Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



te, abgebleichte Gesichter, die der Hunger und der
Gram entstellt hat. Ueberall wird man als Feind
angesehen und verflucht. Und eigne Noth hat
man auch oft genug. Stellen Sie sich einmal
vor: Bey Liegnitz hatten wir bey acht Tagen kei-
nen Bissen Brod zu essen; nichts als harten,
zwanzigjährigen Zwieback, und Fleisch, das uns,
so ganz ohne Zugemüß, bald zum Ekel wurde.
Nun mußten wir schlagen. Nach der Schlacht
hab ich wol zwanzig todten Kaiserlichen ihre Tor-
nister durchgesucht, ob ich nicht ein Stückchen
Brod drinn finde? Aber umsonst; sie hatten selbst
keines gehabt. Endlich einen Tag drauf kriegten
wir von Breslau Brod. Da hätten sie die Be-
gier sehen sollen, mit der man drüber her fiel!
Mancher aß sich fast den Tod drinn. Was ein
menschliches Herz auf einem Schlachtfeld fühlen
muß, das können Sie sich vorstellen. Hier ein Arm
und dort ein Rumpf! Hier ein Sterbender und
dort ein schwer Verwundeter! Und dann das Ge-
winsel und Geheul; und das Flehn um Hülfe,
oder gar um Tod! Und wenn man ungefähr auf
seinen Freund stöst, der im Blute liegt! O! das
Herz möcht einem bersten! Da war bey meinem
Regiment ein Hauptmann; mein Vertrautester,



te, abgebleichte Geſichter, die der Hunger und der
Gram entſtellt hat. Ueberall wird man als Feind
angeſehen und verflucht. Und eigne Noth hat
man auch oft genug. Stellen Sie ſich einmal
vor: Bey Liegnitz hatten wir bey acht Tagen kei-
nen Biſſen Brod zu eſſen; nichts als harten,
zwanzigjaͤhrigen Zwieback, und Fleiſch, das uns,
ſo ganz ohne Zugemuͤß, bald zum Ekel wurde.
Nun mußten wir ſchlagen. Nach der Schlacht
hab ich wol zwanzig todten Kaiſerlichen ihre Tor-
niſter durchgeſucht, ob ich nicht ein Stuͤckchen
Brod drinn finde? Aber umſonſt; ſie hatten ſelbſt
keines gehabt. Endlich einen Tag drauf kriegten
wir von Breslau Brod. Da haͤtten ſie die Be-
gier ſehen ſollen, mit der man druͤber her fiel!
Mancher aß ſich faſt den Tod drinn. Was ein
menſchliches Herz auf einem Schlachtfeld fuͤhlen
muß, das koͤnnen Sie ſich vorſtellen. Hier ein Arm
und dort ein Rumpf! Hier ein Sterbender und
dort ein ſchwer Verwundeter! Und dann das Ge-
winſel und Geheul; und das Flehn um Huͤlfe,
oder gar um Tod! Und wenn man ungefaͤhr auf
ſeinen Freund ſtoͤſt, der im Blute liegt! O! das
Herz moͤcht einem berſten! Da war bey meinem
Regiment ein Hauptmann; mein Vertrauteſter,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0365" n="361"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
te, abgebleichte Ge&#x017F;ichter, die der Hunger und der<lb/>
Gram ent&#x017F;tellt hat. Ueberall wird man als Feind<lb/>
ange&#x017F;ehen und verflucht. Und eigne Noth hat<lb/>
man auch oft genug. Stellen Sie &#x017F;ich einmal<lb/>
vor: Bey <hi rendition="#fr">Liegnitz</hi> hatten wir bey acht Tagen kei-<lb/>
nen Bi&#x017F;&#x017F;en Brod zu e&#x017F;&#x017F;en; nichts als harten,<lb/>
zwanzigja&#x0364;hrigen Zwieback, und Flei&#x017F;ch, das uns,<lb/>
&#x017F;o ganz ohne Zugemu&#x0364;ß, bald zum Ekel wurde.<lb/>
Nun mußten wir &#x017F;chlagen. Nach der Schlacht<lb/>
hab ich wol zwanzig todten Kai&#x017F;erlichen ihre Tor-<lb/>
ni&#x017F;ter durchge&#x017F;ucht, ob ich nicht ein Stu&#x0364;ckchen<lb/>
Brod drinn finde? Aber um&#x017F;on&#x017F;t; &#x017F;ie hatten &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
keines gehabt. Endlich einen Tag drauf kriegten<lb/>
wir von <hi rendition="#fr">Breslau</hi> Brod. Da ha&#x0364;tten &#x017F;ie die Be-<lb/>
gier &#x017F;ehen &#x017F;ollen, mit der man dru&#x0364;ber her fiel!<lb/>
Mancher aß &#x017F;ich fa&#x017F;t den Tod drinn. Was ein<lb/>
men&#x017F;chliches Herz auf einem Schlachtfeld fu&#x0364;hlen<lb/>
muß, das ko&#x0364;nnen Sie &#x017F;ich vor&#x017F;tellen. Hier ein Arm<lb/>
und dort ein Rumpf! Hier ein Sterbender und<lb/>
dort ein &#x017F;chwer Verwundeter! Und dann das Ge-<lb/>
win&#x017F;el und Geheul; und das Flehn um Hu&#x0364;lfe,<lb/>
oder gar um Tod! Und wenn man ungefa&#x0364;hr auf<lb/>
&#x017F;einen Freund &#x017F;to&#x0364;&#x017F;t, der im Blute liegt! O! das<lb/>
Herz mo&#x0364;cht einem ber&#x017F;ten! Da war bey meinem<lb/>
Regiment ein Hauptmann; mein Vertraute&#x017F;ter,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[361/0365] te, abgebleichte Geſichter, die der Hunger und der Gram entſtellt hat. Ueberall wird man als Feind angeſehen und verflucht. Und eigne Noth hat man auch oft genug. Stellen Sie ſich einmal vor: Bey Liegnitz hatten wir bey acht Tagen kei- nen Biſſen Brod zu eſſen; nichts als harten, zwanzigjaͤhrigen Zwieback, und Fleiſch, das uns, ſo ganz ohne Zugemuͤß, bald zum Ekel wurde. Nun mußten wir ſchlagen. Nach der Schlacht hab ich wol zwanzig todten Kaiſerlichen ihre Tor- niſter durchgeſucht, ob ich nicht ein Stuͤckchen Brod drinn finde? Aber umſonſt; ſie hatten ſelbſt keines gehabt. Endlich einen Tag drauf kriegten wir von Breslau Brod. Da haͤtten ſie die Be- gier ſehen ſollen, mit der man druͤber her fiel! Mancher aß ſich faſt den Tod drinn. Was ein menſchliches Herz auf einem Schlachtfeld fuͤhlen muß, das koͤnnen Sie ſich vorſtellen. Hier ein Arm und dort ein Rumpf! Hier ein Sterbender und dort ein ſchwer Verwundeter! Und dann das Ge- winſel und Geheul; und das Flehn um Huͤlfe, oder gar um Tod! Und wenn man ungefaͤhr auf ſeinen Freund ſtoͤſt, der im Blute liegt! O! das Herz moͤcht einem berſten! Da war bey meinem Regiment ein Hauptmann; mein Vertrauteſter,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/365
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/365>, abgerufen am 14.05.2024.