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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

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dert; waren aber doch mit einigen Zeichen der Beschämung über ihr Betragen von ihm gegangen. So hatte sich der feurige Mann in seinem ganzen Leben nicht geärgert, und er war schon auf dem Wege, sie als Stöhrer des öffentlichen Gottesdienstes förmlich zu verklagen; allein nach einigen Minuten war seine Hitze vorüber, er schickte hinter den Studenten her, ließ sie freundschaftlich zu einem Abendbrodte einladen, und brachte mit ihnen, da nun beide Partheien wieder besänftigt waren, und jene auf eine anständige Art wegen ihres Betragens um Verzeihung gebeten hatten, einige vergnügte Stunden in seinem Hause zu. -- Nur einmahl blieb der gute Mann eine Zeitlang unerbittlich, als er einem seiner Kinder einen groben Fehler vergeben sollte, wodurch sein väterliches Herz zu sehr gekränkt worden war, und wovon ich unten reden werde. --


Seine Gattin war in Absicht ihres Temperaments grade das Gegentheil von ihm. Sie hatte von Kindheit an, fern von der Stadt und allen heitern Gesellschaften in dem Hause ihres Vaters, der auch ein Landgeistlicher war, eine sehr stille und fromme Erziehung genossen, hatte von ihrem zwölften Jahre an bis ins zwanzigste keine Sonntags- oder Wochenpredigt versäumt, und hatte, nach ihrem eigenen Zeugniß, binnen dieser Zeit die


dert; waren aber doch mit einigen Zeichen der Beschaͤmung uͤber ihr Betragen von ihm gegangen. So hatte sich der feurige Mann in seinem ganzen Leben nicht geaͤrgert, und er war schon auf dem Wege, sie als Stoͤhrer des oͤffentlichen Gottesdienstes foͤrmlich zu verklagen; allein nach einigen Minuten war seine Hitze voruͤber, er schickte hinter den Studenten her, ließ sie freundschaftlich zu einem Abendbrodte einladen, und brachte mit ihnen, da nun beide Partheien wieder besaͤnftigt waren, und jene auf eine anstaͤndige Art wegen ihres Betragens um Verzeihung gebeten hatten, einige vergnuͤgte Stunden in seinem Hause zu. — Nur einmahl blieb der gute Mann eine Zeitlang unerbittlich, als er einem seiner Kinder einen groben Fehler vergeben sollte, wodurch sein vaͤterliches Herz zu sehr gekraͤnkt worden war, und wovon ich unten reden werde. —


Seine Gattin war in Absicht ihres Temperaments grade das Gegentheil von ihm. Sie hatte von Kindheit an, fern von der Stadt und allen heitern Gesellschaften in dem Hause ihres Vaters, der auch ein Landgeistlicher war, eine sehr stille und fromme Erziehung genossen, hatte von ihrem zwoͤlften Jahre an bis ins zwanzigste keine Sonntags- oder Wochenpredigt versaͤumt, und hatte, nach ihrem eigenen Zeugniß, binnen dieser Zeit die

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[99/0099] dert; waren aber doch mit einigen Zeichen der Beschaͤmung uͤber ihr Betragen von ihm gegangen. So hatte sich der feurige Mann in seinem ganzen Leben nicht geaͤrgert, und er war schon auf dem Wege, sie als Stoͤhrer des oͤffentlichen Gottesdienstes foͤrmlich zu verklagen; allein nach einigen Minuten war seine Hitze voruͤber, er schickte hinter den Studenten her, ließ sie freundschaftlich zu einem Abendbrodte einladen, und brachte mit ihnen, da nun beide Partheien wieder besaͤnftigt waren, und jene auf eine anstaͤndige Art wegen ihres Betragens um Verzeihung gebeten hatten, einige vergnuͤgte Stunden in seinem Hause zu. — Nur einmahl blieb der gute Mann eine Zeitlang unerbittlich, als er einem seiner Kinder einen groben Fehler vergeben sollte, wodurch sein vaͤterliches Herz zu sehr gekraͤnkt worden war, und wovon ich unten reden werde. — Seine Gattin war in Absicht ihres Temperaments grade das Gegentheil von ihm. Sie hatte von Kindheit an, fern von der Stadt und allen heitern Gesellschaften in dem Hause ihres Vaters, der auch ein Landgeistlicher war, eine sehr stille und fromme Erziehung genossen, hatte von ihrem zwoͤlften Jahre an bis ins zwanzigste keine Sonntags- oder Wochenpredigt versaͤumt, und hatte, nach ihrem eigenen Zeugniß, binnen dieser Zeit die

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/99>, abgerufen am 27.04.2024.