Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

mußten sie den Tempel einnehmen der mit gleicher Hart-
näckigkeit vertheidigt ward. Der Consul Valerius drang
zuerst hinein, und fiel an der Spitze seiner Truppen.
Fast alle Abentheurer, deren keiner Verschonung zu hof-
fen hatte, starben mit den Waffen in der Hand, unter
ihnen ihr Anführer Herdonius: die Gefangenen wurden
hingerichtet.

Der Tod des Consuls gab einen Vorwand mit ge-
wohnter Unredlichkeit seine Zusage, als nur persönlich
gegeben, zu brechen. Die Wahl seines Nachfolgers
ward auf Cincinnatus geleitet, der seine Würde mit den
Gefühlen eines erbitterten Vaters und eines stolzen Pa-
triciers antrat, der in den Vergehungen seines verur-
theilten, vielleicht durch Verzweiflung in die eben ver-
tilgte Verschwörung hineingerissenen, und ehrlos umge-
kommenen Sohns, eigentlich nur das überschrittene Maaß
tadelte. Er trug sich mit einem verwegnen Plan die
Constitution durch eine Gegenrevolution mit scheinbarer
Achtung der dem Römer so ehrwürdigen Formen dahin
zurückzuführen, wo sie vor der Auswandrung des Volks
gestanden hatte. Als der feind in der Stadt war hat-
ten alle Bürger den Soldateneid geschworen, der sie
verpflichtete dem Consul unbedingt zu gehorchen, und
ihm zu folgen wohin er sie führen wollte. Kraft dieses
Eids verordnete Cincinnatus, unter dem Vorwand eines
Kriegs gegen die Aequer, daß ein allgemeines Aufge-
bot sich rüsten solle ins Feld zu ziehen. Der Krieg war
kaum ein Vorwand, der Zweck, das Volk vom Schutz
der Tribunen zu entblößen. Die Comitien der Centu-

mußten ſie den Tempel einnehmen der mit gleicher Hart-
naͤckigkeit vertheidigt ward. Der Conſul Valerius drang
zuerſt hinein, und fiel an der Spitze ſeiner Truppen.
Faſt alle Abentheurer, deren keiner Verſchonung zu hof-
fen hatte, ſtarben mit den Waffen in der Hand, unter
ihnen ihr Anfuͤhrer Herdonius: die Gefangenen wurden
hingerichtet.

Der Tod des Conſuls gab einen Vorwand mit ge-
wohnter Unredlichkeit ſeine Zuſage, als nur perſoͤnlich
gegeben, zu brechen. Die Wahl ſeines Nachfolgers
ward auf Cincinnatus geleitet, der ſeine Wuͤrde mit den
Gefuͤhlen eines erbitterten Vaters und eines ſtolzen Pa-
triciers antrat, der in den Vergehungen ſeines verur-
theilten, vielleicht durch Verzweiflung in die eben ver-
tilgte Verſchwoͤrung hineingeriſſenen, und ehrlos umge-
kommenen Sohns, eigentlich nur das uͤberſchrittene Maaß
tadelte. Er trug ſich mit einem verwegnen Plan die
Conſtitution durch eine Gegenrevolution mit ſcheinbarer
Achtung der dem Roͤmer ſo ehrwuͤrdigen Formen dahin
zuruͤckzufuͤhren, wo ſie vor der Auswandrung des Volks
geſtanden hatte. Als der feind in der Stadt war hat-
ten alle Buͤrger den Soldateneid geſchworen, der ſie
verpflichtete dem Conſul unbedingt zu gehorchen, und
ihm zu folgen wohin er ſie fuͤhren wollte. Kraft dieſes
Eids verordnete Cincinnatus, unter dem Vorwand eines
Kriegs gegen die Aequer, daß ein allgemeines Aufge-
bot ſich ruͤſten ſolle ins Feld zu ziehen. Der Krieg war
kaum ein Vorwand, der Zweck, das Volk vom Schutz
der Tribunen zu entbloͤßen. Die Comitien der Centu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0075" n="59"/>
mußten &#x017F;ie den Tempel einnehmen der mit gleicher Hart-<lb/>
na&#x0364;ckigkeit vertheidigt ward. Der Con&#x017F;ul Valerius drang<lb/>
zuer&#x017F;t hinein, und fiel an der Spitze &#x017F;einer Truppen.<lb/>
Fa&#x017F;t alle Abentheurer, deren keiner Ver&#x017F;chonung zu hof-<lb/>
fen hatte, &#x017F;tarben mit den Waffen in der Hand, unter<lb/>
ihnen ihr Anfu&#x0364;hrer Herdonius: die Gefangenen wurden<lb/>
hingerichtet.</p><lb/>
        <p>Der Tod des Con&#x017F;uls gab einen Vorwand mit ge-<lb/>
wohnter Unredlichkeit &#x017F;eine Zu&#x017F;age, als nur per&#x017F;o&#x0364;nlich<lb/>
gegeben, zu brechen. Die Wahl &#x017F;eines Nachfolgers<lb/>
ward auf Cincinnatus geleitet, der &#x017F;eine Wu&#x0364;rde mit den<lb/>
Gefu&#x0364;hlen eines erbitterten Vaters und eines &#x017F;tolzen Pa-<lb/>
triciers antrat, der in den Vergehungen &#x017F;eines verur-<lb/>
theilten, vielleicht durch Verzweiflung in die eben ver-<lb/>
tilgte Ver&#x017F;chwo&#x0364;rung hineingeri&#x017F;&#x017F;enen, und ehrlos umge-<lb/>
kommenen Sohns, eigentlich nur das u&#x0364;ber&#x017F;chrittene Maaß<lb/>
tadelte. Er trug &#x017F;ich mit einem verwegnen Plan die<lb/>
Con&#x017F;titution durch eine Gegenrevolution mit &#x017F;cheinbarer<lb/>
Achtung der dem Ro&#x0364;mer &#x017F;o ehrwu&#x0364;rdigen Formen dahin<lb/>
zuru&#x0364;ckzufu&#x0364;hren, wo &#x017F;ie vor der Auswandrung des Volks<lb/>
ge&#x017F;tanden hatte. Als der feind in der Stadt war hat-<lb/>
ten alle Bu&#x0364;rger den Soldateneid ge&#x017F;chworen, der &#x017F;ie<lb/>
verpflichtete dem Con&#x017F;ul unbedingt zu gehorchen, und<lb/>
ihm zu folgen wohin er &#x017F;ie fu&#x0364;hren wollte. Kraft die&#x017F;es<lb/>
Eids verordnete Cincinnatus, unter dem Vorwand eines<lb/>
Kriegs gegen die Aequer, daß ein allgemeines Aufge-<lb/>
bot &#x017F;ich ru&#x0364;&#x017F;ten &#x017F;olle ins Feld zu ziehen. Der Krieg war<lb/>
kaum ein Vorwand, der Zweck, das Volk vom Schutz<lb/>
der Tribunen zu entblo&#x0364;ßen. Die Comitien der Centu-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0075] mußten ſie den Tempel einnehmen der mit gleicher Hart- naͤckigkeit vertheidigt ward. Der Conſul Valerius drang zuerſt hinein, und fiel an der Spitze ſeiner Truppen. Faſt alle Abentheurer, deren keiner Verſchonung zu hof- fen hatte, ſtarben mit den Waffen in der Hand, unter ihnen ihr Anfuͤhrer Herdonius: die Gefangenen wurden hingerichtet. Der Tod des Conſuls gab einen Vorwand mit ge- wohnter Unredlichkeit ſeine Zuſage, als nur perſoͤnlich gegeben, zu brechen. Die Wahl ſeines Nachfolgers ward auf Cincinnatus geleitet, der ſeine Wuͤrde mit den Gefuͤhlen eines erbitterten Vaters und eines ſtolzen Pa- triciers antrat, der in den Vergehungen ſeines verur- theilten, vielleicht durch Verzweiflung in die eben ver- tilgte Verſchwoͤrung hineingeriſſenen, und ehrlos umge- kommenen Sohns, eigentlich nur das uͤberſchrittene Maaß tadelte. Er trug ſich mit einem verwegnen Plan die Conſtitution durch eine Gegenrevolution mit ſcheinbarer Achtung der dem Roͤmer ſo ehrwuͤrdigen Formen dahin zuruͤckzufuͤhren, wo ſie vor der Auswandrung des Volks geſtanden hatte. Als der feind in der Stadt war hat- ten alle Buͤrger den Soldateneid geſchworen, der ſie verpflichtete dem Conſul unbedingt zu gehorchen, und ihm zu folgen wohin er ſie fuͤhren wollte. Kraft dieſes Eids verordnete Cincinnatus, unter dem Vorwand eines Kriegs gegen die Aequer, daß ein allgemeines Aufge- bot ſich ruͤſten ſolle ins Feld zu ziehen. Der Krieg war kaum ein Vorwand, der Zweck, das Volk vom Schutz der Tribunen zu entbloͤßen. Die Comitien der Centu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/75
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/75>, abgerufen am 28.03.2024.