Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.
licher hat, vermittelst der Religion und des Anse- hens, das ihm sein Stand in den Augen andrer Leute gibt, viel Gewalt über das Herz der Men- schen und besonders des gemeinen Mannes; Möcht' es doch jeder zu so guten Absichten, wie P. Anton, und nicht, wie so viele thun, zu Befriedigung seiner Leidenschaften, seines Ehr-und Geldgeizes oder sei- ner Rachgier anwenden! Der edle Mann, mit dem schneeweißen Haar und der breiten Glatze saß jetzt da, gesegnet von den Eheleuten, die er wieder ausgesöhnt, gesegnet von einem jungen Paar, dessen Glück, das schon zu wanken anfieng, er aufs ganze Leben befestigt hatte, und von einer Mutter, der er ihren Sohn und die Ruhe ihres Mannes wieder gab. Siegwart sah ihn an wie einen unmittelbaren Abgesandten Gottes; helle Zähren stunden ihm im Auge, und er konnt es gar nicht von ihm wegwen- den. Franz sprach schon davon, wann sein Sohn Hochzeit machen sollte, und setzte sie auf den künf- tigen Monat fest, da denn Anton versprechen muß- te, auch dazu zu kommen. Er bekam reichliche Geschenke für sein Kloster, Butter, Flachs und Eyer, und nahm endlich mit dem jungen Sieg- wart Abschied, um das Allmosen bey dem Schulzen in Empfang zu nehmen, seine Abfahrt zu besorgen, licher hat, vermittelſt der Religion und des Anſe- hens, das ihm ſein Stand in den Augen andrer Leute gibt, viel Gewalt uͤber das Herz der Men- ſchen und beſonders des gemeinen Mannes; Moͤcht’ es doch jeder zu ſo guten Abſichten, wie P. Anton, und nicht, wie ſo viele thun, zu Befriedigung ſeiner Leidenſchaften, ſeines Ehr-und Geldgeizes oder ſei- ner Rachgier anwenden! Der edle Mann, mit dem ſchneeweißen Haar und der breiten Glatze ſaß jetzt da, geſegnet von den Eheleuten, die er wieder ausgeſoͤhnt, geſegnet von einem jungen Paar, deſſen Gluͤck, das ſchon zu wanken anfieng, er aufs ganze Leben befeſtigt hatte, und von einer Mutter, der er ihren Sohn und die Ruhe ihres Mannes wieder gab. Siegwart ſah ihn an wie einen unmittelbaren Abgeſandten Gottes; helle Zaͤhren ſtunden ihm im Auge, und er konnt es gar nicht von ihm wegwen- den. Franz ſprach ſchon davon, wann ſein Sohn Hochzeit machen ſollte, und ſetzte ſie auf den kuͤnf- tigen Monat feſt, da denn Anton verſprechen muß- te, auch dazu zu kommen. Er bekam reichliche Geſchenke fuͤr ſein Kloſter, Butter, Flachs und Eyer, und nahm endlich mit dem jungen Sieg- wart Abſchied, um das Allmoſen bey dem Schulzen in Empfang zu nehmen, ſeine Abfahrt zu beſorgen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0086" n="82"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> licher hat, vermittelſt der Religion und des Anſe-<lb/> hens, das ihm ſein Stand in den Augen andrer<lb/> Leute gibt, viel Gewalt uͤber das Herz der Men-<lb/> ſchen und beſonders des gemeinen Mannes; Moͤcht’<lb/> es doch jeder zu ſo guten Abſichten, wie P. <hi rendition="#fr">Anton,</hi><lb/> und nicht, wie ſo viele thun, zu Befriedigung ſeiner<lb/> Leidenſchaften, ſeines Ehr-und Geldgeizes oder ſei-<lb/> ner Rachgier anwenden! Der edle Mann, mit dem<lb/> ſchneeweißen Haar und der breiten Glatze ſaß jetzt da,<lb/> geſegnet von den Eheleuten, die er wieder ausgeſoͤhnt,<lb/> geſegnet von einem jungen Paar, deſſen Gluͤck,<lb/> das ſchon zu wanken anfieng, er aufs ganze Leben<lb/> befeſtigt hatte, und von einer Mutter, der er ihren<lb/> Sohn und die Ruhe ihres Mannes wieder gab.<lb/><hi rendition="#fr">Siegwart</hi> ſah ihn an wie einen unmittelbaren<lb/> Abgeſandten Gottes; helle Zaͤhren ſtunden ihm im<lb/> Auge, und er konnt es gar nicht von ihm wegwen-<lb/> den. <hi rendition="#fr">Franz</hi> ſprach ſchon davon, wann ſein Sohn<lb/> Hochzeit machen ſollte, und ſetzte ſie auf den kuͤnf-<lb/> tigen Monat feſt, da denn <hi rendition="#fr">Anton</hi> verſprechen muß-<lb/> te, auch dazu zu kommen. Er bekam reichliche<lb/> Geſchenke fuͤr ſein Kloſter, Butter, Flachs und<lb/> Eyer, und nahm endlich mit dem jungen <hi rendition="#fr">Sieg-<lb/> wart</hi> Abſchied, um das Allmoſen bey dem Schulzen<lb/> in Empfang zu nehmen, ſeine Abfahrt zu beſorgen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [82/0086]
licher hat, vermittelſt der Religion und des Anſe-
hens, das ihm ſein Stand in den Augen andrer
Leute gibt, viel Gewalt uͤber das Herz der Men-
ſchen und beſonders des gemeinen Mannes; Moͤcht’
es doch jeder zu ſo guten Abſichten, wie P. Anton,
und nicht, wie ſo viele thun, zu Befriedigung ſeiner
Leidenſchaften, ſeines Ehr-und Geldgeizes oder ſei-
ner Rachgier anwenden! Der edle Mann, mit dem
ſchneeweißen Haar und der breiten Glatze ſaß jetzt da,
geſegnet von den Eheleuten, die er wieder ausgeſoͤhnt,
geſegnet von einem jungen Paar, deſſen Gluͤck,
das ſchon zu wanken anfieng, er aufs ganze Leben
befeſtigt hatte, und von einer Mutter, der er ihren
Sohn und die Ruhe ihres Mannes wieder gab.
Siegwart ſah ihn an wie einen unmittelbaren
Abgeſandten Gottes; helle Zaͤhren ſtunden ihm im
Auge, und er konnt es gar nicht von ihm wegwen-
den. Franz ſprach ſchon davon, wann ſein Sohn
Hochzeit machen ſollte, und ſetzte ſie auf den kuͤnf-
tigen Monat feſt, da denn Anton verſprechen muß-
te, auch dazu zu kommen. Er bekam reichliche
Geſchenke fuͤr ſein Kloſter, Butter, Flachs und
Eyer, und nahm endlich mit dem jungen Sieg-
wart Abſchied, um das Allmoſen bey dem Schulzen
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| Zitationshilfe: | Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/86>, abgerufen am 30.04.2024. |
