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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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und wohlfeilen Schaubühne.
chem anstößig sey. Die Sache selbst, daß einige Einwohner
einer Stadt, sie mögen sich nun von der Feder oder vom Le-
der nähren, sich zur Bühne geschickt machen, und für einen
mäßigen jährl. Nebengewinnst ihren Mitbürgern etwa die
Woche zweymal das Vergnügen eines Schauspiels geben sol-
len, beruht also auf einem richtigen ökonomischen Grunde,
und das Aepfelweib was zu Amsterdam die Prinzeßin vorstel-
let, verdient um deswillen nicht belacht sondern bewundert zu
werden.

Man werfe mir nicht ein, daß Leute dieser Art schwerlich
die feine und anständige Lebensart, den Geschmack und den
Ausdruck, und alle die Talente erreichen werden, welche zu
einer guten Vorstellung erfordert werden. Corregio, dieser
große Mahler, dieser Fürst der Grazie und des Kolorits, starb,
wie bekannt, an einem hitzigen Fieber, nachdem er zu Parma
die Bezahlung für ein Gemählde in Kupfermünze empfangen
und solche vier Meilen in der größten Hitze zu Fuße nach
Hause getragen hatte. Ohnfehlbar bediente sich Corregio
hiezu eines Quersacks; und wandelte also mit seinem Bündel
die Landstraße; wer wird aber um deswillen dem Manne Ge-
schmack, Ausdruck und Genie absprechen? Garrick ist gewiß
kein Mann von feiner Lebensert; und man sollte ihn ausser-
halb der Bühne für dumm und wahnsinnig halten. Dem
ungeachtet ist er der mächtigste im Ausdruck, und der Mann
der sich in alle Formen bildet. Der Firniß einer guten Lebens-
art ist bald erreicht, wo Empfindung und Macht vereinigt
sind; und ich getraue mir fast zu behaupten, daß die eigent-
liche feine Lebensart der Kunst mehr schädlich als vortheilhaft
sey. Es sind mehrentheils hohle Figuren mit einer erschlaften
Seele, die keine Muskel anstrengen und keine Nerve spannen
wollen; welche nach dem Rath des Riccoboni sich in der schein-
baren Hitze einer großen Leidenschaft bey kaltem Blute wahren,

und

und wohlfeilen Schaubuͤhne.
chem anſtoͤßig ſey. Die Sache ſelbſt, daß einige Einwohner
einer Stadt, ſie moͤgen ſich nun von der Feder oder vom Le-
der naͤhren, ſich zur Buͤhne geſchickt machen, und fuͤr einen
maͤßigen jaͤhrl. Nebengewinnſt ihren Mitbuͤrgern etwa die
Woche zweymal das Vergnuͤgen eines Schauſpiels geben ſol-
len, beruht alſo auf einem richtigen oͤkonomiſchen Grunde,
und das Aepfelweib was zu Amſterdam die Prinzeßin vorſtel-
let, verdient um deswillen nicht belacht ſondern bewundert zu
werden.

Man werfe mir nicht ein, daß Leute dieſer Art ſchwerlich
die feine und anſtaͤndige Lebensart, den Geſchmack und den
Ausdruck, und alle die Talente erreichen werden, welche zu
einer guten Vorſtellung erfordert werden. Corregio, dieſer
große Mahler, dieſer Fuͤrſt der Grazie und des Kolorits, ſtarb,
wie bekannt, an einem hitzigen Fieber, nachdem er zu Parma
die Bezahlung fuͤr ein Gemaͤhlde in Kupfermuͤnze empfangen
und ſolche vier Meilen in der groͤßten Hitze zu Fuße nach
Hauſe getragen hatte. Ohnfehlbar bediente ſich Corregio
hiezu eines Querſacks; und wandelte alſo mit ſeinem Buͤndel
die Landſtraße; wer wird aber um deswillen dem Manne Ge-
ſchmack, Ausdruck und Genie abſprechen? Garrick iſt gewiß
kein Mann von feiner Lebensert; und man ſollte ihn auſſer-
halb der Buͤhne fuͤr dumm und wahnſinnig halten. Dem
ungeachtet iſt er der maͤchtigſte im Ausdruck, und der Mann
der ſich in alle Formen bildet. Der Firniß einer guten Lebens-
art iſt bald erreicht, wo Empfindung und Macht vereinigt
ſind; und ich getraue mir faſt zu behaupten, daß die eigent-
liche feine Lebensart der Kunſt mehr ſchaͤdlich als vortheilhaft
ſey. Es ſind mehrentheils hohle Figuren mit einer erſchlaften
Seele, die keine Muſkel anſtrengen und keine Nerve ſpannen
wollen; welche nach dem Rath des Riccoboni ſich in der ſchein-
baren Hitze einer großen Leidenſchaft bey kaltem Blute wahren,

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[389[399]/0417] und wohlfeilen Schaubuͤhne. chem anſtoͤßig ſey. Die Sache ſelbſt, daß einige Einwohner einer Stadt, ſie moͤgen ſich nun von der Feder oder vom Le- der naͤhren, ſich zur Buͤhne geſchickt machen, und fuͤr einen maͤßigen jaͤhrl. Nebengewinnſt ihren Mitbuͤrgern etwa die Woche zweymal das Vergnuͤgen eines Schauſpiels geben ſol- len, beruht alſo auf einem richtigen oͤkonomiſchen Grunde, und das Aepfelweib was zu Amſterdam die Prinzeßin vorſtel- let, verdient um deswillen nicht belacht ſondern bewundert zu werden. Man werfe mir nicht ein, daß Leute dieſer Art ſchwerlich die feine und anſtaͤndige Lebensart, den Geſchmack und den Ausdruck, und alle die Talente erreichen werden, welche zu einer guten Vorſtellung erfordert werden. Corregio, dieſer große Mahler, dieſer Fuͤrſt der Grazie und des Kolorits, ſtarb, wie bekannt, an einem hitzigen Fieber, nachdem er zu Parma die Bezahlung fuͤr ein Gemaͤhlde in Kupfermuͤnze empfangen und ſolche vier Meilen in der groͤßten Hitze zu Fuße nach Hauſe getragen hatte. Ohnfehlbar bediente ſich Corregio hiezu eines Querſacks; und wandelte alſo mit ſeinem Buͤndel die Landſtraße; wer wird aber um deswillen dem Manne Ge- ſchmack, Ausdruck und Genie abſprechen? Garrick iſt gewiß kein Mann von feiner Lebensert; und man ſollte ihn auſſer- halb der Buͤhne fuͤr dumm und wahnſinnig halten. Dem ungeachtet iſt er der maͤchtigſte im Ausdruck, und der Mann der ſich in alle Formen bildet. Der Firniß einer guten Lebens- art iſt bald erreicht, wo Empfindung und Macht vereinigt ſind; und ich getraue mir faſt zu behaupten, daß die eigent- liche feine Lebensart der Kunſt mehr ſchaͤdlich als vortheilhaft ſey. Es ſind mehrentheils hohle Figuren mit einer erſchlaften Seele, die keine Muſkel anſtrengen und keine Nerve ſpannen wollen; welche nach dem Rath des Riccoboni ſich in der ſchein- baren Hitze einer großen Leidenſchaft bey kaltem Blute wahren, und

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 389[399]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/417>, abgerufen am 01.05.2024.