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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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Wesens an ihm waren bei weitem gemäßigter, als sie
zuweilen sogar an geachteten Männern von verwand-
tem Talente und Bestreben hervorzutreten pflegen.
Am wenigsten konnte Constanze die Güte seines
Herzens aufgeben. Jeder einzelne Moment, den sie
sich zurückrief und worin sie in die Falten seines ei-
gensten Denkens und Empfindens geblickt zu haben
glaubte, so mancher Anlaß, wo in wenigen treffend
ausgesprochenen Worten über Leben, über Kunst, ein
gedrungener Strahl seines Gemüths aufgestiegen war
und auf eine ganze Versammlung anregend wirkte,
endlich der ganze erschöpfende Begriff, den sie sich
nach so langem Umgange von ihm abgezogen hatte --
Alles stritt mit dem finstern, unheimlichen Zerrbilde,
das vielleicht ein blinder Zufall ihr aufdringen wollte,
sie zu schrecken, zu ängstigen, und worüber der Ge-
liebte, der wahre unverfälschte, wohl selbst verwun-
dert lächeln würde. Ein Funke von Hoffnung be-
schleicht sie, sie schaut auf's Neue nach dem Datum
der Briefe, sie rechnet schnell Monate, Wochen, Tage,
aber das Resultat ist immer nicht tröstlich, immerhin
fällt ein Theil der zärtlichen Korrespondenz in die Zeit,
wo Theobald Constanzen bereits unverkennbare
Zeichen seiner Absichten gegeben. Und gesezt auch,
die Neigung, wovon jene Briefe zeugen, wäre bloß
eine einseitige, -- was jedoch den Anschein gar nicht
hat, -- gesezt, Nolten hätte, den Glauben des
Mädchens hinhaltend, sich indessen heimlich einer un-

Weſens an ihm waren bei weitem gemäßigter, als ſie
zuweilen ſogar an geachteten Männern von verwand-
tem Talente und Beſtreben hervorzutreten pflegen.
Am wenigſten konnte Conſtanze die Güte ſeines
Herzens aufgeben. Jeder einzelne Moment, den ſie
ſich zurückrief und worin ſie in die Falten ſeines ei-
genſten Denkens und Empfindens geblickt zu haben
glaubte, ſo mancher Anlaß, wo in wenigen treffend
ausgeſprochenen Worten über Leben, über Kunſt, ein
gedrungener Strahl ſeines Gemüths aufgeſtiegen war
und auf eine ganze Verſammlung anregend wirkte,
endlich der ganze erſchöpfende Begriff, den ſie ſich
nach ſo langem Umgange von ihm abgezogen hatte —
Alles ſtritt mit dem finſtern, unheimlichen Zerrbilde,
das vielleicht ein blinder Zufall ihr aufdringen wollte,
ſie zu ſchrecken, zu ängſtigen, und worüber der Ge-
liebte, der wahre unverfälſchte, wohl ſelbſt verwun-
dert lächeln würde. Ein Funke von Hoffnung be-
ſchleicht ſie, ſie ſchaut auf’s Neue nach dem Datum
der Briefe, ſie rechnet ſchnell Monate, Wochen, Tage,
aber das Reſultat iſt immer nicht tröſtlich, immerhin
fällt ein Theil der zärtlichen Korreſpondenz in die Zeit,
wo Theobald Conſtanzen bereits unverkennbare
Zeichen ſeiner Abſichten gegeben. Und geſezt auch,
die Neigung, wovon jene Briefe zeugen, wäre bloß
eine einſeitige, — was jedoch den Anſchein gar nicht
hat, — geſezt, Nolten hätte, den Glauben des
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[228/0236] Weſens an ihm waren bei weitem gemäßigter, als ſie zuweilen ſogar an geachteten Männern von verwand- tem Talente und Beſtreben hervorzutreten pflegen. Am wenigſten konnte Conſtanze die Güte ſeines Herzens aufgeben. Jeder einzelne Moment, den ſie ſich zurückrief und worin ſie in die Falten ſeines ei- genſten Denkens und Empfindens geblickt zu haben glaubte, ſo mancher Anlaß, wo in wenigen treffend ausgeſprochenen Worten über Leben, über Kunſt, ein gedrungener Strahl ſeines Gemüths aufgeſtiegen war und auf eine ganze Verſammlung anregend wirkte, endlich der ganze erſchöpfende Begriff, den ſie ſich nach ſo langem Umgange von ihm abgezogen hatte — Alles ſtritt mit dem finſtern, unheimlichen Zerrbilde, das vielleicht ein blinder Zufall ihr aufdringen wollte, ſie zu ſchrecken, zu ängſtigen, und worüber der Ge- liebte, der wahre unverfälſchte, wohl ſelbſt verwun- dert lächeln würde. Ein Funke von Hoffnung be- ſchleicht ſie, ſie ſchaut auf’s Neue nach dem Datum der Briefe, ſie rechnet ſchnell Monate, Wochen, Tage, aber das Reſultat iſt immer nicht tröſtlich, immerhin fällt ein Theil der zärtlichen Korreſpondenz in die Zeit, wo Theobald Conſtanzen bereits unverkennbare Zeichen ſeiner Abſichten gegeben. Und geſezt auch, die Neigung, wovon jene Briefe zeugen, wäre bloß eine einſeitige, — was jedoch den Anſchein gar nicht hat, — geſezt, Nolten hätte, den Glauben des Mädchens hinhaltend, ſich indeſſen heimlich einer un-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/236>, abgerufen am 29.04.2024.