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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Fällen mehr als den Schein der Gefühllosigkeit. Die
Neueren, namentlich Machiavelli und Montesquieu,
scheinen jene Frage, und in einem etwas veränderten Sinn,
wieder hervorgerufen zu haben, und gehen in ihrer Bewun-
derung der Römer und ihrer Einrichtungen bis zur ent-
schiedensten Partheylichkeit. Die herbe Frugalität der alten
Republikaner, ihre Unempfindlichkeit für den Besitz und die
Genüsse des Reichthums, die strenge Gesetzlichkeit des Volks,
die feste allgemeine Treue während der schönen Jahrhun-
derte, in denen die Verfassung, seitdem die Ansprüche der
Aristocratie beschränkt waren, in ihrer ganzen Vollkom-
menheit lebte; der reine Sinn, welcher nie erlaubte, bey
innerm Zwist fremde Einmischung zu suchen; die Allmacht
der Gesetze und Gewohnheiten, und der Ernst, womit an
ihnen dennoch geändert ward, was nicht mehr angemessen
war, die Weisheit der Verfassung und Gesetze, das Ideal
der Männlichkeit in den Bürgern und im Staat; alle diese
Eigenschaften erregen gewiß in uns eine Ehrfurcht, welche
wir bey der Betrachtung keines andern Volks so empfinden
können. Es ist kein Zustand von Unnatur und Zwang,
wie die Gesetzgebung Spartas, unter der, nach dem Ur-
theil anderer Griechen, die Todesverachtung natürlich
war weil der Tod ein unleidliches Joch brach: es war
ein Leben, welches vielmehr wahres und hohes individuel-
les Glück pflegte, einen von Sinnlichkeit freyen starken
Lebensgenuß. Andre vielleicht eben so vollkommne Ver-
fassungen imponiren uns schon darum weniger, weil sie
den Reichthum ehren: vielseitige und lebensvolle Völker
können Fehlern nicht entgehen, gegen die nur Einseitigkeit

Faͤllen mehr als den Schein der Gefuͤhlloſigkeit. Die
Neueren, namentlich Machiavelli und Monteſquieu,
ſcheinen jene Frage, und in einem etwas veraͤnderten Sinn,
wieder hervorgerufen zu haben, und gehen in ihrer Bewun-
derung der Roͤmer und ihrer Einrichtungen bis zur ent-
ſchiedenſten Partheylichkeit. Die herbe Frugalitaͤt der alten
Republikaner, ihre Unempfindlichkeit fuͤr den Beſitz und die
Genuͤſſe des Reichthums, die ſtrenge Geſetzlichkeit des Volks,
die feſte allgemeine Treue waͤhrend der ſchoͤnen Jahrhun-
derte, in denen die Verfaſſung, ſeitdem die Anſpruͤche der
Ariſtocratie beſchraͤnkt waren, in ihrer ganzen Vollkom-
menheit lebte; der reine Sinn, welcher nie erlaubte, bey
innerm Zwiſt fremde Einmiſchung zu ſuchen; die Allmacht
der Geſetze und Gewohnheiten, und der Ernſt, womit an
ihnen dennoch geaͤndert ward, was nicht mehr angemeſſen
war, die Weisheit der Verfaſſung und Geſetze, das Ideal
der Maͤnnlichkeit in den Buͤrgern und im Staat; alle dieſe
Eigenſchaften erregen gewiß in uns eine Ehrfurcht, welche
wir bey der Betrachtung keines andern Volks ſo empfinden
koͤnnen. Es iſt kein Zuſtand von Unnatur und Zwang,
wie die Geſetzgebung Spartas, unter der, nach dem Ur-
theil anderer Griechen, die Todesverachtung natuͤrlich
war weil der Tod ein unleidliches Joch brach: es war
ein Leben, welches vielmehr wahres und hohes individuel-
les Gluͤck pflegte, einen von Sinnlichkeit freyen ſtarken
Lebensgenuß. Andre vielleicht eben ſo vollkommne Ver-
faſſungen imponiren uns ſchon darum weniger, weil ſie
den Reichthum ehren: vielſeitige und lebensvolle Voͤlker
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[12/0034] Faͤllen mehr als den Schein der Gefuͤhlloſigkeit. Die Neueren, namentlich Machiavelli und Monteſquieu, ſcheinen jene Frage, und in einem etwas veraͤnderten Sinn, wieder hervorgerufen zu haben, und gehen in ihrer Bewun- derung der Roͤmer und ihrer Einrichtungen bis zur ent- ſchiedenſten Partheylichkeit. Die herbe Frugalitaͤt der alten Republikaner, ihre Unempfindlichkeit fuͤr den Beſitz und die Genuͤſſe des Reichthums, die ſtrenge Geſetzlichkeit des Volks, die feſte allgemeine Treue waͤhrend der ſchoͤnen Jahrhun- derte, in denen die Verfaſſung, ſeitdem die Anſpruͤche der Ariſtocratie beſchraͤnkt waren, in ihrer ganzen Vollkom- menheit lebte; der reine Sinn, welcher nie erlaubte, bey innerm Zwiſt fremde Einmiſchung zu ſuchen; die Allmacht der Geſetze und Gewohnheiten, und der Ernſt, womit an ihnen dennoch geaͤndert ward, was nicht mehr angemeſſen war, die Weisheit der Verfaſſung und Geſetze, das Ideal der Maͤnnlichkeit in den Buͤrgern und im Staat; alle dieſe Eigenſchaften erregen gewiß in uns eine Ehrfurcht, welche wir bey der Betrachtung keines andern Volks ſo empfinden koͤnnen. Es iſt kein Zuſtand von Unnatur und Zwang, wie die Geſetzgebung Spartas, unter der, nach dem Ur- theil anderer Griechen, die Todesverachtung natuͤrlich war weil der Tod ein unleidliches Joch brach: es war ein Leben, welches vielmehr wahres und hohes individuel- les Gluͤck pflegte, einen von Sinnlichkeit freyen ſtarken Lebensgenuß. Andre vielleicht eben ſo vollkommne Ver- faſſungen imponiren uns ſchon darum weniger, weil ſie den Reichthum ehren: vielſeitige und lebensvolle Voͤlker koͤnnen Fehlern nicht entgehen, gegen die nur Einſeitigkeit

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/34>, abgerufen am 27.04.2024.