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Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856.

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"Mein Herr, ich glaube was ich sehe. Diese
Früchte sind gezählt, ich bin dafür verantwortlich. Der
Baum ist vom Herrn Grafen zu einem Fest bestimmt,
so eben soll er weggebracht werden. Ich lasse Sie
nicht fort, ehbevor ich die Sache gemeldet und Sie
mir selbst bezeugten, wie das da zugegangen ist."

"Sey's drum. Ich werde hier so lange warten.
Verlaß Er sich darauf."

Der Gärtner sah sich zögernd um, und Mozart,
in der Meinung, es sey vielleicht nur auf ein Trink¬
geld abgesehen, griff in die Tasche, allein er hatte
das Geringste nicht bei sich.

Zwei Gartenknechte kamen nun wirklich herbei,
luden den Baum auf eine Bahre und trugen ihn hin¬
weg. Inzwischen hatte unser Meister seine Brieftasche
gezogen, ein weißes Blatt herausgenommen, und
während daß der Gärtner nicht von der Stelle wich,
mit Bleistift angefangen zu schreiben:

"Gnädigste Frau! Hier sitze ich Unseliger in
Ihrem Paradiese, wie weiland Adam, nachdem er
den Apfel gekostet. Das Unglück ist geschehen, und
ich kann nicht einmal die Schuld auf eine gute Eva
schieben, die eben jetzt, von Grazien und Amoretten
eines Himmelbetts umgaukelt, im Gasthof sich des

„Mein Herr, ich glaube was ich ſehe. Dieſe
Früchte ſind gezählt, ich bin dafür verantwortlich. Der
Baum iſt vom Herrn Grafen zu einem Feſt beſtimmt,
ſo eben ſoll er weggebracht werden. Ich laſſe Sie
nicht fort, ehbevor ich die Sache gemeldet und Sie
mir ſelbſt bezeugten, wie das da zugegangen iſt.“

„Sey's drum. Ich werde hier ſo lange warten.
Verlaß Er ſich darauf.“

Der Gärtner ſah ſich zögernd um, und Mozart,
in der Meinung, es ſey vielleicht nur auf ein Trink¬
geld abgeſehen, griff in die Taſche, allein er hatte
das Geringſte nicht bei ſich.

Zwei Gartenknechte kamen nun wirklich herbei,
luden den Baum auf eine Bahre und trugen ihn hin¬
weg. Inzwiſchen hatte unſer Meiſter ſeine Brieftaſche
gezogen, ein weißes Blatt herausgenommen, und
während daß der Gärtner nicht von der Stelle wich,
mit Bleiſtift angefangen zu ſchreiben:

„Gnädigſte Frau! Hier ſitze ich Unſeliger in
Ihrem Paradieſe, wie weiland Adam, nachdem er
den Apfel gekoſtet. Das Unglück iſt geſchehen, und
ich kann nicht einmal die Schuld auf eine gute Eva
ſchieben, die eben jetzt, von Grazien und Amoretten
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[31/0043] „Mein Herr, ich glaube was ich ſehe. Dieſe Früchte ſind gezählt, ich bin dafür verantwortlich. Der Baum iſt vom Herrn Grafen zu einem Feſt beſtimmt, ſo eben ſoll er weggebracht werden. Ich laſſe Sie nicht fort, ehbevor ich die Sache gemeldet und Sie mir ſelbſt bezeugten, wie das da zugegangen iſt.“ „Sey's drum. Ich werde hier ſo lange warten. Verlaß Er ſich darauf.“ Der Gärtner ſah ſich zögernd um, und Mozart, in der Meinung, es ſey vielleicht nur auf ein Trink¬ geld abgeſehen, griff in die Taſche, allein er hatte das Geringſte nicht bei ſich. Zwei Gartenknechte kamen nun wirklich herbei, luden den Baum auf eine Bahre und trugen ihn hin¬ weg. Inzwiſchen hatte unſer Meiſter ſeine Brieftaſche gezogen, ein weißes Blatt herausgenommen, und während daß der Gärtner nicht von der Stelle wich, mit Bleiſtift angefangen zu ſchreiben: „Gnädigſte Frau! Hier ſitze ich Unſeliger in Ihrem Paradieſe, wie weiland Adam, nachdem er den Apfel gekoſtet. Das Unglück iſt geſchehen, und ich kann nicht einmal die Schuld auf eine gute Eva ſchieben, die eben jetzt, von Grazien und Amoretten eines Himmelbetts umgaukelt, im Gaſthof ſich des

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/43>, abgerufen am 28.04.2024.