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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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den: denn ein Eid war dem Römer mehr als alle
zwingende Gewalt: und dieses Mißtrauen sah keine Ge-
spenster. Sie wichen aber der Zusage des Consuls P.
Valerius, dessen Nahme seinem Worte höheren Glau-
ben gab, es solle die Abstimmung nicht mehr gehindert
werden, sobald die Burg frey seyn werde, wenn sie
nur in der Versammlung Vorstellungen über das schäd-
liche des Gesetzes anhören wollten 60). Ciaudius be-
setzte die Mauern und Landstraßen gegen äußere Feinde:
Valerius stürmte das Capitol mit den Bürgern und
einer tusculanischen Legion welche der Dictator L. Mami-
lius unaufgefordert Rom zu Hülfe geführt hatte. Die
Eingeschloßnen wehrten sich verzweifelt, und erst als ihr
Geschoß, und was sie darin verwandeln konnten, er-
schöpft war, gelang es den Stürmenden, nach sehr gro-
ßem Verlust, die Höhe des Hügels zu erreichen. Noch

60) Die Abweichungen der beyden vollständigen Geschicht-
schreiber können nur selten angedeutet werden. In Livius
sind allenthalben die verschiedenartigen Fragmente des alten
Stoffs durch die Widersprüche selbst sichtbar; der Grieche
hat sie verarbeitet, und sehr oft eine nur täuschende Har-
monie darüber verbreitet. Doch scheint es nicht daß die un-
gleich größere Wahrscheinlichkeit seiner Erzählung (X.
c.
15.) des innern Zwists während dieser Gefahr sie ver-
dächtig machen dürfe: denn die des Livius, nur vorurtheils-
vollem Hasse glaublich, hat vielmehr den Anschein von die-
sem auch ersonnen zu seyn. -- Zonaxas setzt das Abentheuer
des Appius Herdonius nach Cincinnatus Dictatur (VII.
c.
18.) eine Verschiedenheit die nicht als Verwirrung über-
sehen werden darf.

den: denn ein Eid war dem Roͤmer mehr als alle
zwingende Gewalt: und dieſes Mißtrauen ſah keine Ge-
ſpenſter. Sie wichen aber der Zuſage des Conſuls P.
Valerius, deſſen Nahme ſeinem Worte hoͤheren Glau-
ben gab, es ſolle die Abſtimmung nicht mehr gehindert
werden, ſobald die Burg frey ſeyn werde, wenn ſie
nur in der Verſammlung Vorſtellungen uͤber das ſchaͤd-
liche des Geſetzes anhoͤren wollten 60). Ciaudius be-
ſetzte die Mauern und Landſtraßen gegen aͤußere Feinde:
Valerius ſtuͤrmte das Capitol mit den Buͤrgern und
einer tusculaniſchen Legion welche der Dictator L. Mami-
lius unaufgefordert Rom zu Huͤlfe gefuͤhrt hatte. Die
Eingeſchloßnen wehrten ſich verzweifelt, und erſt als ihr
Geſchoß, und was ſie darin verwandeln konnten, er-
ſchoͤpft war, gelang es den Stuͤrmenden, nach ſehr gro-
ßem Verluſt, die Hoͤhe des Huͤgels zu erreichen. Noch

60) Die Abweichungen der beyden vollſtaͤndigen Geſchicht-
ſchreiber koͤnnen nur ſelten angedeutet werden. In Livius
ſind allenthalben die verſchiedenartigen Fragmente des alten
Stoffs durch die Widerſpruͤche ſelbſt ſichtbar; der Grieche
hat ſie verarbeitet, und ſehr oft eine nur taͤuſchende Har-
monie daruͤber verbreitet. Doch ſcheint es nicht daß die un-
gleich groͤßere Wahrſcheinlichkeit ſeiner Erzaͤhlung (X.
c.
15.) des innern Zwiſts waͤhrend dieſer Gefahr ſie ver-
daͤchtig machen duͤrfe: denn die des Livius, nur vorurtheils-
vollem Haſſe glaublich, hat vielmehr den Anſchein von die-
ſem auch erſonnen zu ſeyn. — Zonaxas ſetzt das Abentheuer
des Appius Herdonius nach Cincinnatus Dictatur (VII.
c.
18.) eine Verſchiedenheit die nicht als Verwirrung uͤber-
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[58/0074] den: denn ein Eid war dem Roͤmer mehr als alle zwingende Gewalt: und dieſes Mißtrauen ſah keine Ge- ſpenſter. Sie wichen aber der Zuſage des Conſuls P. Valerius, deſſen Nahme ſeinem Worte hoͤheren Glau- ben gab, es ſolle die Abſtimmung nicht mehr gehindert werden, ſobald die Burg frey ſeyn werde, wenn ſie nur in der Verſammlung Vorſtellungen uͤber das ſchaͤd- liche des Geſetzes anhoͤren wollten 60). Ciaudius be- ſetzte die Mauern und Landſtraßen gegen aͤußere Feinde: Valerius ſtuͤrmte das Capitol mit den Buͤrgern und einer tusculaniſchen Legion welche der Dictator L. Mami- lius unaufgefordert Rom zu Huͤlfe gefuͤhrt hatte. Die Eingeſchloßnen wehrten ſich verzweifelt, und erſt als ihr Geſchoß, und was ſie darin verwandeln konnten, er- ſchoͤpft war, gelang es den Stuͤrmenden, nach ſehr gro- ßem Verluſt, die Hoͤhe des Huͤgels zu erreichen. Noch 60) Die Abweichungen der beyden vollſtaͤndigen Geſchicht- ſchreiber koͤnnen nur ſelten angedeutet werden. In Livius ſind allenthalben die verſchiedenartigen Fragmente des alten Stoffs durch die Widerſpruͤche ſelbſt ſichtbar; der Grieche hat ſie verarbeitet, und ſehr oft eine nur taͤuſchende Har- monie daruͤber verbreitet. Doch ſcheint es nicht daß die un- gleich groͤßere Wahrſcheinlichkeit ſeiner Erzaͤhlung (X. c. 15.) des innern Zwiſts waͤhrend dieſer Gefahr ſie ver- daͤchtig machen duͤrfe: denn die des Livius, nur vorurtheils- vollem Haſſe glaublich, hat vielmehr den Anſchein von die- ſem auch erſonnen zu ſeyn. — Zonaxas ſetzt das Abentheuer des Appius Herdonius nach Cincinnatus Dictatur (VII. c. 18.) eine Verſchiedenheit die nicht als Verwirrung uͤber- ſehen werden darf.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/74>, abgerufen am 26.04.2024.