Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Bauerhof,
einen fruchtbaren Begriff von der Knechtschaft geben sollen;
sie schwanken wenn sie uns den Ursprung derselben erklären
wollen, und kommen mit aller ihrer Gelehrsamkeit in die-
sem Stücke nur selten zu genauen und bestimmten Folge-
rungen. So bald nimmt man aber nur erst an, daß der
Knecht ein Mensch im Staate ohne Actie sey: so zeigt
sich die Knechtschaft in einem ganz neuem Lichte; man sieht
gleich, warum der Knecht so wenig die Vortheile als die
Lasten eines Bürgers habe; warum er so wenig zur Lan-
desvertheidigung dienen, als zu Ehren gelangen könne, ob
er gleich alle christlichen und moralischen Tugenden im höch-
sten Grad besitzt; man erkennet, daß die Knechtschaft eben
so wenig gegen die Religion sey, als es gegen die Religion
ist, kein Mitglied der ostindischen Compagnie zu seyn; man
sthließt, daß das Bürgerrecht so wenig als das Kirchenrecht
die Befugnisse der Menschheit aufhebe; daß der Knecht ohne
einen besonderen Vertrag nichts weiter zu fordern habe, als
was man ihm nach dem Rechte der Menschheit, und in
den spätern Zeiten, nach der christlichen Liebe schuldig ist;
und daß die grosse Linie, welche den Bürger von dem Men-
schen, oder den Actionisten von demjenigen der keine Actie
im Staate besitzt, trennet, zu einer vollständigen und
brauchbaren Theorie unumgänglich nothwendig sey.

Zu unsern Zeiten haben wir schon eine Dämmerung in
der Rechtsgelehrsamkeit, welche uns bald einen bessern Tag
verkündiget. Man fängt nemlich an, das Sachenrecht
eher als das Personenrecht vorzutragen. Allein es ist noch
zur Zeit blos ein dunkeles Gefühl der Wahrheit. Denn
noch keiner hat die Sache unter dem Begriffe der Actie vor-
gestellet; ich muß mich hier wieder durch ein Beyspiel er-
klären. Ein Mann der z E. tausend Thaler besitzt, und
davon die Hälfte zu einer Compagniehandlung einschießt,
besitzt nur fünfhundert Thaler als Actie, und die übrigen

fünf-

Der Bauerhof,
einen fruchtbaren Begriff von der Knechtſchaft geben ſollen;
ſie ſchwanken wenn ſie uns den Urſprung derſelben erklaͤren
wollen, und kommen mit aller ihrer Gelehrſamkeit in die-
ſem Stuͤcke nur ſelten zu genauen und beſtimmten Folge-
rungen. So bald nimmt man aber nur erſt an, daß der
Knecht ein Menſch im Staate ohne Actie ſey: ſo zeigt
ſich die Knechtſchaft in einem ganz neuem Lichte; man ſieht
gleich, warum der Knecht ſo wenig die Vortheile als die
Laſten eines Buͤrgers habe; warum er ſo wenig zur Lan-
desvertheidigung dienen, als zu Ehren gelangen koͤnne, ob
er gleich alle chriſtlichen und moraliſchen Tugenden im hoͤch-
ſten Grad beſitzt; man erkennet, daß die Knechtſchaft eben
ſo wenig gegen die Religion ſey, als es gegen die Religion
iſt, kein Mitglied der oſtindiſchen Compagnie zu ſeyn; man
ſthließt, daß das Buͤrgerrecht ſo wenig als das Kirchenrecht
die Befugniſſe der Menſchheit aufhebe; daß der Knecht ohne
einen beſonderen Vertrag nichts weiter zu fordern habe, als
was man ihm nach dem Rechte der Menſchheit, und in
den ſpaͤtern Zeiten, nach der chriſtlichen Liebe ſchuldig iſt;
und daß die groſſe Linie, welche den Buͤrger von dem Men-
ſchen, oder den Actioniſten von demjenigen der keine Actie
im Staate beſitzt, trennet, zu einer vollſtaͤndigen und
brauchbaren Theorie unumgaͤnglich nothwendig ſey.

Zu unſern Zeiten haben wir ſchon eine Daͤmmerung in
der Rechtsgelehrſamkeit, welche uns bald einen beſſern Tag
verkuͤndiget. Man faͤngt nemlich an, das Sachenrecht
eher als das Perſonenrecht vorzutragen. Allein es iſt noch
zur Zeit blos ein dunkeles Gefuͤhl der Wahrheit. Denn
noch keiner hat die Sache unter dem Begriffe der Actie vor-
geſtellet; ich muß mich hier wieder durch ein Beyſpiel er-
klaͤren. Ein Mann der z E. tauſend Thaler beſitzt, und
davon die Haͤlfte zu einer Compagniehandlung einſchießt,
beſitzt nur fuͤnfhundert Thaler als Actie, und die uͤbrigen

