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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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so von Herzen lieb hat, daß sie drüber zu Grund
gehen würde; dann ists, als ob ich mit hundert
Haken wieder zu ihr hin gezogen würde, und sie
in Zeit und Ewigkeit nicht lassen könnte. -- Nein,
bey Gott, ich kanns nicht! Bey allen Heiligen
will ichs schwören, daß es kein Eigensinn ist! Jch
thu sonst so willig, was mein Vater will; er
muß es selber sagen. Aber wenn ich meine Re-
gine
nicht haben soll, das hieß mir Gift geben,
da will ich mich lieber lebendig braten lassen.
Jedermann muß mir's Zeugniß geben, daß nichts
an ihr auszusetzen ist, und daß wir nie nichts
Unrechtes miteinander vorgehabt haben. Sehen
Sie nur, Herr Pater, es ist ein engelschönes
Mädel, frisch und rasch, zu aller Arbeit aufge-
legt; ihre Eltern sind auch brave Leut, die sie
christlich und wohl erzogen haben. Sie versieht
das ganze Hauswesen, seit die Mutter krank ist;
den ganzen Tag sieht sie bey der Arbeit nicht
auf, wenn auch ich zu ihr käme. Alle Men-
schen sind ihr gut; sie hätt schon zehen Bauren
haben können, die noch reicher sind, als ich; aber
sie will keinen, als mich; und da sollt ich ihr
den Stuhl vor die Stube setzen? Nein, das will
ich nicht, das kann ich nicht! Einem Kerl, der



ſo von Herzen lieb hat, daß ſie druͤber zu Grund
gehen wuͤrde; dann iſts, als ob ich mit hundert
Haken wieder zu ihr hin gezogen wuͤrde, und ſie
in Zeit und Ewigkeit nicht laſſen koͤnnte. — Nein,
bey Gott, ich kanns nicht! Bey allen Heiligen
will ichs ſchwoͤren, daß es kein Eigenſinn iſt! Jch
thu ſonſt ſo willig, was mein Vater will; er
muß es ſelber ſagen. Aber wenn ich meine Re-
gine
nicht haben ſoll, das hieß mir Gift geben,
da will ich mich lieber lebendig braten laſſen.
Jedermann muß mir’s Zeugniß geben, daß nichts
an ihr auszuſetzen iſt, und daß wir nie nichts
Unrechtes miteinander vorgehabt haben. Sehen
Sie nur, Herr Pater, es iſt ein engelſchoͤnes
Maͤdel, friſch und raſch, zu aller Arbeit aufge-
legt; ihre Eltern ſind auch brave Leut, die ſie
chriſtlich und wohl erzogen haben. Sie verſieht
das ganze Hausweſen, ſeit die Mutter krank iſt;
den ganzen Tag ſieht ſie bey der Arbeit nicht
auf, wenn auch ich zu ihr kaͤme. Alle Men-
ſchen ſind ihr gut; ſie haͤtt ſchon zehen Bauren
haben koͤnnen, die noch reicher ſind, als ich; aber
ſie will keinen, als mich; und da ſollt ich ihr
den Stuhl vor die Stube ſetzen? Nein, das will
ich nicht, das kann ich nicht! Einem Kerl, der

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[78/0082] ſo von Herzen lieb hat, daß ſie druͤber zu Grund gehen wuͤrde; dann iſts, als ob ich mit hundert Haken wieder zu ihr hin gezogen wuͤrde, und ſie in Zeit und Ewigkeit nicht laſſen koͤnnte. — Nein, bey Gott, ich kanns nicht! Bey allen Heiligen will ichs ſchwoͤren, daß es kein Eigenſinn iſt! Jch thu ſonſt ſo willig, was mein Vater will; er muß es ſelber ſagen. Aber wenn ich meine Re- gine nicht haben ſoll, das hieß mir Gift geben, da will ich mich lieber lebendig braten laſſen. Jedermann muß mir’s Zeugniß geben, daß nichts an ihr auszuſetzen iſt, und daß wir nie nichts Unrechtes miteinander vorgehabt haben. Sehen Sie nur, Herr Pater, es iſt ein engelſchoͤnes Maͤdel, friſch und raſch, zu aller Arbeit aufge- legt; ihre Eltern ſind auch brave Leut, die ſie chriſtlich und wohl erzogen haben. Sie verſieht das ganze Hausweſen, ſeit die Mutter krank iſt; den ganzen Tag ſieht ſie bey der Arbeit nicht auf, wenn auch ich zu ihr kaͤme. Alle Men- ſchen ſind ihr gut; ſie haͤtt ſchon zehen Bauren haben koͤnnen, die noch reicher ſind, als ich; aber ſie will keinen, als mich; und da ſollt ich ihr den Stuhl vor die Stube ſetzen? Nein, das will ich nicht, das kann ich nicht! Einem Kerl, der

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/82>, abgerufen am 30.04.2024.