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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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schützt: und in den Begebenheiten der Vergangenheit em-
pfinden wir stärker worin gefehlt wird, als was gebricht.
So ist es ganz natürlich, daß wir, auch abgesehen von
dem Glanz womit Macht und Siege immer umgeben
sind, zu den Römern jener guten Zeit der Republik mit
Bewundrung hinaufsehen. Sie haben in ihren Tugenden
eine große Aehnlichkeit mit den Arabern der ersten Khali-
fen: diesen aber fehlte die Verfassung, worin sie sich er-
halten konnten. Die Römer waren Jahrhunderte lang in
sich in einem Mittelpunkt zusammengedrängt: jene hatten
nie diese Kerneinheit gehabt, sie zerstreuten sich über eine
halbe Welt, und arteten schnell aus. Aber wenn wir uns
lebhaft in jene Zeiten hineindenken, so wird sich doch ein
Grauen in diese Bewundrung mischen: denn, verträglich
und abgefunden mit diesen Tugenden herrschten von den
ältesten Zeiten her die furchtbarsten Laster, unersättliche
Herrschsucht, gewissenlose Verachtung des fremden
Rechts, gefühllose Gleichgültigkeit gegen fremdes Leiden,
Geiz, als Raubsucht noch fremd war, und eine ständische
Absonderung, aus der nicht allein gegen den Sklaven,
oder den Fremden, sondern gegen den Mitbürger oft
unmenschliche Verstockung entstand. Allen diesen Lastern
bereiteten eben jene Tugenden den Weg zur Herrschaft,
und gingen so selbst unter.

Wenn wir nun, bey einem gerechten Urtheil über die
Römer, auch diese dunkeln Schatten nicht vergessen müs-
sen, und also ihrer Verherrlichung nur mit Einschränkung
beystimmen können, so müssen wir auch, obgleich in einem
andern Sinn als jene Griechen, dem Schicksal einen gro-

ſchuͤtzt: und in den Begebenheiten der Vergangenheit em-
pfinden wir ſtaͤrker worin gefehlt wird, als was gebricht.
So iſt es ganz natuͤrlich, daß wir, auch abgeſehen von
dem Glanz womit Macht und Siege immer umgeben
ſind, zu den Roͤmern jener guten Zeit der Republik mit
Bewundrung hinaufſehen. Sie haben in ihren Tugenden
eine große Aehnlichkeit mit den Arabern der erſten Khali-
fen: dieſen aber fehlte die Verfaſſung, worin ſie ſich er-
halten konnten. Die Roͤmer waren Jahrhunderte lang in
ſich in einem Mittelpunkt zuſammengedraͤngt: jene hatten
nie dieſe Kerneinheit gehabt, ſie zerſtreuten ſich uͤber eine
halbe Welt, und arteten ſchnell aus. Aber wenn wir uns
lebhaft in jene Zeiten hineindenken, ſo wird ſich doch ein
Grauen in dieſe Bewundrung miſchen: denn, vertraͤglich
und abgefunden mit dieſen Tugenden herrſchten von den
aͤlteſten Zeiten her die furchtbarſten Laſter, unerſaͤttliche
Herrſchſucht, gewiſſenloſe Verachtung des fremden
Rechts, gefuͤhlloſe Gleichguͤltigkeit gegen fremdes Leiden,
Geiz, als Raubſucht noch fremd war, und eine ſtaͤndiſche
Abſonderung, aus der nicht allein gegen den Sklaven,
oder den Fremden, ſondern gegen den Mitbuͤrger oft
unmenſchliche Verſtockung entſtand. Allen dieſen Laſtern
bereiteten eben jene Tugenden den Weg zur Herrſchaft,
und gingen ſo ſelbſt unter.

Wenn wir nun, bey einem gerechten Urtheil uͤber die
Roͤmer, auch dieſe dunkeln Schatten nicht vergeſſen muͤſ-
ſen, und alſo ihrer Verherrlichung nur mit Einſchraͤnkung
beyſtimmen koͤnnen, ſo muͤſſen wir auch, obgleich in einem
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[13/0035] ſchuͤtzt: und in den Begebenheiten der Vergangenheit em- pfinden wir ſtaͤrker worin gefehlt wird, als was gebricht. So iſt es ganz natuͤrlich, daß wir, auch abgeſehen von dem Glanz womit Macht und Siege immer umgeben ſind, zu den Roͤmern jener guten Zeit der Republik mit Bewundrung hinaufſehen. Sie haben in ihren Tugenden eine große Aehnlichkeit mit den Arabern der erſten Khali- fen: dieſen aber fehlte die Verfaſſung, worin ſie ſich er- halten konnten. Die Roͤmer waren Jahrhunderte lang in ſich in einem Mittelpunkt zuſammengedraͤngt: jene hatten nie dieſe Kerneinheit gehabt, ſie zerſtreuten ſich uͤber eine halbe Welt, und arteten ſchnell aus. Aber wenn wir uns lebhaft in jene Zeiten hineindenken, ſo wird ſich doch ein Grauen in dieſe Bewundrung miſchen: denn, vertraͤglich und abgefunden mit dieſen Tugenden herrſchten von den aͤlteſten Zeiten her die furchtbarſten Laſter, unerſaͤttliche Herrſchſucht, gewiſſenloſe Verachtung des fremden Rechts, gefuͤhlloſe Gleichguͤltigkeit gegen fremdes Leiden, Geiz, als Raubſucht noch fremd war, und eine ſtaͤndiſche Abſonderung, aus der nicht allein gegen den Sklaven, oder den Fremden, ſondern gegen den Mitbuͤrger oft unmenſchliche Verſtockung entſtand. Allen dieſen Laſtern bereiteten eben jene Tugenden den Weg zur Herrſchaft, und gingen ſo ſelbſt unter. Wenn wir nun, bey einem gerechten Urtheil uͤber die Roͤmer, auch dieſe dunkeln Schatten nicht vergeſſen muͤſ- ſen, und alſo ihrer Verherrlichung nur mit Einſchraͤnkung beyſtimmen koͤnnen, ſo muͤſſen wir auch, obgleich in einem andern Sinn als jene Griechen, dem Schickſal einen gro-

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/35>, abgerufen am 27.04.2024.