fuͤnf-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0314" n="300"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der Bauerhof,</hi></fw><lb/>
einen fruchtbaren Begriff von der Knecht&#x017F;chaft geben &#x017F;ollen;<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chwanken wenn &#x017F;ie uns den Ur&#x017F;prung der&#x017F;elben erkla&#x0364;ren<lb/>
wollen, und kommen mit aller ihrer Gelehr&#x017F;amkeit in die-<lb/>
&#x017F;em Stu&#x0364;cke nur &#x017F;elten zu genauen und be&#x017F;timmten Folge-<lb/>
rungen. So bald nimmt man aber nur er&#x017F;t an, daß der<lb/>
Knecht <hi rendition="#fr">ein Men&#x017F;ch im Staate ohne Actie</hi> &#x017F;ey: &#x017F;o zeigt<lb/>
&#x017F;ich die Knecht&#x017F;chaft in einem ganz neuem Lichte; man &#x017F;ieht<lb/>
gleich, warum der Knecht &#x017F;o wenig die Vortheile als die<lb/>
La&#x017F;ten eines Bu&#x0364;rgers habe; warum er &#x017F;o wenig zur Lan-<lb/>
desvertheidigung dienen, als zu Ehren gelangen ko&#x0364;nne, ob<lb/>
er gleich alle chri&#x017F;tlichen und morali&#x017F;chen Tugenden im ho&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten Grad be&#x017F;itzt; man erkennet, daß die Knecht&#x017F;chaft eben<lb/>
&#x017F;o wenig gegen die Religion &#x017F;ey, als es gegen die Religion<lb/>
i&#x017F;t, kein Mitglied der o&#x017F;tindi&#x017F;chen Compagnie zu &#x017F;eyn; man<lb/>
&#x017F;thließt, daß das Bu&#x0364;rgerrecht &#x017F;o wenig als das Kirchenrecht<lb/>
die Befugni&#x017F;&#x017F;e der Men&#x017F;chheit aufhebe; daß der Knecht ohne<lb/>
einen be&#x017F;onderen Vertrag nichts weiter zu fordern habe, als<lb/>
was man ihm nach dem Rechte der Men&#x017F;chheit, und in<lb/>
den &#x017F;pa&#x0364;tern Zeiten, nach der chri&#x017F;tlichen Liebe &#x017F;chuldig i&#x017F;t;<lb/>
und daß die gro&#x017F;&#x017F;e Linie, welche den Bu&#x0364;rger von dem Men-<lb/>
&#x017F;chen, oder den Actioni&#x017F;ten von demjenigen der keine Actie<lb/>
im Staate be&#x017F;itzt, trennet, zu einer voll&#x017F;ta&#x0364;ndigen und<lb/>
brauchbaren Theorie unumga&#x0364;nglich nothwendig &#x017F;ey.</p><lb/>
        <p>Zu un&#x017F;ern Zeiten haben wir &#x017F;chon eine Da&#x0364;mmerung in<lb/>
der Rechtsgelehr&#x017F;amkeit, welche uns bald einen be&#x017F;&#x017F;ern Tag<lb/>
verku&#x0364;ndiget. Man fa&#x0364;ngt nemlich an, das Sachenrecht<lb/>
eher als das Per&#x017F;onenrecht vorzutragen. Allein es i&#x017F;t noch<lb/>
zur Zeit blos ein dunkeles Gefu&#x0364;hl der Wahrheit. Denn<lb/>
noch keiner hat die <hi rendition="#fr">Sache</hi> unter dem Begriffe der Actie vor-<lb/>
ge&#x017F;tellet; ich muß mich hier wieder durch ein Bey&#x017F;piel er-<lb/>
kla&#x0364;ren. Ein Mann der z E. tau&#x017F;end Thaler be&#x017F;itzt, und<lb/>
davon die Ha&#x0364;lfte zu einer Compagniehandlung ein&#x017F;chießt,<lb/>
be&#x017F;itzt nur fu&#x0364;nfhundert Thaler als Actie, und die u&#x0364;brigen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fu&#x0364;nf-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0314] Der Bauerhof, einen fruchtbaren Begriff von der Knechtſchaft geben ſollen; ſie ſchwanken wenn ſie uns den Urſprung derſelben erklaͤren wollen, und kommen mit aller ihrer Gelehrſamkeit in die- ſem Stuͤcke nur ſelten zu genauen und beſtimmten Folge- rungen. So bald nimmt man aber nur erſt an, daß der Knecht ein Menſch im Staate ohne Actie ſey: ſo zeigt ſich die Knechtſchaft in einem ganz neuem Lichte; man ſieht gleich, warum der Knecht ſo wenig die Vortheile als die Laſten eines Buͤrgers habe; warum er ſo wenig zur Lan- desvertheidigung dienen, als zu Ehren gelangen koͤnne, ob er gleich alle chriſtlichen und moraliſchen Tugenden im hoͤch- ſten Grad beſitzt; man erkennet, daß die Knechtſchaft eben ſo wenig gegen die Religion ſey, als es gegen die Religion iſt, kein Mitglied der oſtindiſchen Compagnie zu ſeyn; man ſthließt, daß das Buͤrgerrecht ſo wenig als das Kirchenrecht die Befugniſſe der Menſchheit aufhebe; daß der Knecht ohne einen beſonderen Vertrag nichts weiter zu fordern habe, als was man ihm nach dem Rechte der Menſchheit, und in den ſpaͤtern Zeiten, nach der chriſtlichen Liebe ſchuldig iſt; und daß die groſſe Linie, welche den Buͤrger von dem Men- ſchen, oder den Actioniſten von demjenigen der keine Actie im Staate beſitzt, trennet, zu einer vollſtaͤndigen und brauchbaren Theorie unumgaͤnglich nothwendig ſey. Zu unſern Zeiten haben wir ſchon eine Daͤmmerung in der Rechtsgelehrſamkeit, welche uns bald einen beſſern Tag verkuͤndiget. Man faͤngt nemlich an, das Sachenrecht eher als das Perſonenrecht vorzutragen. Allein es iſt noch zur Zeit blos ein dunkeles Gefuͤhl der Wahrheit. Denn noch keiner hat die Sache unter dem Begriffe der Actie vor- geſtellet; ich muß mich hier wieder durch ein Beyſpiel er- klaͤren. Ein Mann der z E. tauſend Thaler beſitzt, und davon die Haͤlfte zu einer Compagniehandlung einſchießt, beſitzt nur fuͤnfhundert Thaler als Actie, und die uͤbrigen fuͤnf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/314
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/314>, abgerufen am 29.04.2024.