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Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.

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Theogenes. Die Actiones derer Menschen wohl
zu entscheiden/ ist allerdings nicht genug/ nur auff
den natürlichen Unterscheid derer Temperamenten
zu sehen; woraus meistentheils das Thun und Las-
sen derer Menschen fliesset: sondern es ist dabey auch
auf den Unterscheid der Natur und der Gnade; oder
den Zustand eines Natürlichen und hingegen auch
Wiedergebohrnen zu sehen: Da das Thun und
Lassen des Menschen ein gantz anderes Ansehen ge-
winnet; ob gleich das natürliche Temperament blei-
bet/ und der Wiedergebohrne stets über sich selbst
zu wachen Ursache hat. Constitutio hominis Phy-
sica manet; Moralis autem mutatur.
Nicander. Jch gestehe/ daß in Betrachtung des
Menschlichen Thun und Lassens/ man zu bewun-
dernde Kräffte des Geistes gewahr wird: daß wo
ich eine Zauberey zu glauben beredet wäre/ ich fast
Beyfall geben sollte: daß es nicht mit rechten Din-
gen zuginge; alleine wenn man die Urfachen etwas
tiefer untersuchet und einsiehet; findet sichs: daß
es gantz natürlich zugehe: Mich besser verstehen zu
können/ will die Sache durch ein gleicheres Exem-
pel erklären. Ein vornehmer Herr hat viele Bedien-
ten; unter welchen ein und anderer mit einem Ta-
lent
begabet des Herren Paßionen zu schmeicheln;
ohnerachtet diese eben keine grosse Leute wären/ und
öffters grobe Fehler ihres Unverstandes blicken lies-
sen: so ists doch vor blöden Augen/ als ob der Herr
von solchen beiaubert wäre/ daß er die Fehler der-
selben nicht wahrnimmt. Alleine ein Kluger siehet
das Fundament dieser bezaubernden Krafft leicht
ein/
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Theogenes. Die Actiones derer Menſchen wohl
zu entſcheiden/ iſt allerdings nicht genug/ nur auff
den natuͤrlichen Unterſcheid derer Temperamenten
zu ſehen; woraus meiſtentheils das Thun und Laſ-
ſen derer Menſchen flieſſet: ſondern es iſt dabey auch
auf den Unterſcheid der Natur und der Gnade; oder
den Zuſtand eines Natuͤrlichen und hingegen auch
Wiedergebohrnen zu ſehen: Da das Thun und
Laſſen des Menſchen ein gantz anderes Anſehen ge-
winnet; ob gleich das natuͤrliche Temperament blei-
bet/ und der Wiedergebohrne ſtets uͤber ſich ſelbſt
zu wachen Urſache hat. Conſtitutio hominis Phy-
ſica manet; Moralis autem mutatur.
Nicander. Jch geſtehe/ daß in Betrachtung des
Menſchlichen Thun und Laſſens/ man zu bewun-
dernde Kraͤffte des Geiſtes gewahr wird: daß wo
ich eine Zauberey zu glauben beredet waͤre/ ich faſt
Beyfall geben ſollte: daß es nicht mit rechten Din-
gen zuginge; alleine wenn man die Urfachen etwas
tiefer unterſuchet und einſiehet; findet ſichs: daß
es gantz natuͤrlich zugehe: Mich beſſer verſtehen zu
koͤnnen/ will die Sache durch ein gleicheres Exem-
pel erklaͤren. Ein vornehmer Herr hat viele Bedien-
ten; unter welchen ein und anderer mit einem Ta-
lent
begabet des Herren Paßionen zu ſchmeicheln;
ohnerachtet dieſe eben keine groſſe Leute waͤren/ und
oͤffters grobe Fehler ihres Unverſtandes blicken lieſ-
ſen: ſo iſts doch vor bloͤden Augen/ als ob der Herr
von ſolchen beiaubert waͤre/ daß er die Fehler der-
ſelben nicht wahrnimmt. Alleine ein Kluger ſiehet
das Fundament dieſer bezaubernden Krafft leicht
ein/
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[121/0127] Theogenes. Die Actiones derer Menſchen wohl zu entſcheiden/ iſt allerdings nicht genug/ nur auff den natuͤrlichen Unterſcheid derer Temperamenten zu ſehen; woraus meiſtentheils das Thun und Laſ- ſen derer Menſchen flieſſet: ſondern es iſt dabey auch auf den Unterſcheid der Natur und der Gnade; oder den Zuſtand eines Natuͤrlichen und hingegen auch Wiedergebohrnen zu ſehen: Da das Thun und Laſſen des Menſchen ein gantz anderes Anſehen ge- winnet; ob gleich das natuͤrliche Temperament blei- bet/ und der Wiedergebohrne ſtets uͤber ſich ſelbſt zu wachen Urſache hat. Conſtitutio hominis Phy- ſica manet; Moralis autem mutatur. Nicander. Jch geſtehe/ daß in Betrachtung des Menſchlichen Thun und Laſſens/ man zu bewun- dernde Kraͤffte des Geiſtes gewahr wird: daß wo ich eine Zauberey zu glauben beredet waͤre/ ich faſt Beyfall geben ſollte: daß es nicht mit rechten Din- gen zuginge; alleine wenn man die Urfachen etwas tiefer unterſuchet und einſiehet; findet ſichs: daß es gantz natuͤrlich zugehe: Mich beſſer verſtehen zu koͤnnen/ will die Sache durch ein gleicheres Exem- pel erklaͤren. Ein vornehmer Herr hat viele Bedien- ten; unter welchen ein und anderer mit einem Ta- lent begabet des Herren Paßionen zu ſchmeicheln; ohnerachtet dieſe eben keine groſſe Leute waͤren/ und oͤffters grobe Fehler ihres Unverſtandes blicken lieſ- ſen: ſo iſts doch vor bloͤden Augen/ als ob der Herr von ſolchen beiaubert waͤre/ daß er die Fehler der- ſelben nicht wahrnimmt. Alleine ein Kluger ſiehet das Fundament dieſer bezaubernden Krafft leicht ein/ H 5

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Zitationshilfe: Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/127>, abgerufen am 29.04.2024.