebracht und diesem oder jenem einen günstigen Handel
Anbietenden zugewogen zu werden.

Der Herzog trug keine Schuld daran. Er liebte
Bünden und wollte es freigeben; aber er war nicht
stark genug, seinen Willen gegen den ihn mißbrauchen¬
den des Cardinals durchzusetzen. Er wagte es nicht,
sich mit einem Nebenbuhler zu messen, der über den
Schranken der Gewissenhaftigkeit stand; er scheute sich

er auf den blutigſten Irrwegen geklommen und dem er
ſich ſeit Jahren mit gebändigtem Willen als ergebenes
Werkzeug einer edeln und, wie er glaubte, in ihrem
Machtkreiſe unbeſchränkten Perſönlichkeit auf dem ſichern
Wege der Gerechtigkeit und Ehre genähert hatte, —
dies Ziel, das er noch heute mit der Hand berührte,
es war ihm entrückt — nein, es war vor ihm ver¬
ſunken! Denn Eines ſtand vor ſeiner Seele mit ent¬
ſetzlicher Klarheit: Bünden ſollte nie frei werden, ſollte
nach der Abſicht des allgewaltigen und gewiſſenloſen
Geiſtes, der Frankreichs ſchwachen König beherrſchte und
deſſen innere und äußere Politik nach Gefallen lenkte,
aufbehalten werden bis zum allgemeinen Frieden. Dann
von Richelieu in die zu vertheilende Maſſe verfügbarer
Länder geworfen, unter die übrigen Tauſchobjekte ge¬
mengt, war ſeiner armen Heimat unvermeidliches Schickſal,
beim Länderſchacher des Friedensſchluſſes auf den Markt
gebracht und dieſem oder jenem einen günſtigen Handel
Anbietenden zugewogen zu werden.

Der Herzog trug keine Schuld daran. Er liebte
Bünden und wollte es freigeben; aber er war nicht
ſtark genug, ſeinen Willen gegen den ihn mißbrauchen¬
den des Cardinals durchzuſetzen. Er wagte es nicht,
ſich mit einem Nebenbuhler zu meſſen, der über den
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[269/0279] er auf den blutigſten Irrwegen geklommen und dem er ſich ſeit Jahren mit gebändigtem Willen als ergebenes Werkzeug einer edeln und, wie er glaubte, in ihrem Machtkreiſe unbeſchränkten Perſönlichkeit auf dem ſichern Wege der Gerechtigkeit und Ehre genähert hatte, — dies Ziel, das er noch heute mit der Hand berührte, es war ihm entrückt — nein, es war vor ihm ver¬ ſunken! Denn Eines ſtand vor ſeiner Seele mit ent¬ ſetzlicher Klarheit: Bünden ſollte nie frei werden, ſollte nach der Abſicht des allgewaltigen und gewiſſenloſen Geiſtes, der Frankreichs ſchwachen König beherrſchte und deſſen innere und äußere Politik nach Gefallen lenkte, aufbehalten werden bis zum allgemeinen Frieden. Dann von Richelieu in die zu vertheilende Maſſe verfügbarer Länder geworfen, unter die übrigen Tauſchobjekte ge¬ mengt, war ſeiner armen Heimat unvermeidliches Schickſal, beim Länderſchacher des Friedensſchluſſes auf den Markt gebracht und dieſem oder jenem einen günſtigen Handel Anbietenden zugewogen zu werden. Der Herzog trug keine Schuld daran. Er liebte Bünden und wollte es freigeben; aber er war nicht ſtark genug, ſeinen Willen gegen den ihn mißbrauchen¬ den des Cardinals durchzuſetzen. Er wagte es nicht, ſich mit einem Nebenbuhler zu meſſen, der über den Schranken der Gewiſſenhaftigkeit ſtand; er ſcheute ſich

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/279>, abgerufen am 30.04.2024.