Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



sen. Junge Leute kommen freylich oft so aneinan-
der, sie wissen selbst nicht, wie? und wären dann
froh, wenn sie sich bald wieder los werden könnten.
So aber ists, wie mir deucht, bey eurem Sohn
nicht, da ers schon über ein Jahr treibt, und noch
immer am Mädchen hängt. Er ist ein braver
Mensch, und sie auch, wie ihr selber sagt. Glaubt
mir, Franz, in dergleichen Sachen läßt sich nicht
viel spielen. Euer Sohn könnt sich das zu Ge-
müthe ziehen, und ich habe schon viel Schwermü-
thige gekannt, die's aus Liebe geworden sind; sol-
chen Leuten ist dann schwerlich mehr zu helfen,
auch wenn man ihnen hinterdrein das Mädchen
geben wollte. Warum wollt ihrs denn nicht thun?
Gesteht mirs nur, daß sich viel Eigensinn und Geiz
mit einmischt! Beydes sind gar grobe Laster. Wer
sein ganzes Glück auf Geld und Gut setzt, der ver-
gißt zuletzt seine Seele drüber. Jhr habt ein schön
Vermögen, mehr als ihr braucht, wenn ihr auch
hundert Jahr alt werdet. Sie hat auch ihre 6
bis 700 Gulden. Wenn die Leutchen nun zusam-
men kommen und fleißig arbeiten, so kanns ihnen
nicht wol fehlen. Sie werden zusammen leben wie
die Engel, still und friedlich; werden euch ihr Le-
belang ihr Glück verdanken, und euch Freude ma-



ſen. Junge Leute kommen freylich oft ſo aneinan-
der, ſie wiſſen ſelbſt nicht, wie? und waͤren dann
froh, wenn ſie ſich bald wieder los werden koͤnnten.
So aber iſts, wie mir deucht, bey eurem Sohn
nicht, da ers ſchon uͤber ein Jahr treibt, und noch
immer am Maͤdchen haͤngt. Er iſt ein braver
Menſch, und ſie auch, wie ihr ſelber ſagt. Glaubt
mir, Franz, in dergleichen Sachen laͤßt ſich nicht
viel ſpielen. Euer Sohn koͤnnt ſich das zu Ge-
muͤthe ziehen, und ich habe ſchon viel Schwermuͤ-
thige gekannt, die’s aus Liebe geworden ſind; ſol-
chen Leuten iſt dann ſchwerlich mehr zu helfen,
auch wenn man ihnen hinterdrein das Maͤdchen
geben wollte. Warum wollt ihrs denn nicht thun?
Geſteht mirs nur, daß ſich viel Eigenſinn und Geiz
mit einmiſcht! Beydes ſind gar grobe Laſter. Wer
ſein ganzes Gluͤck auf Geld und Gut ſetzt, der ver-
gißt zuletzt ſeine Seele druͤber. Jhr habt ein ſchoͤn
Vermoͤgen, mehr als ihr braucht, wenn ihr auch
hundert Jahr alt werdet. Sie hat auch ihre 6
bis 700 Gulden. Wenn die Leutchen nun zuſam-
men kommen und fleißig arbeiten, ſo kanns ihnen
nicht wol fehlen. Sie werden zuſammen leben wie
die Engel, ſtill und friedlich; werden euch ihr Le-
belang ihr Gluͤck verdanken, und euch Freude ma-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0079" n="75"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;en. Junge Leute kommen freylich oft &#x017F;o aneinan-<lb/>
der, &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;elb&#x017F;t nicht, wie? und wa&#x0364;ren dann<lb/>
froh, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich bald wieder los werden ko&#x0364;nnten.<lb/>
