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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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auf d. Osterf., einen Gefangenen zu fordern.
Richter strenge seyn müssen, und daß man durch die Hof-
nungen auf Gnade niemanden reizen solle die Gesetze zu
brechen.

Zur Zeit wie Christus zum Tode verurtheilet wurde,
hatten die Hohenpriester und Obersten des Volks die Ur-
theilweisung, Pilatus als des Kaysers Richter die Bestäti-
gung und Vollstreckung des von ihnen gewiesenen Urtheils,
und das versammlete Volk das Recht der Begnadigung.
Dieses liegt klar vor Augen. Die Urtheilsweiser sagten,
wir haben ein Gesetz und nach dem Gesetze haben wir
Christum verdammt, dieses ist die Sprache der Schöpfen.
Pilatus wollte Christum retten und versuchte es auf aller-
ley Weise, indem er ihn einmal an den Richter seiner
Heymath (ad forum originis vel domicilii) wo vermuth-
lich andre Urtheilsweiser waren, zurückschickte, ein ander-
mahl aber, nachdem ihn Herodes dem Gerichtsstande der
Ergreiffung (foro apprehensionis) überließ, ihn mit dem
ärgsten Mörder dem Volke vorstellete, in Hofnung, die-
ses würde doch nicht rasend seyn, und eher einen Mör-
der als einen Unschuldigen losbitten. Aber der Pöbel in
der Hauptstadt, der von den Hohenpriestern und Ober-
sten seinen meisten Vortheil hatte, überschrie das ver-
sammlete Landvolk, was sonst überall für Christum war,
und forderte Barrabam, wogegen Pilatus nichts weiter
sagen konnte. Jhm stand also das Begnadigungsrecht
so wenig als dem Kayser zu, weil er sonst nach seinen Ge-
sinnungen darüber an letztern berichtet haben würde.
Und so bleibt nichts übrig, als dem versammleten Volke
diesen Theil des Majestätsrechts zuzulegen.

Jndessen leugne ich nicht, daß der römische Statt-
halter mehrmals einen Verurtheilten losgegeben haben
möge; wer die Macht hat, geht leicht über die Form weg.
Vielleicht hatte er auch ein votum negativum. Und so

mochte

auf d. Oſterf., einen Gefangenen zu fordern.
Richter ſtrenge ſeyn muͤſſen, und daß man durch die Hof-
nungen auf Gnade niemanden reizen ſolle die Geſetze zu
brechen.

Zur Zeit wie Chriſtus zum Tode verurtheilet wurde,
hatten die Hohenprieſter und Oberſten des Volks die Ur-
theilweiſung, Pilatus als des Kayſers Richter die Beſtaͤti-
gung und Vollſtreckung des von ihnen gewieſenen Urtheils,
und das verſammlete Volk das Recht der Begnadigung.
Dieſes liegt klar vor Augen. Die Urtheilsweiſer ſagten,
wir haben ein Geſetz und nach dem Geſetze haben wir
Chriſtum verdammt, dieſes iſt die Sprache der Schoͤpfen.
Pilatus wollte Chriſtum retten und verſuchte es auf aller-
ley Weiſe, indem er ihn einmal an den Richter ſeiner
Heymath (ad forum originis vel domicilii) wo vermuth-
lich andre Urtheilsweiſer waren, zuruͤckſchickte, ein ander-
mahl aber, nachdem ihn Herodes dem Gerichtsſtande der
Ergreiffung (foro apprehenſionis) uͤberließ, ihn mit dem
aͤrgſten Moͤrder dem Volke vorſtellete, in Hofnung, die-
ſes wuͤrde doch nicht raſend ſeyn, und eher einen Moͤr-
der als einen Unſchuldigen losbitten. Aber der Poͤbel in
der Hauptſtadt, der von den Hohenprieſtern und Ober-
ſten ſeinen meiſten Vortheil hatte, uͤberſchrie das ver-
ſammlete Landvolk, was ſonſt uͤberall fuͤr Chriſtum war,
und forderte Barrabam, wogegen Pilatus nichts weiter
ſagen konnte. Jhm ſtand alſo das Begnadigungsrecht
ſo wenig als dem Kayſer zu, weil er ſonſt nach ſeinen Ge-
ſinnungen daruͤber an letztern berichtet haben wuͤrde.
Und ſo bleibt nichts uͤbrig, als dem verſammleten Volke
dieſen Theil des Majeſtaͤtsrechts zuzulegen.

Jndeſſen leugne ich nicht, daß der roͤmiſche Statt-
halter mehrmals einen Verurtheilten losgegeben haben
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Vielleicht hatte er auch ein votum negativum. Und ſo

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[141/0153] auf d. Oſterf., einen Gefangenen zu fordern. Richter ſtrenge ſeyn muͤſſen, und daß man durch die Hof- nungen auf Gnade niemanden reizen ſolle die Geſetze zu brechen. Zur Zeit wie Chriſtus zum Tode verurtheilet wurde, hatten die Hohenprieſter und Oberſten des Volks die Ur- theilweiſung, Pilatus als des Kayſers Richter die Beſtaͤti- gung und Vollſtreckung des von ihnen gewieſenen Urtheils, und das verſammlete Volk das Recht der Begnadigung. Dieſes liegt klar vor Augen. Die Urtheilsweiſer ſagten, wir haben ein Geſetz und nach dem Geſetze haben wir Chriſtum verdammt, dieſes iſt die Sprache der Schoͤpfen. Pilatus wollte Chriſtum retten und verſuchte es auf aller- ley Weiſe, indem er ihn einmal an den Richter ſeiner Heymath (ad forum originis vel domicilii) wo vermuth- lich andre Urtheilsweiſer waren, zuruͤckſchickte, ein ander- mahl aber, nachdem ihn Herodes dem Gerichtsſtande der Ergreiffung (foro apprehenſionis) uͤberließ, ihn mit dem aͤrgſten Moͤrder dem Volke vorſtellete, in Hofnung, die- ſes wuͤrde doch nicht raſend ſeyn, und eher einen Moͤr- der als einen Unſchuldigen losbitten. Aber der Poͤbel in der Hauptſtadt, der von den Hohenprieſtern und Ober- ſten ſeinen meiſten Vortheil hatte, uͤberſchrie das ver- ſammlete Landvolk, was ſonſt uͤberall fuͤr Chriſtum war, und forderte Barrabam, wogegen Pilatus nichts weiter ſagen konnte. Jhm ſtand alſo das Begnadigungsrecht ſo wenig als dem Kayſer zu, weil er ſonſt nach ſeinen Ge- ſinnungen daruͤber an letztern berichtet haben wuͤrde. Und ſo bleibt nichts uͤbrig, als dem verſammleten Volke dieſen Theil des Majeſtaͤtsrechts zuzulegen. Jndeſſen leugne ich nicht, daß der roͤmiſche Statt- halter mehrmals einen Verurtheilten losgegeben haben moͤge; wer die Macht hat, geht leicht uͤber die Form weg. Vielleicht hatte er auch ein votum negativum. Und ſo mochte

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/153>, abgerufen am 28.04.2024.