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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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wesen war, der sich treu blieb, aber der allmächtigen Ge-
walt gehorchte an der die thörichte Verwegenheit seiner
von Leichtsinnigen und Heillosen aufgeregten Nation zer-
trümmerte, fühlte sich durch das Geschwätz solcher Schrift-
steller erbittert, und einer der Zwecke seiner Geschichte war
den Griechen klar zu machen, wie Roms Größe nicht durch
Fatalität, sondern durch festen Willen, zweckmäßige In-
stitutionen, unermüdete Aufmerksamkeit auf ihre Erhal-
tung, Ausbildung und Anwendung begründet sey. Da-
mit aber legte er den Römern seiner Zeit dennoch nicht das
Lob eigentlicher Tugend bey; und wenn er sich hin und
wieder mit einem uns an einem Manne seiner Verhältnisse
befremdenden Enthusiasmus ausdrückt, so müssen wir er-
wägen daß er überhaupt ein ganz praktischer Mensch war,
dem durchgehend Wärme und der Sinn für das Idealische
fehlte, mit dem die Athenienser auch das, was vor ihren
Augen vorging, vor allem aber, was diesen durch eine
auch kurze Vergangenheit entrückt war, betrachteten. In
diesem Mangel liegen eben die Unvollkommenheiten seines
Werks, welche ihn, nach dem Urtheil seiner Landsleute,
zu einem Geschichtschreiber vom zweyten Rang machten.
Er fand in allen Staaten die später in das Römische
Reich versanken, alles zum Untergang reif, und weil er
sich bewußt war, daß er selbst mit nur sehr wenigen gleich-
gesinnten diesem Strohm vergebens widerstanden hatte;
weil er die, durch deren verschiedenartige Sünde das
Elend bestand, Kallikrates, Diäus, Kritolaus, bitter
verachtete; Scipio aber, Cato und Paulus bewunderte;
so trägt sein unbestechliches Urtheil vielleicht in einzelnen

weſen war, der ſich treu blieb, aber der allmaͤchtigen Ge-
walt gehorchte an der die thoͤrichte Verwegenheit ſeiner
von Leichtſinnigen und Heilloſen aufgeregten Nation zer-
truͤmmerte, fuͤhlte ſich durch das Geſchwaͤtz ſolcher Schrift-
ſteller erbittert, und einer der Zwecke ſeiner Geſchichte war
den Griechen klar zu machen, wie Roms Groͤße nicht durch
Fatalitaͤt, ſondern durch feſten Willen, zweckmaͤßige In-
ſtitutionen, unermuͤdete Aufmerkſamkeit auf ihre Erhal-
tung, Ausbildung und Anwendung begruͤndet ſey. Da-
mit aber legte er den Roͤmern ſeiner Zeit dennoch nicht das
Lob eigentlicher Tugend bey; und wenn er ſich hin und
wieder mit einem uns an einem Manne ſeiner Verhaͤltniſſe
befremdenden Enthuſiasmus ausdruͤckt, ſo muͤſſen wir er-
waͤgen daß er uͤberhaupt ein ganz praktiſcher Menſch war,
dem durchgehend Waͤrme und der Sinn fuͤr das Idealiſche
fehlte, mit dem die Athenienſer auch das, was vor ihren
Augen vorging, vor allem aber, was dieſen durch eine
auch kurze Vergangenheit entruͤckt war, betrachteten. In
dieſem Mangel liegen eben die Unvollkommenheiten ſeines
Werks, welche ihn, nach dem Urtheil ſeiner Landsleute,
zu einem Geſchichtſchreiber vom zweyten Rang machten.
Er fand in allen Staaten die ſpaͤter in das Roͤmiſche
Reich verſanken, alles zum Untergang reif, und weil er
ſich bewußt war, daß er ſelbſt mit nur ſehr wenigen gleich-
geſinnten dieſem Strohm vergebens widerſtanden hatte;
weil er die, durch deren verſchiedenartige Suͤnde das
Elend beſtand, Kallikrates, Diaͤus, Kritolaus, bitter
verachtete; Scipio aber, Cato und Paulus bewunderte;
ſo traͤgt ſein unbeſtechliches Urtheil vielleicht in einzelnen

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[11/0033] weſen war, der ſich treu blieb, aber der allmaͤchtigen Ge- walt gehorchte an der die thoͤrichte Verwegenheit ſeiner von Leichtſinnigen und Heilloſen aufgeregten Nation zer- truͤmmerte, fuͤhlte ſich durch das Geſchwaͤtz ſolcher Schrift- ſteller erbittert, und einer der Zwecke ſeiner Geſchichte war den Griechen klar zu machen, wie Roms Groͤße nicht durch Fatalitaͤt, ſondern durch feſten Willen, zweckmaͤßige In- ſtitutionen, unermuͤdete Aufmerkſamkeit auf ihre Erhal- tung, Ausbildung und Anwendung begruͤndet ſey. Da- mit aber legte er den Roͤmern ſeiner Zeit dennoch nicht das Lob eigentlicher Tugend bey; und wenn er ſich hin und wieder mit einem uns an einem Manne ſeiner Verhaͤltniſſe befremdenden Enthuſiasmus ausdruͤckt, ſo muͤſſen wir er- waͤgen daß er uͤberhaupt ein ganz praktiſcher Menſch war, dem durchgehend Waͤrme und der Sinn fuͤr das Idealiſche fehlte, mit dem die Athenienſer auch das, was vor ihren Augen vorging, vor allem aber, was dieſen durch eine auch kurze Vergangenheit entruͤckt war, betrachteten. In dieſem Mangel liegen eben die Unvollkommenheiten ſeines Werks, welche ihn, nach dem Urtheil ſeiner Landsleute, zu einem Geſchichtſchreiber vom zweyten Rang machten. Er fand in allen Staaten die ſpaͤter in das Roͤmiſche Reich verſanken, alles zum Untergang reif, und weil er ſich bewußt war, daß er ſelbſt mit nur ſehr wenigen gleich- geſinnten dieſem Strohm vergebens widerſtanden hatte; weil er die, durch deren verſchiedenartige Suͤnde das Elend beſtand, Kallikrates, Diaͤus, Kritolaus, bitter verachtete; Scipio aber, Cato und Paulus bewunderte; ſo traͤgt ſein unbeſtechliches Urtheil vielleicht in einzelnen

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/33>, abgerufen am 27.04.2024.