So aber i&#x017F;ts, wie mir deucht, bey eurem Sohn<lb/>
nicht, da ers &#x017F;chon u&#x0364;ber ein Jahr treibt, und noch<lb/>
immer am Ma&#x0364;dchen ha&#x0364;ngt. Er i&#x017F;t ein braver<lb/>
Men&#x017F;ch, und &#x017F;ie auch, wie ihr &#x017F;elber &#x017F;agt. Glaubt<lb/>
mir, <hi rendition="#fr">Franz,</hi> in dergleichen Sachen la&#x0364;ßt &#x017F;ich nicht<lb/>
viel &#x017F;pielen. Euer Sohn ko&#x0364;nnt &#x017F;ich das zu Ge-<lb/>
mu&#x0364;the ziehen, und ich habe &#x017F;chon viel Schwermu&#x0364;-<lb/>
thige gekannt, die&#x2019;s aus Liebe geworden &#x017F;ind; &#x017F;ol-<lb/>
chen Leuten i&#x017F;t dann &#x017F;chwerlich mehr zu helfen,<lb/>
auch wenn man ihnen hinterdrein das Ma&#x0364;dchen<lb/>
geben wollte. Warum wollt ihrs denn nicht thun?<lb/>
Ge&#x017F;teht mirs nur, daß &#x017F;ich viel Eigen&#x017F;inn und Geiz<lb/>
mit einmi&#x017F;cht! Beydes &#x017F;ind gar grobe La&#x017F;ter. Wer<lb/>
&#x017F;ein ganzes Glu&#x0364;ck auf Geld und Gut &#x017F;etzt, der ver-<lb/>
gißt zuletzt &#x017F;eine Seele dru&#x0364;ber. Jhr habt ein &#x017F;cho&#x0364;n<lb/>
Vermo&#x0364;gen, mehr als ihr braucht, wenn ihr auch<lb/>
hundert Jahr alt werdet. Sie hat auch ihre 6<lb/>
bis 700 Gulden. Wenn die Leutchen nun zu&#x017F;am-<lb/>
men kommen und fleißig arbeiten, &#x017F;o kanns ihnen<lb/>
nicht wol fehlen. Sie werden zu&#x017F;ammen leben wie<lb/>
die Engel, &#x017F;till und friedlich; werden euch ihr Le-<lb/>
belang ihr Glu&#x0364;ck verdanken, und euch Freude ma-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0079] ſen. Junge Leute kommen freylich oft ſo aneinan- der, ſie wiſſen ſelbſt nicht, wie? und waͤren dann froh, wenn ſie ſich bald wieder los werden koͤnnten. So aber iſts, wie mir deucht, bey eurem Sohn nicht, da ers ſchon uͤber ein Jahr treibt, und noch immer am Maͤdchen haͤngt. Er iſt ein braver Menſch, und ſie auch, wie ihr ſelber ſagt. Glaubt mir, Franz, in dergleichen Sachen laͤßt ſich nicht viel ſpielen. Euer Sohn koͤnnt ſich das zu Ge- muͤthe ziehen, und ich habe ſchon viel Schwermuͤ- thige gekannt, die’s aus Liebe geworden ſind; ſol- chen Leuten iſt dann ſchwerlich mehr zu helfen, auch wenn man ihnen hinterdrein das Maͤdchen geben wollte. Warum wollt ihrs denn nicht thun? Geſteht mirs nur, daß ſich viel Eigenſinn und Geiz mit einmiſcht! Beydes ſind gar grobe Laſter. Wer ſein ganzes Gluͤck auf Geld und Gut ſetzt, der ver- gißt zuletzt ſeine Seele druͤber. Jhr habt ein ſchoͤn Vermoͤgen, mehr als ihr braucht, wenn ihr auch hundert Jahr alt werdet. Sie hat auch ihre 6 bis 700 Gulden. Wenn die Leutchen nun zuſam- men kommen und fleißig arbeiten, ſo kanns ihnen nicht wol fehlen. Sie werden zuſammen leben wie die Engel, ſtill und friedlich; werden euch ihr Le- belang ihr Gluͤck verdanken, und euch Freude ma-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/79
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/79>, abgerufen am 30.04.2024.