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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Homonymie erstreckt sich viel weiter als auf diese Gegen-
stände. Die Römischen Begriffe welche der Einrichtung
des Staats und seiner Verwaltung zum Grunde liegen;
Begriffe, die in den meisten Fällen den historischen Nach-
richten vorausgesetzt, nur einzeln und äußerst selten für
sich entwickelt werden, sind von den unsrigen nicht weniger
verschieden, als der Römer Wohnung, Kleidung und Speise.
Und wie die Morgenländer nichts schwerer fassen als die
Idee einer republicanischen Verfassung, wie die Indier
sich die Compagnie nicht als eine Association von Eigen-
thümern, sondern durchaus nur als eine Fürstin denken
können, so geht es auch selbst den scharfsinnigsten Neuern
in der Geschichte des Alterthums nicht besser, wenn sie
nicht durch critisches und philologisches Studium sich von
den angewöhnten Bestimmungen der Begriffe losgemacht
haben. So sind die Verhältnisse der Römischen Provin-
zen und ihrer Befehlshaber uns so ungewohnt, daß der
Staatsmann, wenn auch vielleicht nur er fähig ist die
Geschichte über dergleichen Gegenstände zu befragen, und
Bruchstücke zu errathen die dem Sammler ein Geheim-
niß bleiben, doch, wenn er nicht selbst forscht und zu for-
schen fähig ist, entweder falsche oder unbestimmte und fol-
genlose Begriffe darüber hegen wird. So sind das Land-
eigenthumsrecht des alten Roms und das Recht der Do-
mainen, in ihren Eigenthümlichkeiten, in dem Maaße von
den uns gewöhnlichen Rechten und Einrichtungen verschie-
den, daß die Verwechselung der gewöhnlichen und der alt-
eigenthümlichen Begriffe, deren sich Montesquieu so wo-
nig als früher Machiavelli erwehrte, über die wichtigsten

Homonymie erſtreckt ſich viel weiter als auf dieſe Gegen-
ſtaͤnde. Die Roͤmiſchen Begriffe welche der Einrichtung
des Staats und ſeiner Verwaltung zum Grunde liegen;
Begriffe, die in den meiſten Faͤllen den hiſtoriſchen Nach-
richten vorausgeſetzt, nur einzeln und aͤußerſt ſelten fuͤr
ſich entwickelt werden, ſind von den unſrigen nicht weniger
verſchieden, als der Roͤmer Wohnung, Kleidung und Speiſe.
Und wie die Morgenlaͤnder nichts ſchwerer faſſen als die
Idee einer republicaniſchen Verfaſſung, wie die Indier
ſich die Compagnie nicht als eine Aſſociation von Eigen-
thuͤmern, ſondern durchaus nur als eine Fuͤrſtin denken
koͤnnen, ſo geht es auch ſelbſt den ſcharfſinnigſten Neuern
in der Geſchichte des Alterthums nicht beſſer, wenn ſie
nicht durch critiſches und philologiſches Studium ſich von
den angewoͤhnten Beſtimmungen der Begriffe losgemacht
haben. So ſind die Verhaͤltniſſe der Roͤmiſchen Provin-
zen und ihrer Befehlshaber uns ſo ungewohnt, daß der
Staatsmann, wenn auch vielleicht nur er faͤhig iſt die
Geſchichte uͤber dergleichen Gegenſtaͤnde zu befragen, und
Bruchſtuͤcke zu errathen die dem Sammler ein Geheim-
niß bleiben, doch, wenn er nicht ſelbſt forſcht und zu for-
ſchen faͤhig iſt, entweder falſche oder unbeſtimmte und fol-
genloſe Begriffe daruͤber hegen wird. So ſind das Land-
eigenthumsrecht des alten Roms und das Recht der Do-
mainen, in ihren Eigenthuͤmlichkeiten, in dem Maaße von
den uns gewoͤhnlichen Rechten und Einrichtungen verſchie-
den, daß die Verwechſelung der gewoͤhnlichen und der alt-
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[9/0031] Homonymie erſtreckt ſich viel weiter als auf dieſe Gegen- ſtaͤnde. Die Roͤmiſchen Begriffe welche der Einrichtung des Staats und ſeiner Verwaltung zum Grunde liegen; Begriffe, die in den meiſten Faͤllen den hiſtoriſchen Nach- richten vorausgeſetzt, nur einzeln und aͤußerſt ſelten fuͤr ſich entwickelt werden, ſind von den unſrigen nicht weniger verſchieden, als der Roͤmer Wohnung, Kleidung und Speiſe. Und wie die Morgenlaͤnder nichts ſchwerer faſſen als die Idee einer republicaniſchen Verfaſſung, wie die Indier ſich die Compagnie nicht als eine Aſſociation von Eigen- thuͤmern, ſondern durchaus nur als eine Fuͤrſtin denken koͤnnen, ſo geht es auch ſelbſt den ſcharfſinnigſten Neuern in der Geſchichte des Alterthums nicht beſſer, wenn ſie nicht durch critiſches und philologiſches Studium ſich von den angewoͤhnten Beſtimmungen der Begriffe losgemacht haben. So ſind die Verhaͤltniſſe der Roͤmiſchen Provin- zen und ihrer Befehlshaber uns ſo ungewohnt, daß der Staatsmann, wenn auch vielleicht nur er faͤhig iſt die Geſchichte uͤber dergleichen Gegenſtaͤnde zu befragen, und Bruchſtuͤcke zu errathen die dem Sammler ein Geheim- niß bleiben, doch, wenn er nicht ſelbſt forſcht und zu for- ſchen faͤhig iſt, entweder falſche oder unbeſtimmte und fol- genloſe Begriffe daruͤber hegen wird. So ſind das Land- eigenthumsrecht des alten Roms und das Recht der Do- mainen, in ihren Eigenthuͤmlichkeiten, in dem Maaße von den uns gewoͤhnlichen Rechten und Einrichtungen verſchie- den, daß die Verwechſelung der gewoͤhnlichen und der alt- eigenthuͤmlichen Begriffe, deren ſich Monteſquieu ſo wo- nig als fruͤher Machiavelli erwehrte, uͤber die wichtigſten

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/31>, abgerufen am 27.04.2024.