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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Jürg Jenatsch aber umschlang die eben eintretende
Lucia und küßte sie mit überströmender Zärtlichkeit:
"Sei getrost, mein Herz, und freue Dich! Eben hat
Dein Georg den schwarzen geistlichen Rock abgeworfen,
der Dich mit den Deinen verfeindet hat. Wir ziehn
hier weg, es wird Dir wohlergehn und Du erlebst an
Deinem Manne Ehre die Fülle."

Lucia erröthete vor Freude und blickte mit seliger
Bewunderung in Jürgs übermüthiges Angesicht, aus
dem eine wilde Freude sprühte. Noch nie hatte sie ihn
so glücklich gesehn. Offenbar wich eine dunkle Furcht
von ihrem Herzen, an der sie von Tage zu Tage schwe¬
rer getragen und die ihr das Leben in der Heimat
verleidet hatte.

"Hier, Jürg, mein Bruder," sagte jetzt Fausch,
der mit seiner Rechnung fertig war, "hier mein Ein¬
gebinde zu Deinem Tauftage als Ritter Georg! Für
Gaul und Harnisch. Das Kapital ist gut angelegt.
Ich komme mit einem Hundert zurecht." Und er schob
ihm die Hälfte seines kleinen Erbes zu.

Jürg schüttelte die ihm entgegengestreckte kurze breite
Hand derb, aber ohne sonderliche Rührung und strich
das Gold ein.

Inzwischen hatte sich Waser zu Pater Pancraz ge¬
setzt, um ihm auf den Zahn zu fühlen. Dem Zürcher

Jürg Jenatſch aber umſchlang die eben eintretende
Lucia und küßte ſie mit überſtrömender Zärtlichkeit:
„Sei getroſt, mein Herz, und freue Dich! Eben hat
Dein Georg den ſchwarzen geiſtlichen Rock abgeworfen,
der Dich mit den Deinen verfeindet hat. Wir ziehn
hier weg, es wird Dir wohlergehn und Du erlebſt an
Deinem Manne Ehre die Fülle.“

Lucia erröthete vor Freude und blickte mit ſeliger
Bewunderung in Jürgs übermüthiges Angeſicht, aus
dem eine wilde Freude ſprühte. Noch nie hatte ſie ihn
ſo glücklich geſehn. Offenbar wich eine dunkle Furcht
von ihrem Herzen, an der ſie von Tage zu Tage ſchwe¬
rer getragen und die ihr das Leben in der Heimat
verleidet hatte.

„Hier, Jürg, mein Bruder,“ ſagte jetzt Fauſch,
der mit ſeiner Rechnung fertig war, „hier mein Ein¬
gebinde zu Deinem Tauftage als Ritter Georg! Für
Gaul und Harniſch. Das Kapital iſt gut angelegt.
Ich komme mit einem Hundert zurecht.“ Und er ſchob
ihm die Hälfte ſeines kleinen Erbes zu.

Jürg ſchüttelte die ihm entgegengeſtreckte kurze breite
Hand derb, aber ohne ſonderliche Rührung und ſtrich
das Gold ein.

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[88/0098] Jürg Jenatſch aber umſchlang die eben eintretende Lucia und küßte ſie mit überſtrömender Zärtlichkeit: „Sei getroſt, mein Herz, und freue Dich! Eben hat Dein Georg den ſchwarzen geiſtlichen Rock abgeworfen, der Dich mit den Deinen verfeindet hat. Wir ziehn hier weg, es wird Dir wohlergehn und Du erlebſt an Deinem Manne Ehre die Fülle.“ Lucia erröthete vor Freude und blickte mit ſeliger Bewunderung in Jürgs übermüthiges Angeſicht, aus dem eine wilde Freude ſprühte. Noch nie hatte ſie ihn ſo glücklich geſehn. Offenbar wich eine dunkle Furcht von ihrem Herzen, an der ſie von Tage zu Tage ſchwe¬ rer getragen und die ihr das Leben in der Heimat verleidet hatte. „Hier, Jürg, mein Bruder,“ ſagte jetzt Fauſch, der mit ſeiner Rechnung fertig war, „hier mein Ein¬ gebinde zu Deinem Tauftage als Ritter Georg! Für Gaul und Harniſch. Das Kapital iſt gut angelegt. Ich komme mit einem Hundert zurecht.“ Und er ſchob ihm die Hälfte ſeines kleinen Erbes zu. Jürg ſchüttelte die ihm entgegengeſtreckte kurze breite Hand derb, aber ohne ſonderliche Rührung und ſtrich das Gold ein. Inzwiſchen hatte ſich Waſer zu Pater Pancraz ge¬ ſetzt, um ihm auf den Zahn zu fühlen. Dem Zürcher

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/98>, abgerufen am 29.04.2024.