Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.Einst eine schwarze Weide blüht, Ein Kindlein muß sie fällen, Dann rauschen die Todeswellen, Drin Ulmons Herz verglüht. Auf Weyla's Mondenstrahl Sich Ulmon soll erheben, Sein Götterleib dann schweben Zum blauen Saal. Vollendet sich der Götter Wille nun. Noch Einmal tiefaufathmend in der Luft, Die mich so lang genährt, ruf' ich mein Leztes Der Erde zu, der Sonne und euch Wassern, Die ihr dieß Land umgebet und erfüllt. Doch du, verschwieg'ner See, empfängst den Leib, Und wie du grundlos, unterirdisch, dich Dem weiten Meer verbindest, so wirst du Mich fluthend führen in's Unendliche, Mein Geist wird bei den Göttern seyn; ich darf Mit Weyla theilen bald das ros'ge Licht. Gehab' dich wohl, du wunderbare Insel! Von diesem Tage lieb' ich dich; so lass' Mich kindlich deinen Boden küssen; zwar Kenn' ich dich wenig als mein Vaterland, So stumpf, so blind gemacht durch lange Jahre Kenn' ich nicht meine Wiege mehr; gleichviel, Du warst zum wenigsten Stiefmutter mir, Ich bin dein treustes Kind -- Leb' wohl, Orplid! Einſt eine ſchwarze Weide blüht, Ein Kindlein muß ſie fällen, Dann rauſchen die Todeswellen, Drin Ulmons Herz verglüht. Auf Weyla’s Mondenſtrahl Sich Ulmon ſoll erheben, Sein Götterleib dann ſchweben Zum blauen Saal. Vollendet ſich der Götter Wille nun. Noch Einmal tiefaufathmend in der Luft, Die mich ſo lang genährt, ruf’ ich mein Leztes Der Erde zu, der Sonne und euch Waſſern, Die ihr dieß Land umgebet und erfüllt. Doch du, verſchwieg’ner See, empfängſt den Leib, Und wie du grundlos, unterirdiſch, dich Dem weiten Meer verbindeſt, ſo wirſt du Mich fluthend führen in’s Unendliche, Mein Geiſt wird bei den Göttern ſeyn; ich darf Mit Weyla theilen bald das roſ’ge Licht. Gehab’ dich wohl, du wunderbare Inſel! Von dieſem Tage lieb’ ich dich; ſo laſſ’ Mich kindlich deinen Boden küſſen; zwar Kenn’ ich dich wenig als mein Vaterland, So ſtumpf, ſo blind gemacht durch lange Jahre Kenn’ ich nicht meine Wiege mehr; gleichviel, Du warſt zum wenigſten Stiefmutter mir, Ich bin dein treuſtes Kind — Leb’ wohl, Orplid! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#koe"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0215" n="207"/> <lg n="2"> <l>Einſt eine ſchwarze Weide blüht,</l><lb/> <l>Ein Kindlein muß ſie fällen,</l><lb/> <l>Dann rauſchen die Todeswellen,</l><lb/> <l>Drin Ulmons Herz verglüht.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Auf Weyla’s Mondenſtrahl</l><lb/> <l>Sich Ulmon ſoll erheben,</l><lb/> <l>Sein Götterleib dann ſchweben</l><lb/> <l>Zum blauen Saal.</l> </lg> </lg><lb/> <p>So kam es und ſo wird es kommen. Raſch<lb/> Vollendet ſich der Götter Wille nun.</p><lb/> <p>Noch Einmal tiefaufathmend in der Luft,<lb/> Die mich ſo lang genährt, ruf’ ich mein Leztes<lb/> Der Erde zu, der Sonne und euch Waſſern,<lb/> Die ihr dieß Land umgebet und erfüllt.<lb/> Doch du, verſchwieg’ner See, empfängſt den Leib,<lb/> Und wie du grundlos, unterirdiſch, dich<lb/> Dem weiten Meer verbindeſt, ſo wirſt du<lb/> Mich fluthend führen in’s Unendliche,<lb/> Mein Geiſt wird bei den Göttern ſeyn; ich darf<lb/> Mit Weyla theilen bald das roſ’ge Licht.</p><lb/> <p>Gehab’ dich wohl, du wunderbare Inſel!<lb/> Von dieſem Tage lieb’ ich dich; ſo laſſ’<lb/> Mich kindlich deinen Boden küſſen; zwar<lb/> Kenn’ ich dich wenig als mein Vaterland,<lb/> So ſtumpf, ſo blind gemacht durch lange Jahre<lb/> Kenn’ ich nicht meine Wiege mehr; gleichviel,<lb/> Du warſt zum wenigſten Stiefmutter mir,<lb/> Ich bin dein treuſtes Kind — Leb’ wohl, Orplid!</p><lb/> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [207/0215]
Einſt eine ſchwarze Weide blüht,
Ein Kindlein muß ſie fällen,
Dann rauſchen die Todeswellen,
Drin Ulmons Herz verglüht.
Auf Weyla’s Mondenſtrahl
Sich Ulmon ſoll erheben,
Sein Götterleib dann ſchweben
Zum blauen Saal.
So kam es und ſo wird es kommen. Raſch
Vollendet ſich der Götter Wille nun.
Noch Einmal tiefaufathmend in der Luft,
Die mich ſo lang genährt, ruf’ ich mein Leztes
Der Erde zu, der Sonne und euch Waſſern,
Die ihr dieß Land umgebet und erfüllt.
Doch du, verſchwieg’ner See, empfängſt den Leib,
Und wie du grundlos, unterirdiſch, dich
Dem weiten Meer verbindeſt, ſo wirſt du
Mich fluthend führen in’s Unendliche,
Mein Geiſt wird bei den Göttern ſeyn; ich darf
Mit Weyla theilen bald das roſ’ge Licht.
Gehab’ dich wohl, du wunderbare Inſel!
Von dieſem Tage lieb’ ich dich; ſo laſſ’
Mich kindlich deinen Boden küſſen; zwar
Kenn’ ich dich wenig als mein Vaterland,
So ſtumpf, ſo blind gemacht durch lange Jahre
Kenn’ ich nicht meine Wiege mehr; gleichviel,
Du warſt zum wenigſten Stiefmutter mir,
Ich bin dein treuſtes Kind — Leb’ wohl, Orplid!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |